Nach Terroranschlag

Hanau im Kampf gegen das Vergessen und die Angst

Ausland
19.02.2021 23:09

„Gegen das Vergessen, gegen das Verschweigen, gegen die Angst. Wir klagen an und fordern Taten statt Worte“, so bricht die Initiative „19. Februar Hanau“ auf Twitter das Schweigen: „Wir sind die Angehörigen, die Überlebenden, die Betroffenen. Wir sind sichtbar und unsere Stimmen sind überall zu hören. Wir sind vernetzt mit allen, die wissen und begreifen, dass Rassismus das Problem ist." Ein Jahr nach dem Terroranschlag mit neun Toten erheben Angehörige schwere Vorwürfe. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier räumte ein, der Staat habe „sein Versprechen von Schutz und Sicherheit und Freiheit“ gegenüber den Opfern „nicht einhalten können“.

In ganz Deutschland finden rund um den 19. Februar 2021 Kundgebungen, Demos und Gedenkveranstaltungen (siehe Video oben) statt. Zahlreiche Menschen finden sich - trotz Corona-Krise, Lockdown und Sorge vor 3. Welle - bei bundesweiten Protesten ein, um den neuen Männern und Frauen mit ausländischen Wurzeln zu gedenken, die dem Rechtsextremen Tobias H. im Februar 2020 zum Opfer fielen.

Bei seinen Angriffen auf Bars und einen Kiosk wurden weitere Menschen verletzt. Der Sportschütze hatte auch seine Mutter (72) getötet, bevor er sich selbst das Leben nahm. Nach bisherigen Erkenntnissen war der 43-jährige Deutsche psychisch krank.

Steinmeier besorgt über die Gefahr eines Vertrauensverlustes
Bei einer Gedenkfeier wandte sich Steinmeier direkt an die Hinterbliebenen - und gab auch Versäumnisse des Staates zu. Den Präsidenten bedrücke zutiefst, dass dieser „sein Versprechen von Schutz und Sicherheit und Freiheit„ gegenüber den Opfern“ nicht habe einhalten können. „Ich weiß: Das berührt Ihr Vertrauen in diesen, in unseren, in Ihren Staat“, sagte er. „Das darf uns nicht gleichgültig sein, denn der Staat, die Demokratie braucht Vertrauen.“ Wo es Fehler oder Fehleinschätzungen gegeben habe, „da muss aufgeklärt werden“, mahnte Steinmeier.

Der Anschlag löste bundesweit Entsetzen und eine Debatte über eine Neubewertung des von Rechtsextremisten ausgehenden Gefährdung aus. Bundesweit wurde in der Folge die Polizeipräsenz verstärkt.

„Vor Anwendung von Gewalt aufmerksam sein“
Die Trauerfeier im März 2020 stand unter dem Motto „Die Opfer waren keine Fremden“, wurde als „ein Zeichen der ehrenvollen Anteilnahme für die Opfer des rassistischen Anschlags“ bezeichnet. Bundeskanzlerin Angela Merkel pochte auf einen friedlicheren gesellschaftlichen Diskurs: „Es beginnt weit vor der Anwendung von Gewalt, dass wir aufmerksam sein müssen.“ Allein, diesen Worten folgten keine Taten.

Angehörige wollen Taten sehen, Veränderung. So auch die Initiative „19. Februar Hanau“. Gefordert werden Aufklärung, Gerechtigkeit, (politische) Konsequenzen, auch (finanzielle) Hilfe für die Angehörigen der Opfer ist seit 365 Tagen Thema. Ebenfalls im Fokus: Die Einforderungen von Versprechungen nach dem furchtbaren Terroranschlag. Und: Die Frage nach dem Warum, dem Wozu.

„Wozu das alles?“
„In seiner Rede vom 4. März auf dem Marktplatz resümierte der Bundespräsident vom Wert des Lebens. Er hielt fest: “Unser Staat hat die Pflicht, dieses Recht zu schützen. Dafür muss er mehr tun. Dafür muss er alles tun. Er versprach so viel. Sie alle versprachen so viel. Am Ende erfolgte so wenig. Wer so viele Versprechungen in den Mund nimmt, sein Wort jedoch nicht hält, muss sich fragen lassen: Wozu das alles? (...)"

„Nicht mehr fremd, nicht gleichberechtigt“
„Denn was soll der Staat sich auch um diese Menschen kümmern? Der Rassismus richtet sich schließlich nicht gegen die Gesellschaft. (...) Also, er richtet sich nicht gegen den Teil der Gesellschaft, der zählt. Nicht die Gesellschaft die zählt, ist traumatisiert oder muss mit den Folgen dieser Nacht leben. Es sind immer noch die Anderen, die leiden, die zwar aufgrund der veränderten Spielregeln heute nicht mehr als ‘Fremde‘ bezeichnet werden dürfen, aber das macht sie noch längst nicht zu einem gleichberechtigten Teil dieser Gesellschaft. Folglich scheren sich die staatlichen Stellen auch nur bedingt um die Hanauer Familien“, so Timo Dorsch in „Die Zeit nach Hanau“ auf der Website der Initiative 19-feb-hanau.org.

Im April 2020 erschien der Benefiz-Song „Bist du wach?“, dessen Erlöse komplett den Angehörigen zugutekamen. Ein Opferfonds lässt weiterhin auf sich warten, den Hinterbliebenden bleiben nur Worte, Protest und der Kampf gegen das Vergessen - und die Angst.

Quelle: APA

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