"Krone" exklusiv

Teil 2: Das Psychogramm eines Menschenfressers

Österreich
23.09.2007 14:48
Entsetzen, Erstarren, Erschaudern. Allein der jüngste Fall des mutmaßlichen "Wiener Kannibalen" zeigt: Es gibt kaum eine abscheulichere Bluttat, die mehr unter die Haut geht. Der "deutsche Kannibale" hat nun in seiner Zelle erstmals sein Schweigen gebrochen. Das "Krone"-Psychogramm eines Menschenfressers, der mitten unter uns lebte... (Teil 1 der exklusiven Serie gibt's zum Nachlesen in der Infobox!)

Tiroler Student deckt Menschenfresser auf
Nach der Meldung vom "Kannibalen von Rotenburg" schien die Welt im Dezember 2002 für einen kurzen Augenblick den Atem anzuhalten. Und erst jetzt wurde aufgedeckt: Ein Österreicher hat den deutschen Menschenfresser enttarnt! Der Innsbrucker Student Reinhold H. war im Internet auf Armin Meiwes gestoßen. Nachdem dieser bereits sein erstes Opfer getötet und großteils verzehrt hatte, war der Kannibale schon auf der "Jagd nach einem neuen Opfer". 

Via Internet unterhielt sich der Österreicher sogar mit dem deutschen Schlächter. "Ich bin kein gemeiner Killer. Denn dann würde ich einfach jemanden entführen und fressen. Mein Wunsch ist schon, seit ich ein Kind war, einen Menschen ganz für mich zu haben, indem ich ihn verspeise", so lautet die E-Mail-Antwort des deutschen Kannibalen. Beim Tiroler läuten alle Alarmglocken! Er informiert das Bundeskriminalamt: "Auf der Suche nach Nervenkitzel bin ich im Internet auf etwas Schockierendes gestoßen: Menschenfleischmärkte!"

Doch die deutschen Beamten nehmen den Tipp aus Tirol nicht ernst, Parkstrafen scheinen wichtiger. So vergehen fünf Monate, bis sie endlich aktiv werden. Dann geht es Schlag auf Schlag. 641 Tage nach dem "Kannibalen-Mord" stattet die Polizei Meiwes in dessen Rotenburger Gutshof einen Besuch ab. Vorerst finden die Fahnder nichts außer Fleischpakete in der Tiefkühltruhe. Er erklärt: "Das ist Wildschwein"... 

Was hat sich zuvor tatsächlich in den 40 Zimmern des alten Gutes zugetragen? Blenden wir zurück: Nach dem Tod seiner Mutter, sie war die einzige Bezugsperson, intensivierte Computertechniker Meiwes seine Internet-Suche nach einem Opfer. Im Februar 2001 erfolgte dabei der erste Kontakt mit Bernd Brandes. "Ich biete an, mich lebendig verspeisen zu lassen", lautete dessen Brief. Grausiger Absender: "Your Dinner" - "Dein Abendessen". 

Schwere Kindheit
So grässlich sein "Internet-Menü-Angebot" auch klingt, Bernd Brandes (43), führt ein unauffälliges Doppelleben: Der Diplomingenieur arbeitet bei einem Berliner Elektrokonzern, trägt teure Boss-Anzüge, wohnt in bester Lage und verdient 70.000 im Jahr. Nur im Internet lebt er alle Abartigkeiten aus. Neben den grausigen Kannibalismus-Fantasien verbindet ihn mit seinem späteren Mörder noch eines: eine schwere Kindheit. Nach dem Selbstmord seiner Mutter bleibt er zeitlebens seelisch allein gelassen.

Unverständnis regiert auch in der Familie von Armin Meiwes. Als der Bub acht Jahre alt ist, verlässt der Vater die Frau samt Kindern. Er steigt ins Auto und fährt für immer weg. "Papa, Papa, bleib hier!" ruft Armin. Doch der Mann steigt aufs Gas, ohne in den Rückspiegel zu schauen.

Hausschlachtungen faszinieren das Kind

Danach lebt Armin allein mit der herrischen Mutter. Sie gibt nur Befehle, kaum Liebe. Auch sein Stiefbruder zieht aus. Armin interessiert sich für Metzgerei und ist fasziniert von Hausschlachtungen - für eine Therapie oder ein klärendes Gespräch mit einem Arzt oder Pfarrer fehlt der Mut. 

Ab dem 20. Lebensjahr verbringt der spätere Kannibale zwölf Jahre bei der Bundeswehr. Er befehligt ein Dutzend Soldaten quittiert aber nach einem Alko-Unfall den Dienst. Danach arbeitet er als Computer-Experte. Er ist einer der ersten Europäer, die in den 90er Jahren im Internet auf Kontaktsuche gehen. Im "Forum für Menschenfresser" findet er sein Opfer. Heute, nach sechs Jahren Haft, gibt sich der Menschenfresser im Gespräch mit Reporter-Kollegen Stampf ruhig. Meiwes duftet nach Creme, als er sich mit seinen Bärenpranken eine Marlboro anzündet.

Das Opfer ist nun ein Teil von mir...
"Welche Gefühle haben Sie denn heute, dass Sie sich Bernd einverleibt haben?" "Er ist nun auch ein Teil von mir, ein Freund, der mir bleibt", die Antwort. Ungerührt erzählt er, dass ein Mensch ähnlich schmeckt wie Schweinefleisch, herber. 20 Kilo des tranchierten Freundes hat er verzehrt! Schaurige Details des Schlachtens und Ausweidens - über die Meiwes nahezu gefühllos erzählt - ersparen wir unseren Lesern. 

Täter und Opfer haben eines gemeinsam: Beide haben zu wenig Liebe bekommen. Beide waren, so die Gutachter, beziehungsgestört. Die anonyme Anarchie des Internets war offensichtlich das Ventil für seelische Qualen. Sie waren auf sich selbst bezogen, in ihrer triebhaften Welt verloren. 

Abschließend meint Meiwes sogar selbst über seine gefangene Seele: "Dieses Interview ist keine Rechtfertigung der Tat. Ich wollte beim Buch mitwirken, um zu zeigen, wozu es führen kann, wenn man nicht über seine Gefühle und Probleme sprechen kann. Im Internet gibt es Tausende Menschen, die ähnliche Fantasien haben. Mein Ziel ist es, diesen Menschen aufzuzeigen, wohin ein Schweigen bzw. das In-sich-Hineinfressen von Problemen führen kann."

Von Christoph Matzl und Christoph Budin
Alle Fotos © C.Barz/Stampfwerk GmbH

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