Erneuter Eklat

Sarkozy: Auch Deutschland will Roma abschieben

Ausland
17.09.2010 09:13
Eigentlich hätten die Wogen rund um die Abschiebung von Roma aus Frankreich (siehe Infobox) beim EU-Gipfel in Brüssel ja geglättet werden sollen - allerdings war genau das Gegenteil der Fall. Präsident Nicolas Sarkozy legte sogar noch ein Schäuflein nach und behauptete nach dem Treffen, dass auch Deutschland in den nächsten Wochen Roma-Lager räumen lassen will. Dies habe Bundeskanzlerin Angela Merkel ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht. EU-Diplomaten wiesen die Aussage Sarkozys brüsk zurück.

"Es sind heute im Europäischen Rat von deutscher Seite zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Äußerungen zu irgendwelchen Roma-Lagern oder Räumungen in Deutschland gemacht worden", hieß es zu der Behauptung von Sarkozy (im Bild mit Rumäniens Präsident Traian Basescu).

Deutschland dementiert heftigst
Auch die deutsche Regierung wies am Abend die Äußerungen Sarkozys offiziell zurück. Bundeskanzlerin Merkel habe "weder im Europäischen Rat noch bei Gesprächen mit dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy am Rande des Rates über vermeintliche Roma-Lager in Deutschland, geschweige denn deren Räumung gesprochen", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstagabend in Berlin.

Am Freitag hat dann auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle die Äußerungen Sarkozys kritisiert. "Es gibt keine derartigen Überlegungen", er denke, es handle sich dabei um "ein Missverständnis", so Westerwelle.

Aus Frankreich werden Roma vor allem in deren Heimatländer Rumänien und Bulgarien geschickt, die EU-Mitglieder sind. Deshalb hatte die EU-Kommission zur Einhaltung der EU-Freizügigkeitsregelungen auch für Roma gemahnt. Aus Deutschland werden bereits jetzt Roma zurück in ihre Heimat geschickt, aber vor allem in das Nicht-EU-Mitglied Kosovo, mit dem im April ein Abkommen unterzeichnet wurde.

Schwere Attacke gegen EU-Kommissarin Reding
Sarkozy attackierte bei seiner Pressekonferenz EU-Justizkommissarin Viviane Reding scharf, die zuvor die Ausweisungen osteuropäischer Roma aus Frankreich mit den Ereignissen der NS-Zeit verglichen hatte. "Alle Staats- und Regierungschefs waren zutiefst schockiert von den Erklärungen der europäischen Kommissarin", sagte Sarkozy am Donnerstag zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel. "Frau Reding hat extrem beleidigende Sachen gesagt."

Der französische Staatspräsident berichtete, Merkel habe ihn angerufen, um ihre "totale Solidarität" mit ihm zu versichern. Auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso habe sich von den Äußerungen Redings distanziert. Es sei inakzeptabel, dass Frankreich beleidigt werde, betonte der französische Präsident. Der historische Vergleich habe "die Gefühle unserer Mitbürger tief verletzt".

Merkel ironisch: "Das Mittagessen war gut"
Merkel bekräftigte ihrerseits öffentlich ihre Kritik an der EU-Justizkommissarin. "Ich habe deutlich gemacht, dass ich den Tonfall und auch die Wortwahl der Kommissarin nicht angemessen fand", sagte die deutsche Kanzlerin am Donnerstag in Brüssel. "Wir müssen mit Respekt zwischen den einzelnen Institutionen umgehen." Zur Stimmung beim EU-Gipfel äußerte sich die Kanzlerin ironisch mit den Worten: "Das Mittagessen war gut - was die Speisen anbelangt hat."

Die EU will nun nach Angaben von Bundeskanzler Werner Faymann beim nächsten EU-Gipfel über die Lage der Roma diskutieren. Faymann sagte nach Ende des EU-Gipfels in Brüssel, EU-Kommissionspräsident Barroso sei beauftragt worden, einen Vorschlag für "Standards" zu machen, wie Roma-Minderheiten behandelt werden. Dabei gehe es um Fragen der Schulbildung für Kinder und finanzielle Mittel, deren Empfänger und entsprechende Projekte.

Faymann betonte, in der von Sarkozy begonnenen Gipfeldiskussion haben es "keine Schwächung der Kommission" gegeben. Sarkozy habe selbst klargelegt, dass es für ihn eine Selbstverständlichkeit sei, dass die EU-Kommission die Hüterin der Verträge sein müsse, auch in diesem Fall. Sarkozy habe eine Prüfung der Roma-Abschiebungen als richtig bezeichnet, aber betont, man dürfe dem Ergebnis nicht vorgreifen. Die Diskussion habe sich auf die Wortwahl von EU-Justizkommissarin Reding "zugespitzt".

Barroso berichtet von "leidenschaftlicher Debatte"
EU-Kommissionspräsident Barroso wollte seinerseits die Vorwürfe des französischen Präsidenten gegen ihn zu den Roma-Abschiebungen nicht kommentieren. Innerhalb der "leidenschaftlichen Debatte" habe es "vielleicht übertriebene Bemerkungen" gegeben, und EU-Justizkommissarin Reding "hat das selbst anerkannt. Andere sollten vielleicht das Gleiche tun", sagte Barroso nach dem Gipfel, ohne Sarkozy namentlich zu nennen.

Zuvor war es offenbar zu einem offenen Eklat gekommen: Sarkozy und Barroso lieferten sich nach Angaben des bulgarischen Regierungschefs Bojko Borissow einen "sehr harten Schlagabtausch". Der britische Premier David Cameron bezeichnete das Ganze als "lebhafte Debatte". Diplomaten in Brüssel sprachen von einem Eklat, der bei einem Spitzentreffen dieser Art ungewöhnlich sei. Ursprünglich sollten auf dem Gipfel die Wogen geglättet werden.

Mehr Einigkeit bei anderen Tagesordnungspunkten
Bei den eigentlichen Tagesordnungspunkten gab es in Brüssel mehr Einigkeit. So kann Pakistan nach der schweren Flutkatastrophe mit dauerhafter Unterstützung der Europäischen Union rechnen. Die EU-Außenminister, die ebenfalls an dem Gipfel teilnahmen, sprachen sich für einen leichteren Zugang pakistanischer Güter auf den europäischen Markt aus.

Einen schnellen Erfolg erzielte der Gipfel auch bei dem als historisch geltenden Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea, das schon am Vormittag besiegelt werden konnte. Weiters forderte die EU Israel in der Abschlusserklärung auf, das Siedlungsbau-Moratorium im Westjordanland zu verlängern, das am 26. September ausläuft. Der Streit um den Siedlungsausbau im Westjordanland die neuen palästinensisch-israelischen Friedensverhandlungen zu sprengen.

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