In seine kurze Amtszeit fällt ein Skandal nach dem anderen: Ibiza, BVT, Casino. Mit Conny Bischofberger spricht Innenminister Wolfgang Peschorn (54) über Maulwürfe, mysteriöse Netzwerke und Momente, in denen er zur Klarinette greift.
Samstagmorgen in der Herrengasse 7. „Für mich ist es ein ganz normaler Arbeitstag“, sagt der Innenminister und zählt die Destinationen der zu Ende gehenden Woche auf. Prag, Salzburg, Wien, und am späten Freitagnachmittag hatte der dreifache Vater noch Elternsprechtag. Sein Büro kommt ohne persönliche Dinge aus, auch das Feldbett hat Vorvorgänger Herbert Kickl offenbar mitgenommen. „Ich übernachte - noch - nicht im Büro“, stellt Peschorn trocken fest. Seine Mitarbeiter haben ein Frühstück gedeckt mit Schinken, Käse, Marmeladen, Butter, Kipferl und vorgeschnittenen Semmerln. Fällt das eh nicht unter Anfüttern? Zum Interview gibt’s erstmal nur Kaffee. Der Innenminister schaut ernst und spricht leise, das ändert sich aber schnell.
„Krone“: Sie sind seit dem 3. Juni Innenminister der Republik. Was ist das Bemerkenswerteste, was Sie in dieser kurzen Zeit gelernt haben?
Wolfgang Peschorn: Ich sehe da nichts Bemerkenswertes. Interessant ist der Gedankenaustausch mit Innenministern anderer Länder und somit der Überblick, was die Probleme und Herausforderungen in Europa sind.
Haben Sie es sich so vorgestellt?
Ich hatte eigentlich keine Vorstellung, aber viel Respekt vor diesem Amt. Ich hab mich einfach mit Haut und Haaren eingearbeitet.
Mit Ibiza, aber auch der Causa BVT und jetzt der Casino-Affäre, fällt der größte Skandal der Zweiten Republik in Ihre Amtszeit. Können Sie noch ruhig schlafen?
Ich schlafe kurz - meistens bis sechs Stunden - , aber sehr gut. Es ist ja mein Job. Ich wurde auch davor, als Anwalt der Republik und Präsident der Finanzprokuratur, schon zu Problemen gerufen. Ich verstehe mich als jemand, der in herausfordernden Situationen bestmöglich für Österreich, für die Menschen auf der Straße, arbeitet. Diese Menschen haben keine laute Stimme, aber sie wollen einen ordentlichen Staat.
Haben wir im Moment einen ordentlichen Staat?
Es passieren immer wieder Dinge, die nicht in Ordnung sind, es ist eine ewige Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, zwischen richtig und falsch.
Das Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) schafft es nicht aus den Schlagzeilen. Jetzt sind dort schwere Sicherheitsmängel bekannt geworden. Zuletzt wollte man Telefone einer Abgeordneten und einer Journalistin beschlagnahmen, angeblich um einen Maulwurf im BVT zu enttarnen. Wissen Sie schon, wer dieser Maulwurf war?
Es ist in der letzten Zeit evident geworden, dass immer wieder Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, die dafür nicht bestimmt sind. Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit ist das eine. Die Sicherheit des Staates und damit wieder die Sicherheit für alle Bürger das andere. Das hat der Gesetzgeber richtig gelöst, indem er Beamten Verschwiegensverpflichtungen auferlegt hat, und der Staat ist gefordert, dass das von allen eingehalten wird. Im vorliegenden Fall haben wir eher die Verdachtslage, dass auch andere Personen an die Öffentlichkeit gehen, um die Rechte von Betroffenen zu schädigen.
Was für andere Personen meinen Sie?
Da sind viele beteiligt und da ist ein Punkt, wo ich oft weniger weiß als Journalisten. Sie wissen, wer die Informanten sind, und das ist auch das gute Recht von Journalisten, solche Informationen zu erhalten. Aber gleichzeitig werden hier die Amtsverschwiegenheit und auch andere gesetzliche Bestimmungen gebrochen.
Am Samstag wurde auch bekannt, mit wem Strache, nachdem er vom Ibiza-Video hörte, telefoniert hat: Mit René Benko und Kathrin Glock.
Das Bekanntwerden von Telefonaten, Chats und von SMS-Kontakten ist für alle betroffenen Personen eine Belastung. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass strafbehördliche Ermittlungen nicht öffentlich zu führen sind. Wir haben ja auch über Jahrhunderte in unserer Gesellschaft für ein faires Verfahren gekämpft, Artikel 6 Menschenrechtskonvention sieht ja ein solches auch ausdrücklich vor. Gerade hier in der Herrengasse sind vor über 150 Jahren die Menschen gegen ein inquistorisches Verfahren auf die Straße gegangen. Die Veröffentlichung von Rohdaten einer Ermittlung hat durchaus einen ähnlichen Charakter.
Vertrauen Sie selber noch dem BVT?
Natürlich habe ich dem BVT zu vertrauen. Und ich tue alles, damit das Vertrauen auch für alle anderen wiederhergestellt wird. Es wird derzeit geprüft, welche Umstände dafür verantwortlich sind, dass ein Dokument, klassifiziert als „sehr vertraulich“, an die Öffentlichkeit geraten ist. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Tagen bereits ein Ergebnis vorliegt. Ob es legitim war, das zu veröffentlichen, haben die Strafbehörden zu entscheiden.
Am Freitag hat Ihnen der Nationale Sicherheitsrat Empfehlungen gegeben, wie Sie bei der Suche nach den Maulwürfen vorgehen sollen. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Diese Empfehlungen sind eins zu eins jene Vorschläge, die ich den Abgeordeten schon im September gemacht habe. Da wird mir etwas empfohlen, was ich bereits selbst empfohlen habe. (Lächelt das erste Mal.) Ich kann nur sagen: Der richtige Weg für die Zukunft des BVT muss auf Grundlage eines Befundes erfolgen, wir sind im Plan.
Haben Kickl, aber vor ihm auch die ÖVP-Innenminister, verbrannte Erde hinterlassen?
Es ist evident, dass sich im BVT in den letzten Jahren Dinge aufgestaut haben, die nun zu einer Reform führen müssen. Ich tu mir nur ein bisschen schwer mit „verbrannter Erde“. Ich würde es so nennen: Jeder Innenminister hat seine Verantwortung zu tragen. Meine Reformbemühungen werden die Antwort auf die Kritik des BVT-Untersuchungsausschusses geben.
Ist es nicht ein bitteres Erbe?
Es war allgemein bekannt, dass das Innenministerium große Herausforderungen in sich birgt und deswegen habe ich auch Ja gesagt, als mir das Amt angeboten wurde. Ich mag Herausforderungen. An Herausforderungen kann man gemessen werden.
Sie haben diese Woche in den Rückkehrzentren aufgeräumt. Was war dort los?
Ich habe nicht aufgeräumt, sondern es gab immer wieder Kritik an den Bedingungen in diesen Rückkehrzentren und Kritik muss man ernst nehmen, weil Kritik einen grundsätzlich inhaltlich immer weiterbringen kann. Deshalb habe ich die menschenrechtliche Abteilung hier im Haus und den UNHCR zusammengespannt und ersucht, das zu untersuchen. Das haben sie getan.
Kickl kritisiert, dass die Leute in diesen Zentren bereits das Gesetz gebrochen hätten und sowieso das Land verlassen müssen. Was entgegnen Sie ihm da?
Egal ob jemand das Gesetz gebrochen hat oder nicht: Die Menschenrechte sind unteilbar. Jawohl, diese Menschen müssen so rasch wie möglich in ihr Land gebracht werden. Aber bis dahin müssen sie menschenrechtsadäquat untergebracht sein. Punkt.
Hat Kickl ein Problem mit den Menschenrechten?
Bitte, das müssen Sie ihn fragen.
Diese Woche wurde über drei Verdächtige in der Causa Ibiza die U-Haft verhängt. War‘s das jetzt oder kommt da noch mehr?
Diese Untersuchungen leitet die Staatsanwaltschaft. Meine Mitarbeiter sind als Ermittler tätig und über diese geheimen Ermittlungen kann ich leider keine Auskunft geben. Sie laufen noch und wie man sieht, sind sie umfangreich. Wie man auch sieht, hat die Causa viele Handlungsstränge.
Schätzen Sie die Causa so ein, dass das Kriminelle waren, die Geld machen wollten, oder könnte es auch eine politische Dimension haben?
Diese Einschätzung will ich nicht geben.
Dann haben wir noch die Casino-Affäre. Soll der Staat sich an einem Glücksspielkonzern beteiligen?
Das ist eine hochpolitische Frage. Letztendlich ist die Beteiligung an der Casino AG ein Erbe der Nachkriegszeit. Ich glaube, der Staat soll sich gut überlegen, wo er investiert und wo er sich eines Investments lieber enthält. Dazu ist es notwendig, sich die Aufgaben eines modernen Staates vor Augen zu führen. Der moderne Staat muss für Ordnung und Sicherheit sorgen und klare Rahmenbedingungen für die Menschen in diesem Land definieren.
So gesehen würde diese Beteiligung nicht dazuzählen …
Das wäre sicherlich keine Kernaufgabe.
BVT, Ibiza, Casino: Wird all das je aufgeklärt werden?
Das wird nur möglich sein, wenn es ein stetes Bemühen aller Beteiligten gibt: Staatsanwaltschaften, Kriminalpolizei, aber auch die Politik und Gesellschaft müssen es unterstützen. Die Sorge, dass es vielleicht im Dunkeln bleibt, ist berechtigt. Aus meinem eigenen beruflichen Leben kann ich sagen: Wenn man akribisch hinter den Sachen her ist, kann man einiges an Aufklärung erreichen. Die Frage ist, ob das dann auch gerne gehört wird!
Diese Woche haben Sie auch die Entscheidung bekannt gegeben, in Hitlers Geburtshaus eine Polizeistation zu installieren. Warum finden Sie das eine gute Idee?
Weil wir den Auftrag hatten, dort etwas zu machen, das jegliche Möglichkeit eines Gedenkens an den Nationalsozialismus ausschließt. Es wird ja auch eine bauliche Umgestaltung geben, und bevor man in einen Architektenwettbewerb geht, muss man ein Ziel definieren. Ich habe dieses Ziel dann in der Diskussion mit meinen Mitarbeitern festgelegt, weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass gerade die österreichische Polizei deutliche Zeichen gegen den Nationalsozialismus setzt. So wie ich die Polizei und die Sicherheitsbehörden in Österreich sehe, sollen das genau jene Einrichtungen sein, die die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit garantieren. Es macht aber auch Sinn, weil wir so effizient mit finanziellen Mitteln umgehen. Ich sehe es als Win-Win-Situation. Im Übrigen müssen wir bei der Polizei noch sehr viele Maßnahmen setzen. Wir brauchen ein neues Dienstrecht, In Wien größere Polizeiinspektionen, dafür eine neue Qualität, auch an den baulichen Zuständen …
Auch Polizeipferde?
Über die muss noch entschieden werden. Das wird bald sein, auf der Grundlage von sachlichen Kriterien. Vor allem dem sorgsamen Umgang mit Steuergeld.
Derzeit finden Koalitionsverhandlungen statt, früher oder später gibt es eine neue Regierung. In der „Presse“ stand als Antwort auf die Frage, ob Sie sich Türkis-Grün wünschen, Sie hätten gezwinkert. Was heißt das?
Das heißt gar nichts. Ich wahre strikte Äquidistanz.
Könnten Sie sich vorstellen, der nächsten Regierung anzugehören?
(Rückt seine silbergraue Krawatte zurecht und räuspert sich.) Mein Lebensplan besteht darin, in die Finanzprokuratur zurückzukehren. Ich habe ein gesetzlich vorgesehenes Rückkehrrecht für einen gewissen Zeitraum. Von diesem Recht will ich Gebrauch machen.
Wenn Sebastian Kurz Sie fragen würde, würden Sie dann Nein sagen?
Ich glaube, dass mich niemand fragen wird, weil ich mit meinen Vorstellungen schwer in eine parteipolitische Regierung hineinpasse. Zumindest denke ich, dass es eine sehr große Herausforderung wäre, mit einem parteiunabhängigen Minister in eine Regierung zu gehen.
Stichwort parteiunabhängig: Waren Sie nie Parteimitglied?
Nein.
Wie sind Sie politisch sozialisiert worden?
Einer meiner Großväter war Zugführer und stammte aus der Steiermark, der andere war Lokführer, also im weitesten Sinn ein sozialdemokratisches Umfeld, aber die Sozialdemokratie ist heute eine ganz andere. In meinem Elternhaus wurde ich vor allem zum kritischen Denken erzogen. Ich erinnere mich, mit meinem Vater viele Diskussionen über politische Ereignisse geführt zu haben.
Sie waren 2011 Chef der „CSI Hypo“. War die Verstaatlichung der Hypo aus heutiger Sicht falsch?
Nein, aus heutiger Sicht ist die Verstaatlichung des Jahres 2009 richtig gewesen, weil sie unausweichlich war. Die intensive Beschäftigung mit diesen Vorgängen rund um die Hypo haben mein Bild verstärkt, dass wir hier in Österreich leider von einem Berater- und Interessensnetzwerk gefesselt sind. Das führt dazu, dass unsere Gegner, unsere Verhandlungspartner, oft besser informiert sind als die staatlichen Einrichtungen selbst. Wenn wir es nicht schaffen, das zu durchbrechen, dass wir als Republik Österreich geschlossen auftreten und unsere Interessen durchsetzen, dann wird es immer wieder solche Ereignisse geben. Loyalität gegenüber dem Staat, gegenüber der Republik Österreich, ist von größter Wichtigkeit. An den aktuellen Vorwürfen sieht man sehr gut, dass die Parteien verantwortlich gemacht werden. Aber tatsächlich wissen wir nicht, ob nicht auch ganz andere Interessen eine Rolle spielen. Schlussendlich geht es immer ums Geld, da braucht es keinen großen Plan wie in einem James-Bond-Film.
Herr Peschorn, Sie sind nicht nur Anwalt, sondern auch Klarinettist. Spielen Sie noch ab und zu?
Derzeit komme ich selten dazu, aber ich versuche natürlich, mein Können möglichst am Leben zu erhalten.
Wie klingt Politik für Sie?
Jeden Tag anders. Manchmal, wenn etwas gut von der Hand geht, flockig und locker wie Mozart. Dann wieder, wenn das Gefühl da ist, dass eine Sache schwierig werden oder vielleicht nicht gut ausgehen könnte, wie ein Tschaikowski.
Sie haben drei Töchter. Wie haben Sie Vaterschaft und Beruf vereinbart?
Meine Kinder haben miterlebt, dass ich oft am Wochenende gearbeitet habe. Trotzdem war ich für sie da … Da fällt mir eine schöne Geschichte ein. Im Jahr 2008 haben wir die Notverstaatlichung der Kommunalkreditbank verhandelt, es ging Sonntag den ganzen Tag bis Montag in der Früh. Um 5.30 Uhr habe ich die Verhandlungen für mich kurz unterbrochen, bin nach Hause gefahren, um meine Kinder aufzuwecken und in den Kindergarten zu bringen. Das war bei uns so üblich. Sie haben gar nicht gemerkt, dass ich die ganze Nacht nicht da war. Danach bin ich ins Büro zurückgefahren und wir haben rechtzeitig die Verhandlungen finalisiert und auch die Bank gerettet und damit im Interesse der Republik Österreich gehandelt.
Wissen Ihre Töchter das mittlerweile?
Ich glaube nicht, sie werden es jetzt wohl in der „Krone“ lesen.
Zur Person
Geboren am 17.5.1965 in Wien, aufgewachsen mit drei Geschwistern in Wien und in Judendorf-Straßengel bei Graz. Der Vater war leitender Ministerialbeamter. Peschorn studiert Jus und absolviert parallel zum Studium eine Ausbildung zum Klarinettisten. 2006 bestellt ihn der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser zum Präsidenten der Finanzprokuratur. 2008 berät er die Republik in der Finanzmarktkrise und klärt ab 2011 als Chef der „CSI Hypo“ die Machenschaften auf. Am 3. Juni 2019 gelobt ihn Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Innenminister der Übergangsregierung von Kanzlerin Brigitte Bierlein an. Peschorn ist Vater von drei Töchtern (16, 20, 22).
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.