Unzählige Teilnehmer
Hongkong: Massenprotest gegen Auslieferungsgesetz
In der größten Demonstration seit Jahren haben Hundertausende Hongkonger gegen die Pläne der Regierung für ein Auslieferungsgesetz demonstriert. Anwaltsverbände, Menschenrechtler und auch ausländische Regierungen sind besorgt über das Gesetz. Es würde den Behörden erlauben, auf Ersuchen chinesischer Stellen Verdächtigte an die Volksrepublik auszuliefern.
Kritiker argumentieren, dass das Justizsystem in China nicht unabhängig sei, internationalen Standards nicht entspreche und politisch Andersdenkende verfolge. Auch werden Angeklagte zu 99 Prozent verurteilt. Es gibt Sorge, dass das Gesetz die Position Hongkongs als asiatische Wirtschafts- und Finanzmetropole untergräbt.
Größter Protest seit 2014
Der Protest am Sonntag fand ungewöhnlich großen Zulauf. Erste Schätzungen gingen von einigen Hundertausend aus. Die Organisatoren hatten mit mehr als 500.000 Teilnehmern gerechnet. Es war der größte Protest seit der Demokratiebewegung 2014, als Demonstranten mit dem Ruf nach mehr Demokratie Teile Hongkongs wochenlang lahmgelegt hatten. Die vorläufig letzte Kundgebung dieser Größenordnung hatte es im Jahr 2003 gegeben, als die Demonstranten gegen eine Verschärfung von Gesetzen zur nationalen Sicherheit protestierten. Teilnehmer hielten Schilder mit „Keine Auslieferung nach China“ oder „Nach China ausgeliefert, für immer verschwunden“ hoch.
Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ als eigenes Territorium autonom regiert. Die sieben Millionen Einwohner der heutigen chinesischen Sonderverwaltungsregion genießen größere politische Freiheiten als die Menschen in der Volksrepublik, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. Mit der lauter werdenden Forderung nach echter Demokratie in Hongkong zieht Peking aber die Zügel enger.
Kritiker sehen ein „Werkzeug zur Einschüchterung“
Amnesty International warnte, Ausgelieferten drohten in China „Folter, Misshandlung und unfaire Verfahren“. Auch die Zusicherung, dass das Gesetz bei politischer Verfolgung nicht greife, ließ die Organisation nicht gelten. Chinas Behörden brächten regelmäßig legitim scheinende, unpolitische Anklagen vor, „um friedliche Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger und solche, die die Regierungspolitik ablehnen, zu verfolgen und zu inhaftieren“. Es sei ein „machtvolles Werkzeug“, um Kritiker einzuschüchtern.
Mit dem Gesetzesvorhaben hat sich die Peking-treue Regierung von Carrie Lam in eine Zwickmühle manövriert, da der Widerstand in der Bevölkerung groß ist. Es gibt kein Vertrauen in Chinas Justizsystem. Um der Kritik zu begegnen, wurden noch Änderungen aufgenommen. So soll es nur um schwere Verbrechen gehen. Das erwartete Strafmaß muss bei sieben und nicht wie ursprünglich vorgesehen drei Jahren liegen. Während einige Straftatbestände wie Steuer- oder Wertpapiervergehen gestrichen wurden, blieben aber Bestechung und Geldwäsche.
Sorge bei USA und Kanada
Menschenrechtsgruppen weisen auch darauf hin, dass die zwei UN-Konventionen für bürgerliche Rechte und gegen Folter, an die Hongkong gebunden sei, eigentlich die Überstellung von Personen in Länder untersagten, wo Folter und Misshandlung drohten. Auch die USA oder Kanada haben ihre Sorge geäußert. Sie befürchten, dass britische oder kanadische Bürger in Hongkong betroffen werden könnten.
„Ernsthafte Gefahr für nationale Sicherheit der USA“
Die Kommission des US-Kongresses für Wirtschaft und Sicherheit in den Beziehungen zu China warnte, das Gesetz könnte „eine ernste Gefahr für die nationale Sicherheit der USA und seine Wirtschaftsinteressen in Hongkong darstellen“. Es könne „Hongkongs Ruf als sicherer Ort für US-amerikanische und internationale Geschäfte schwinden lassen und ein größeres Risiko für US-Bürger und Hafenbesuche in dem Territorium darstellen“.
Kanada ist besonders besorgt, weil es jüngst erleben musste, wie China zwei seiner Bürger - unter Spionagevorwürfen - festgesetzt hat, nachdem Kanada auf Ersuchen der USA die Finanzchefin und Tochter des Gründers des Telekomriesen Huawei, Meng Wanzhou, festgesetzt hatte. Ihr wird Bankbetrug bei der Verletzung der Sanktionen gegen den Iran angelastet. Die USA fordern ihre Auslieferung.
Hongkongs letzter britischer Gouverneur Chris Patten warnte, das Auslieferungsgesetz wäre „das Schlimmste“, was Hongkong seit der Rückgabe 1997 an China zustoßen könne. In einer Video-Botschaft sprach Patten von einem „schrecklichen Schlag“ gegen Hongkongs Rechtsstaatlichkeit, Stabilität, Sicherheit und Position als großer internationaler Handelsplatz.
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