"Krone"-Reportage

Ukraine: In den Kriegsruinen droht der Kältetod

Ausland
25.09.2014 22:53
Die Krise in der Ukraine hat bisher schon 4.000 Tote und doppelt so viele Verwundete gefordert. Trotz Waffenstillstand steht das Land am Abgrund. Ein "Krone"-Lokalaugenschein zwischen Krieg und Frieden.

"Ein Feuerball, ein Krachen, dann ist das halbe Haus eingestürzt. Wir haben gebetet und gehofft, dass es uns wenigstens im Keller nicht erwischt", erinnert sich Kindergartendirektorin Natalja (54) an den 4. Juli. An den Tag, an dem die mörderische Offensive der prorussischen Separatisten erstmals die ostukrainische Stadt Slowjansk erreicht hat. Auch ihr Haus, in dem 60 Kinder betreut wurden, war zwischen die Fronten geraten.

"Ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebe", sagt sie und zeigt auf Dutzende MP-Einschüsse an der Wand rund um ihren Bürosessel. Wer "in diesem verdammten Krieg auf das Kinderheim geschossen hat", weiß heute niemand. Nur die Folgen kennen alle: Trümmer, Trauer und Tränen.

Im erbitterten Häuserkampf feuerten Soldaten und Separatisten, bis die Rohre glühten. Mehr als 340.000 Ukrainer flüchteten sich seit Ausbruch des bewaffneten Konfliktes in die Nachbarländer.

Eisiger Wind fegt durch zerschossene Fenster
260.000 Vertriebene, vor allem Frauen und Kinder, irren heute wie lebende Tote durch die Ruinenfelder ihrer Heimat. Vorbei an zerbombten Häusern oder ausgebrannten Wohnungen. Kilometerlange Fassaden mit zerborstenen Scheiben säumen die Straßen. Eingeschossene Fenster sind mit Plastikplanen behelfsmäßig verschlossen.

Viele der Geflohenen werden in Flüchtlingslagern betreut. Zusammengepfercht kauern sie mit gesenkten Köpfen aneinander. Quälende Hoffnungslosigkeit und die unausgesprochene Angst vor "Väterchen Frost" sind greifbar.

Denn General Winter steht bereits vor der Tür. Wenn seine Armeen - sprich: frostiger Wind und eisiger Schnee - durch die Weiten der Ukraine fegen, droht vielen Kranken und Schwachen in den Kriegsruinen der bittere Kältetod. Schon jetzt sinken die Temperaturen über Nacht auf drei bis vier Grad. Doch wenn die Quecksilbersäule Minusgrade anzeigt, werden bald erste Opfer zu beklagen sein.

Caritas-Projekt hilft, den Winter zu überleben
Dennoch will Kindergartenchefin Natalja, wie viele andere auch, keinesfalls aufgeben. "Wir machen weiter. Wenn Dach und Fenster repariert sind, kümmern wir uns wieder um die Kleinen", sagt die resolute Pädagogin zuversichtlich, denn die Caritas ist ihr ein verlässlicher Partner.

Auch Andreij (56) und seine Frau Nastasja (53) aus einem Vorort von Slowjansk haben inmitten des Chaos neuen Lebensmut gefunden. Schließlich können sie in ihrem Zuhause überwintern. Der Mann ist schwer gehbehindert, seine Frau hat ein Herzleiden. Die beiden hätten gar nicht woandershin fliehen können.

Jetzt haben Helfer neue Fenster organisiert und diese von Handwerkern samt Fensterstock einsetzen lassen. "Wir sind glücklich, dass es Menschen gibt, denen wir nicht gleichgültig sind", bedankt sich das gebrechliche Paar. Die beiden hoffen, dass bald auch ihre fünf Kinder heimkehren können. Diese haben sich in den grauenhaften Kriegswirren in ein Flüchtlingslager durchschlagen können.

Rot-weiß-rote Hilfe kommt an
"Es fehlt an Decken, Medikamenten, Kleidung und am Fensterglas für winterfeste Wohnungen", bringt Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner die Lage auf den Punkt. Trotz aller Tristesse zeigt der Lokalaugenschein, dass die rot-weiß-rote Hilfe direkt ankommt, angenommen wird - und echte Hoffnung schenkt.

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