Live in der Stadthalle

Depeche Mode: Nostalgie am Rande der Perfektion

Musik
05.02.2018 00:40

Vier Jahre nach ihrem letzten Besuch brillierten die britischen Synthiepop-Könige Depeche Mode in einer randvollen Wiener Stadthalle mit einem effektgeladenen Set aus mehr als drei Dekaden Bandgeschichte. Frontmann Dave Gahan beweist auch mit 55 noch eindrucksvoll, dass er mit seine intensiven Stimme und dem exaltierten Bühnengehabe zu den besten Frontmännern der Welt zählt.

(Bild: kmm)

Die Hüften mögen vielleicht etwas öfter krachen und Gitarrist Martin Gore kommt Keith Richards optisch immer näher, doch wenn die Synthiepop-Könige Depeche Mode die Bühne entern, strahlen sie immer noch die authentische Spielfreude der frühen Tage aus. Im zweiten Teil ihrer fast zweijährigen „Global Spirit Tour“ ist endlich Wien dran – fast auf den Tag genau vier Jahre nach dem letzten Stelldichein der Briten gibt es ein längst fälliges Wiedersehen. Depeche Mode waren schon immer gut zu Österreich und Tausende Österreicher gut zu ihrer Lieblingsband. Das „Ausverkauft“-Schild konnten die Veranstalter somit schon Wochen vor dem Konzert an die Wiener Stadthalle hängen. Ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass Dave Gahan und Co. auch nach 38 Jahren Karriere nichts von ihrer paralysierenden Faszination eingebüßt haben.

Perfektes Entertainment
Mit ihrem letzten März erschienenen Studioalbum „Spirit“ ging die Band sogar in die Offensive und artikulierte sich unerwartet politisch. Prekäre Zeiten erfordern eben besonders Maßnahmen –schade, dass auf dieser Tour kaum etwas davon zu sehen ist. Nur drei Songs des starken Werkes bleiben an diesem Abend in der Setlist übrig, die Single „Where’s The Revolution“ sticht durch die theatralisch-glaubwürdige Gestik Gahans deutlich heraus. Wehrt euch und wehret den Anfängen. Lasst euch nichts gefallen. Lasst euch nicht niederringen. Die Botschaft kommt an, verpufft aber im Sog der Begeisterung. Das alte Leid des Entertainers: Wenn er seinen Job, die Menschen zu unterhalten, gut macht, dann muss sich die inhaltsreiche Botschaft hintanstellen.

Und wie gut Dave Gahan diesen Job macht! Man mag es nicht für möglich halten, dass der unentwegt Pirouetten drehende Tänzer an der Bühnenfront 55 Lenze zählt, so leichtfüßig und nonchalant wirbelt er von einem Eck ins andere, ohne dabei in bedrängende Atemnot zu geraten. Hinter ihm trommelt der Österreich-Export Christian Eigner präzise wie ein Uhrwerk auf seine Drums, links haut Andy Fletcher in die Tasten und zu seiner Rechten gibt Kreativpartner Martin Gore mit drängenden Gitarrenmelodien den Untersatz für die hedonistische Sonntagsmesse. Songs wie „Barrel Of A Gun“, „Everything Counts“ oder „World In My Eyes“ klebt unverkennbar das Koks der letzten Dekaden am Revers, trotzdem kreieren die Hymnen der frühen Tage eine Atmosphäre angenehmer Zeitlosigkeit. Verstärkt wird die Vergangenheitsbeschau durch einen ungewohnt druckvollen und kompakten Sound, wie man ihn in Wiens größter Konzert-Indoor-Location leider viel zu selten zu hören kriegt.

Auf die Bremse
Für Ansprachen und Zwischentöne ist gewohntermaßen kein Platz, doch Gahan bedankt sich ein ums andere Mal für die Jubelarien seiner Fans, dirigiert zwischendurch auch einmal im ersten Bühnenstock vor der gigantischen Videowall und ist ganz der exaltierte Animateur, der er schon vor mehr als 30 Jahren war. Bevor die ganz großen Radiohits kommen, tobt sich die Band in der ersten Sethälfte aber mit einem bunten Potpourri aus den unterschiedlichsten Schaffensphasen aus. Da wäre etwa das für einen Opener schwere „Going Backwards“, das intensiv-herausragende „Precious“ oder das industriell-kühle „A Pain That I’m Used To“. Der einzig markante Schwachpunkt an diesem Abend ist das unbeabsichtigte Zerstören des Spannungsbogens. Das ausgerechnet nach dem grandiosen „Cover Me“ platzierte, von Martin Gore gesungene Akustikstück „Insight“ bremst die Show ordentlich ein.

Dasselbe passiert der Band am Ende. Mit „Stripped“, „Enjoy The Silence“ und „Never Let Me Down Again“ feuern die Briten drei ihrer allergrößten Hits nacheinander in die Halle und sorgen für eine Euphorie, wie es sie hierzulande nur bei den Toten Hosen gibt. Auch wenn das mehr als zweistündige Konzert damit früher zu einem Ende gefunden hätte: es wäre ein würdiges gewesen. Das – erneut von Gore gesungene – „Strangelove“ in der Akustikversion ist ein unnötiger Dämpfer. Auch mit „Walking In My Shoes“, „A Question Of Time“ und dem abschließenden „Personal Jesus“ können sie nicht mehr das Feuer ihres überragenden regulären Finishs entfachen. Dennoch geht an diesem Abend niemand unzufrieden oder verstimmt zu Bett – dafür war das Quintett in allen Belangen zu souverän. Ein Depeche-Mode-Gig ist noch immer hochklassiges Entertainment am Rande der Perfektion. Und das kann man heute nur mehr von sehr wenigen Bands der Champions-League-Hallen-Kategorie behaupten.

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