Aufstand in Ägypten

Opposition sprach erstmals mit Machthabern

Ausland
06.02.2011 21:59
Nach zwei Wochen Protest gegen das Regime von Hosni Mubarak ist der schwierige Dialog zwischen Opposition und Machthabern am Sonntag in Gang gekommen. Zum ersten Mal seit 1954 gab es dabei auch Gespräche mit den eigentlich verbotenen Muslimbrüdern. Oppositionelle und Vizepräsident Omar Suleiman vereinbarten die Gründung eines Komitees, das eine Verfassungsreform ausarbeiten soll. Das Regime stellte auch ein Ende des seit 1981 geltenden Ausnahmezustands in Aussicht. Von einem schnellen Machtwechsel, wie ihn viele fordern, ist nicht die Rede.

Die Muslimbruderschaft ist eine islamistische Bewegung, die in zahlreichen arabischen und westlichen Ländern aktiv ist. In Ägypten ist sie die größte und bestorganisierte Oppositionsbewegung, obwohl sie offiziell jahrelang verboten war. Im Gegensatz etwa zur palästinensischen Hamas gelten die Muslimbrüder in Ägypten und Jordanien als relativ moderat und friedlich. Sie treten als Partei auf und setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein. Außerdem bekennt sich die ägyptische Bewegung zum Gewaltverzicht.

Allerdings streben auch die ägyptischen Muslimbrüder eine "Islamisierung" des Staates an, verurteilen den westlichen Lebensstil großteils und haben eine völlig andere Haltung zum Nahost-Konflikt als Mubaraks Partei. Die ägyptischen Christen und Nationalisten misstrauen den Muslimbrüdern teilweise. Sie werfen ihnen vor, die Interessen der Muslime über die Interessen der Bürger zu stellen. Die Bruderschaft hat allerdings stets betont, bei der kommenden Präsidentenwahl keinen eigenen Kandidaten aufstellen zu wollen.

"Wollen die Revolution schützen"
In der Nacht auf Sonntag hatten die Muslimbrüder bekannt gegeben, mit der Regierung in einen Dialog treten zu wollen. Es solle gemeinsam mit anderen Oppositionellen herausgefunden werden, inwieweit die Regierung "bereit ist, die Forderungen des Volkes zu akzeptieren". Laut Al-Jazeera waren als konkrete Punkte für die Gespräche der Rücktritt Mubaraks, die Auflösung des Parlaments und die Bildung einer Übergangsregierung vorgesehen. Ferner sollen die Gewalttaten gegen Demonstranten untersucht und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Außerdem müsse das Recht auf friedlichen Protest und die freie Berichterstattung der Medien garantiert werden. Seine Gruppierung trete für eine Übergangsregierung "sämtlicher Oppositionsgruppen", Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen ein, sagte der Vizechef der Bruderschaft, Rashad al-Bayumi.

Ein weiterer Vertreter der Muslimbruderschaft sagte, die Verhandlungen hätten den Zweck, "die Revolution zu schützen". Der Dialog werde aber nur aufrechterhalten, wenn die jungen Menschen, die die Proteste gestartet hätten, an ihm beteiligt würden.

Verfassungsreform und Ende des Ausnahmezustands
Am Sonntagnachmittag präsentierte ein Regierungssprecher dann die ersten Punkte, die zwischen Regierung, Bruderschaft, der liberalen Wafd-Partei, der linksgerichtete Partei Tagammu und einer von den Demonstranten entsandten Gruppe junger Menschen vereinbart wurden: Beim Komitee für die Verfassungsreform soll es vor allem um die Voraussetzungen für eine Kandidatur bei den im September geplanten Präsidentschaftswahlen gehen, bei denen Mubarak nicht mehr antreten wird. Nach Angaben des Staatsfernsehens wurde bei dem Treffen auch die Einigung erzielt, den seit 1981 geltenden Ausnahmezustand bald zu beenden. Voraussetzung sei allerdings, dass die Sicherheitslage ein Ende des Ausnahmezustands erlaube, hieß es im ägyptischen Fernsehen weiter.

Der Ausnahmezustand hatte es der politischen Führung des Landes jahrzehntelang ermöglicht, die Opposition zu unterdrücken. Demonstrationen waren strengstens verboten, Zivilisten wurden ausschließlich von Militärgerichten verurteilt.

ElBaradei für Wahlen erst in einem Jahr
Ex-IAEO-Chef und Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, der vor allem Intellektuelle als Unterstützer hat, aber über keine Basis ähnlich einer Partei verfügt, äußerte sich skeptisch über die Gespräche und warnte vor der Bildung einer Übergangsregierung unter der Leitung Mubaraks oder seines Stellvertreters Suleiman. Das wäre nicht nur "sehr, sehr enttäuschend", sondern könnte auch dazu führen, "dass die Proteste wütender und bösartiger werden".

ElBaradei sprach sich auch dafür aus, erst in einem Jahr neu wählen zu lassen. Die gegenwärtige Verfassung müsse abgeschafft und das Parlament aufgelöst werden. "Das sind alles Instrumente des diktatorischen Regimes", so ElBaradei. "Und ich glaube nicht, dass wir über diese diktatorische Verfassung zu einer Demokratie gelangen." Eine einjährige Übergangszeit mit einer "Übergangsregierung der nationalen Einheit" sei nötig, um freie und faire Wahlen zu gewährleisten, sagte ElBaradei. Dem derzeitigen Regime die Aufsicht über die im September angesetzt Wahlen zu erlauben, würde zu einer "unechten Demokratie" führen.

Das erste Gespräch der Opposition mit Suleiman, zu dem ElBaradei allerdings nur einen Vertreter schickte, beschrieb er als "zäh". "Niemand weiß, wer zum jetzigen Zeitpunkt mit wem verhandelt", so ElBaradei. Ein Problem sei zudem, dass der gesamte Prozess vom Militär gesteuert werde. "Der Präsident ist ein Mann der Armee, der Vizepräsident kommt aus der Armee, der Ministerpräsident ist ein Militär." Der gesamte Prozess sei dadurch "sehr undurchsichtig".

Militär schützt Demonstranten besser, Geschäfte öffnen
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo ist indes am Sonntag wieder ein Stück weit Normalität eingekehrt. Das ägyptische Militär hat seine Präsenz auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos verstärkt und bot den rund 10.000 Demonstranten am Sonntag mehr Schutz vor möglichen Übergriffen durch die Schergen Mubaraks.

Am Mittag des 13. Tages der Proteste begann auf dem Platz dann ein christlicher Gottesdienst, bei dem auch für die Toten der vergangenen Tage gebetet wurde. An den Protesten hatten sich auch zahlreiche koptische Christen beteiligt. Die Kopten sind in der Frage, ob man gemeinsam mit den Muslimbrüdern eine Allianz gegen das korrupte alte System bilden sollte, nach wie vor gespalten. Ihr geistliches Oberhaupt, Papst Shenouda III., hatte Mubarak am Samstag noch den Rücken gestärkt. Am Sonntag waren hingegen auf Bildern vom Tahrir-Platz gemeinsam demonstrierende Kopten und Muslime zu sehen. Sie hielten Kreuze und Korane in die Höhe.

Das Leben in der ägyptischen Hauptstadt normalisierte sich am Sonntag zunehmend. Zahlreiche Geschäfte in der Nähe des Tahrir-Platzes öffneten wieder ihre Pforten, auf den Straßen der Millionenstadt waren wieder zahlreiche Fahrzeuge unterwegs, es kam sogar zu Staus. Auch die seit dem 27. Jänner geschlossenen Banken öffneten wieder, die Regierung verfügte aber zum Abheben eine Obergrenze von 50.000 Pfund, umgerechnet etwa 6.300 Euro.

Innenminister will Polizei reformieren
Der neue ägyptische Innenminister Mahmud Wagdi kündigte am Sonntag an, die als korrupt und gewalttätig verschrienen Polizeioffiziere des Landes in eine neue Zeit führen zu wollen. Während eines Treffens mit den Verantwortlichen der Sicherheitsdirektion in Kairo sagte er, die Polizisten sollten sich ab sofort als Dienstleister für die Bürger verstehen. Auch das Motto der ägyptischen Polizei ließ der neue Minister ändern. Der in der Ära des nun abgesetzten Innenministers Habib al-Adli geprägte Slogan "Die Polizei und das Volk im Dienste des Vaterlandes" wurde durch den alten Slogan "Die Polizei im Dienste des Volkes" ersetzt.

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