Gewalt an Kindern

Nach Schulbrüdern auch staatliche Heime im Visier

Österreich
20.07.2010 12:29
Nach Gewaltvorwürfen gegen Schulbrüder in Oberösterreich (im Bild das Internat Stephaneum in Bad Goisern) und Wien soll es auch in staatlichen Erziehungsheimen zu körperlichen Übergriffen gekommen sein. Sieben mutmaßliche Opfer von Gewalt in Erziehungsheimen in Oberösterreich haben sich bereits an die Kinder- und Jugendanwaltschaft gewandt, wie am Dienstag bekannt wurde. Betroffen sind die Landes-Einrichtungen Linz-Wegscheid und Leonstein sowie das Heim Steyr-Gleink.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft dient als Anlaufstelle für Betroffene aus weltlichen Heimen, Opfer kirchlicher Einrichtungen werden an die Ombudsstelle der Diözese weitergeleitet. Die bisher gemeldeten Vorwürfe beziehen sich großteils auf die 70er- und 80er-Jahre, erklärte Christine Winkler-Kirchberger, die Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Ein Fall stamme aus den 60ern. Anzeigen gebe es derzeit noch nicht, "wir sind noch in der Sammelphase". Man führe Gespräche mit den Betroffenen und versuche, Stellungnahmen von Verantwortlichen einzuholen. Bis Oktober hofft sie, sich einen Überblick verschafft zu haben und die weitere Vorgangsweise festlegen zu können.

Bei der Frage von Entschädigungen plädiert Winkler-Kirchberger dafür, nicht nur die Verjährungsfristen im Auge zu behalten, und sich nach dem zu richten, was die Opfer wollen. Beispielsweise gebe es einen ehemaligen Zögling, der von anderen Jugendlichen tätowiert worden sei und diese Verunstaltung entfernt haben möchte.

Ehemalige SS-Leute in Heim tätig
Bereits 2006 beschäftigte sich eine Ausstellung mit den Vorgängen in einer der betroffenen Einrichtungen, nämlich mit Linz-Wegscheid, das von Anfang an als "hartes Heim" für verhaltensauffällige Jugendliche galt. Die vom Linzer Sozialhistoriker Michael John im Auftrag der Jugendwohlfahrt kuratierte Schau zeigte, dass dort nach der Errichtung 1952 sogar ehemalige SS-Leute tätig gewesen seien, die anderweitig nicht eingesetzt werden konnten.

Pädagogisch schloss man in der "Korrektionsbaracke" an die Bedingungen der Vorkriegszeit an: Körperliche Züchtigung sei an der Tagesordnung gewesen, wer zu flüchten versuchte, habe sich mit geschorenen Haaren im "Besinnungsraum", einer vier Quadratmeter großen ausbruchssicheren Zelle, wiedergefunden, berichtet die Begleitpublikation der Schau. Jeder Jugendliche habe "nette Briefe" an den nächsten Angehörigen schreiben müssen, die von der Erziehungsleitung kontrolliert worden seien.

"Alles, was totgeschwiegen wird, lebt weiter"
Während sich andere Einrichtungen spätestens in den 80er-Jahren öffneten, schien in Wegscheid die Zeit stehengeblieben zu sein: Noch 1988 schrieben vier Insassen einen Brief an ein Jugendmagazin, in dem sie von Schlägen und Beschimpfungen berichteten. Erst in den 90er-Jahren verwandelte sich das Haus allmählich in die moderne sozialpädagogische Einrichtung, die es heute ist. Ein neuer Heimleiter begann die Vergangenheit aufzuarbeiten. Seine Motivation: "Ich bin überzeugt, dass alles, was totgeschwiegen wird, weiterlebt."

Ermittlungen gegen Schulbrüder in Bad Goisern
Erst am Montag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Wels gegen den Schulbrüder-Standort in Bad Goisern ermittelt. Die Untersuchungen betreffen fünf Fälle und Ereignisse, die zwischen 1968 und 1985 passiert sein sollen. "Betroffen davon sind drei Schulbrüder und drei Erzieher", so Behördensprecher Manfred Holzinger. Zwei der Schulbrüder seien bereits verstorben. Ermittelt werde wegen Vorwürfe der körperlichen Gewalt, wobei auch geklärt werden müsse, inwieweit schon Verjährungen vorliegen.

Der Provinzial der Schulbrüder, Johann Gassner, hat am Dienstag das Interesse seines Ordens an einer lückenlosen Aufklärung der Gewaltvorwürfe bekräftigt. "Wir leisten Aufklärungshilfe und wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt", so Gassner. Wenn etwas "noch schlagend" sei, sollten sich die Menschen melden. Allerdings müsse die Staatsanwaltschaft darüber befinden und die Urteile der Gerichte würden gelten.

Zunächst nur Wien-Strebersdorf betroffen
Anfang Juli war der Orden der Schulbrüder mit der ersten Anzeige der von Waltraud Klasnic geleiteten kirchlichen Opferschutzanwaltschaft konfrontiert worden. Vorerst hatten sich die Vorwürfe auf die De-La-Salle-Schule in Wien-Strebersdorf (Bericht in der Infobox) konzentriert und sich um sexuellen Missbrauch gedreht.

Bald war aber auch von Gewalthandlungen im Zusammenhang mit dem Internat Stephaneum im Oberösterreich die Rede. Die Schulbrüder selbst haben mehrfach betont, an einer raschen und lückenlosen Aufklärung der Vorwürfe interessiert zu sein, allerdings auch Klagen in den Raum gestellt, da die Anschuldigungen zu diffus seien.

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