EU ausgebootet

Türkei als großer Gewinner nach South-Stream-Stopp

Ausland
02.12.2014 12:06
Billigeres Erdgas für die Türkei, gemeinsame Großprojekte am Bau- und Energiesektor und ein explodierender Handel trotz Embargos: Die neue Innigkeit zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan läuft den europäischen Interessen quer. Die Türkei dagegen ist der große Gewinner.

Kaum war die Tinte auf den Verträgen trocken, traf der russische Staatschef Wladimir Putin Europas Achillesferse mit dem angekündigten Schlussstrich unter dem South-Stream-Gaspipeline-Projekt. Die Pipeline sollte Erdgas künftig unter Umgehung ukrainischen Staatsgebiets nach Europa bringen.

Türkei bekommt Nachlass bei Erdgaslieferungen
Dafür gewährte Putin nun der Türkei einen Preisnachlass von sechs Prozent für russische Erdgaslieferungen. Diese würden mit Anfang Jänner nächsten Jahres schlagend. Für weitere Preisnachlässe gebe es einen Spielraum, gab Putin während einer gemeinsamen Pressekonferenz der beiden Staatsoberhäupter am Montagabend in Ankara bekannt. Die Türkei ist nach Deutschland der zweitgrößte Abnehmer von russischem Gas.

Entgegenkommen bei umstrittenem Atomkraftwerk
Im Gegenzug spekuliert der russische Atomkonzern Rosatom mit gewaltigen Steuernachlässen, die ihm die Türken gewähren sollen. Rosatom baut im Südwesten der Türkei das umstrittene Atomkraftwerk Akkuyu. Russland stellt die Finanzierung für das 22-Milliarden-Dollar-Kraftwerk (17,6 Milliarden Euro) sicher. Rosatom will seine Steuerlast von 20 auf 2 Prozent gesenkt wissen, hieß es aus gut informierten Kreisen.

Eine wichtige Hürde hat der Konzern am Montag jedenfalls schon mal genommen. Das türkische Umweltministerium stellte Akkuyu nach intensiven Beratungen zwischen Putin und Erdogan die Umweltverträglichkeit aus. Ein positiver Prüfungsbericht war bisher ausständig. Ankara bemängelte in der Vergangenheit das Projekt und verlangte Nachbesserungen. Umweltschützer laufen seit Jahren Sturm gegen das Kraftwerk. Die Gegend gilt zudem als erdbebengefährdet.

Türkei baut Russen Shoppingmalls
Außerdem baut die Türkei für die Russen künftig neue Shoppingmalls. Über eine neu ins Leben gerufene Investitionsplattform sollen Public-Private-Partnership-Projekte in Russland mit Hilfe türkischer Unternehmen umgesetzt werden. Am Montag wurden zwischen dem milliardenschweren türkischen Bauriesen Rönesans (Renaissance Holding) und dem staatlichen russischen Investmentfonds (RDIF) künftige Bauvorhaben in Höhe von 400 Millionen Dollar ausverhandelt, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.

Krisen bringen Russland und Türkei einander näher
Ein 2010 ins Leben gerufener Kooperationsrat hat den Grundstein für die neue, enge Verbundenheit zwischen der Türkei und Russland in strategisch wichtigen Wirtschaftsagenden gelegt. Wegen der Unstimmigkeiten beim Thema Syrien haben sich die Verträge aber verschleppt. Die Ukraine-Krise und die Eskalation im Nahen Osten, aber auch die Frontstellung gegen die Europäische Union hat die beiden Staatsoberhäupter einander näher gebracht.

Recep Tayyip Erdogans autoritärer politischer Kurs manövriert die Türkei immer weiter weg von der EU. Im Februar 2013, noch vor Ausbruch der Ukraine-Krise und Erdogans innenpolitischer Zäsur, ließ das türkische Staatsoberhaupt via türkischem Fernsehen ausrichten, er habe den russischen Präsidenten um die Aufnahme seines Landes in die "Shanghai Five" gebeten. Die Gruppe bietet für Russland, China und drei zentralasiatische Staaten eine Plattform für die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit.

"Dann sagen wir der EU auf Wiedersehen", erklärte Erdogan damals und ließ dabei fallen, dass die Türkei auch ohne die Europäer auskommen könnte. Wenn der Weg Richtung Westen versperrt bleibe, könne man sich genauso gut nach Osten ausrichten. So könne die Türkei sich vor dem "langsamen und schmerzhaften EU-Beitrittsprozess" retten, ließ er verlauten.

Zwar ist die Europäische Union der wichtigste Handelspartner der Türkei. Sie gilt es nicht zu vergrämen. Aber die Exporte nach Russland haben sich laut türkischem Wirtschaftsministerium in den vergangenen neun Monaten fast verdreifacht. Vor allem bei Lebensmitteln ist die Türkei für die EU in die Bresche gesprungen, was NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg damit goutierte, die Türkei zu ermahnen, die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland wegen der Ukraine nicht zu unterlaufen.

Erdogan will sich ein Denkmal setzen
Ungeachtet dessen hat Staatspräsident Erdogan sein ehrgeiziges Ziel für das für ihn so wichtige Jahr 2023 genannt: Die Verdreifachung des jährlichen Handels mit Russland auf rund 100 Milliarden Dollar bis zu diesem Zeitpunkt. Erdogan will sich zum herandämmernden hundertjährigen Jubiläum der Türkischen Republik selbst ein Denkmal setzen.

Ahmet Aksay, türkischer Wirtschaftsjournalist, warnte am Montag jedoch vor zu großem Enthusiasmus. Ohne Plan bleibe dies nur ein Slogan, sagte er am Montagabend gegenüber dem türkischen Sender CNN Türk. Wirtschaftsexperten würden bereits prognostizieren, dass sowohl Russland als auch die Türkei auf eine veritable Wirtschaftsflaute zusteuerten.

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