Nach schweren Zweifeln

Brisante Glyphosat-Studie nach 25 Jahren gekippt

Österreich
10.12.2025 15:42

Die Debatte um das weltweit meistdiskutierte Herbizid Glyphosat erhält neuen Zündstoff: Eine Studie aus dem Jahr 2000, die über Jahrzehnte als zentrales Argument für die Unbedenklichkeit des Wirkstoffs diente, ist von der Fachzeitschrift „Regulatory Toxicology and Pharmacology“ offiziell zurückgezogen worden. Die Entscheidung fällt nach schweren Zweifeln an der wissenschaftlichen Integrität des Artikels – und öffnet ein Kapitel, das für Hersteller, Behörden und Forschung gleichermaßen heikel ist.

Die Untersuchung hatte für Monsanto, den damaligen Produzenten des bekannten Herbizids Roundup, über viele Jahre hohen strategischen Wert. Das Papier stützte die Position des Konzerns, Glyphosat habe keine krebserregenden Effekte. Der Fachverlag Elsevier beschreibt die Studie rückblickend als „wegweisend“ in der Debatte – nun aber sei unklar, ob ihre Schlussfolgerung überhaupt zutreffe.

Gleich mehrere gravierende Probleme
Der zuständige Chefredakteur Martin van den Berg listet in seiner Rücknahmebegründung mehrere gravierende Probleme auf. Im Zentrum steht die Frage, ob die Studie den Forschungsstand korrekt abgebildet hat. Die Bewertung der Karzinogenität basierte ausschließlich auf Monsanto-Studien, die keine tumorauslösende Wirkung fanden. Andere vorhandene Langzeitdaten zur chronischen Toxizität und möglichen Krebsrisiken wurden dagegen nicht berücksichtigt.

Hierzulande kommt man kaum mehr an das umstrittene Mittel.
Hierzulande kommt man kaum mehr an das umstrittene Mittel.(Bild: AFP/JOSH EDELSON)

Hinzu kommen Zweifel an der Unabhängigkeit der Autoren. Interne E-Mails, die 2017 im Zuge eines US-Gerichtsprozesses öffentlich wurden, legen nahe, dass Mitarbeiter von Monsanto an der Erstellung der Studie beteiligt waren – ohne als Mitautoren genannt zu werden. Van den Berg spricht von einer möglichen Fehlrepräsentation der Rollen und Beiträge aller Beteiligten.

Studie galt als Eckpfeiler für Bewertung
Auch finanzielle Aspekte spielen eine Rolle: Laut offengelegter Korrespondenz könnten die offiziell als Autoren genannten Wissenschaftler Zahlungen von Monsanto erhalten haben, ohne dies gegenüber dem Fachjournal offenzulegen. Die fehlende Transparenz habe das Vertrauen in das Papier weiter untergraben.

Die Studie hatte lange erhebliche regulatorische Bedeutung. Sie war ein Eckpfeiler bei der Bewertung von Roundup und Glyphosat und wurde weltweit vielfach zitiert. Noch vor wenigen Monaten hatte ein Forschungsteam gezeigt, dass sie weiterhin zu den 0,1 Prozent der meistzitierten Arbeiten im Glyphosat-Feld gehört – trotz der bereits bekannten Hinweise auf versteckte Konzernbeteiligung.

Warum die Rücknahme erst jetzt erfolgt, erklärt Science mit der verzögerten Auswertung und Einordnung der 2017 publik gewordenen internen E-Mails. Die Redaktion des Fachjournals habe sich erst nun zu dem Schritt entschlossen.

Bayer weist Vorwürfe zurück
Der Monsanto-Nachfolger Bayer weist die Vorwürfe entschieden zurück. Bei dem zurückgezogenen Papier handle es sich um einen reinen Übersichtsartikel auf Basis ordnungsgemäß eingereichter Studien, betont Konzernsprecher Philipp Blank. Glyphosat sei das „umfassendste untersuchte Herbizid“ der vergangenen Jahrzehnte. Nationale und internationale Regulierungsbehörden seien sich einig, dass die Substanz bei sachgemäßer Anwendung sicher sei.

Tatsächlich fällt die wissenschaftliche Bewertung differenziert aus:

  • Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ein – eine Einschätzung, die die grundsätzliche Möglichkeit eines Krebsrisikos beurteilt.

  • Behörden wie die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) bewerten hingegen das tatsächliche Risiko im Alltag als vernachlässigbar, sofern geltende Anwendungsregeln eingehalten werden.

Handel und Einsatz massiv eingeschränkt
Glyphosat ist ein Totalherbizid, das fast alle grünen Pflanzen schädigt und seit den 1970er-Jahren weltweit eingesetzt wird. In der EU wurde die Zulassung zuletzt bis Ende 2033 verlängert, wobei einzelne Mitgliedsstaaten – darunter Österreich und Deutschland – die Anwendung in privaten Gärten oder auf öffentlichen Flächen eingeschränkt haben. In den USA wiederum wurden in mehreren Gerichtsverfahren hohe Schadenersatzsummen an Menschen zugesprochen, die nach der Nutzung von Roundup an Krebs erkrankt waren.

Mit der Rücknahme der umstrittenen Studie steht nun ein zentrales Element der jahrzehntelangen Debatte infrage. Das Fachjournal begründet den Schritt deutlich: Aufgrund der offengelegten Mängel gebe es kein Vertrauen mehr in die Ergebnisse und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen.

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