Studie der TU Wien

Weiche Kristalle in Flüssigkeiten fließen anders

Wissenschaft
09.08.2011 10:32
Was haben Blut, Tinte und Mehlsuppe gemeinsam? Sie alle sind Flüssigkeiten, in denen winzige Teilchen, sogenannte Kolloide, schweben. Diese Teilchen können sich zu Gruppen zusammenfinden, die sich dann regelmäßig anordnen, wie Atome in einem Kristall. Forschern der TU Wien und der Universität Wien gelang es, erstaunliche Eigenschaften dieser kristallartigen Substanzen zu ergründen. Die Teilchen-Cluster können unter mechanischer Belastung Stränge ausbilden und ihre Fließeigenschaften dramatisch ändern.

Unter mechanischer Belastung kann sich die kristalline Ordnung in eine andere Struktur umwandeln oder sich komplett auflösen. Die Teilchen innerhalb eines Clusters können sich überlappen und durchdringen, ähnlich wie ein dichter Schwarm von Aalen, die eng verschlungen aneinander vorbeigleiten. Das Bemerkenswerte daran ist, dass sich diese Cluster nicht einfach an zufälligen Orten aufhalten, sondern ganz von selbst eine regelmäßige Struktur ausbilden - sogenannte "weiche Kristalle". Der Abstand von einem Cluster unter bestimmten äußeren Bedingungen zum nächsten ist immer gleich.

"Erhöht man die Teilchendichte, bekommt zwar jeder Cluster eine immer größere Anzahl von Teilchen ab, doch der Abstand zwischen den Clustern bleibt unverändert", erklärt Arash Nikoubashman, Doktorand an der TU Wien. Er führte die Berechnungen im Rahmen seiner Dissertation mit Professor Gerhard Kahl am Institut für Theoretische Physik der TU Wien und mit Professor Christos Likos von der Universität Wien durch.

Kristallgitter werden zu langen Fäden
"Wir hatten schon aufgrund unserer früheren Ergebnisse die Vermutung, dass die Partikel unter äußeren Einflüssen unerwartete Eigenschaften zeigen können", erzählen die Physiker. Am Computer konnte nun eindeutig berechnet werden, wie sich die kristallartige Struktur unter einer mechanischen Belastung verhält, die eine Scherspannung bewirkt - also die Flächen innerhalb der Flüssigkeit gegeneinander verschiebt.

Zunächst beginnt die Kristallstruktur zu schmelzen - die Bindungen zwischen den Clustern werden gebrochen. Aus diesen "abgeschmolzenen" Teilchenclustern bildet sich dann aber spontan eine neue Ordnung: Lange, gerade Teilchenstränge entstehen, die sauber parallel zueinander angeordnet sind.

Von dünnflüssig zu dickflüssig
Während sich diese Stränge bilden, wird die Substanz immer dünnflüssiger - ihre Zähigkeit nimmt ab. Das liegt daran, dass sich die parallelen Stränge relativ leicht gegeneinander verschieben können. Belastet man das Material dann noch stärker, brechen allerdings auch diese Stränge auseinander, es entsteht eine "geschmolzene", also ungeordnete Ansammlung von Teilchenclustern - und die Zähigkeit der Substanz nimmt wieder zu.

Immer mehr Teilchen werden aus ihren ursprünglichen Positionen gespült und bremsen so den Flüssigkeitsstrom ab. Dieses Verhalten gilt universell für alle Cluster-Kristalle, und mit einfachen theoretischen Überlegungen kann man die kritische Belastung, bei der die geordnete Struktur komplett geschmolzen ist, sehr genau vorhersagen.

Materialen spielen im Alltag eine wichtige Rolle
Diese Forschung an "weicher Materie" im Nano- und Mikrometerbereich ist nicht nur für die Grundlagenforschung interessant, Materialien dieser Art spielen auch im Alltag eine wichtige Rolle. Zu ihnen zählen Blut oder große Biopolymere wie etwa DNA-Moleküle.

Sie spielen in der Biotechnologie, aber auch in der Erdöl- und Pharmaindustrie eine wichtige Rolle - und überall dort, wo maßgeschneiderte Nanomaterialien benötigt werden. Eine Flüssigkeit, die unter äußeren Kräften ihre Zähigkeit ändert, verspricht jedenfalls ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten - von Stoßdämpfern über Flusssensoren bis hin zu Schutzkleidung. Die Ergebnisse der Berechnungen wurden im Fachjournal "Physical Review Letters" veröffentlicht.

Bild: TU Wien

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