Live in der Stadthalle

Rod Stewart: Zwischen Rockstar und Rotzpippen

Musik
10.12.2025 01:42

Rund 10.500 Fans jubelten Dienstagabend in der restlos ausverkauften Wiener Stadthalle dem fast 81-jährigen Sir Rod Stewart dabei zu, wie er zwei Stunden lang in absoluter Hochform seine beeindruckende Karriere Revue passieren ließ. Ein Konzertabend der Sonderklasse, der einmal mehr beweist – bei manchen ist das Alter nur eine schnöde Zahl.

kmm

War es das jetzt, oder doch nicht? Als in der Wiener Stadthalle zum flotten Kehraus „Love Train“ nach geschlagenen zwei Stunden schweißtreibender Rockshow bunte Luftballons vom Dach auf die Besucher regnen, will man damit wohl die Tränen des vorletzten Songs, „Sailing“, vertreiben. Die von der Sutherland Brothers Band geschriebene und durch Sir Rod Stewart zum Welthit gewordene Ballade exerziert er stilecht mit Kapitänsmütze und viel berechtigtem Pathos. Da beginnen bei den rund 10.500 Fans im restlos ausverkauften und ausnahmslos bestuhlten Konzertareal auch so manche Augenpaare zu schwitzen, immerhin ist die britische Reibeisenstimme für etliche Anwesende ein Lebensbegleiter, dessen unvergleichliches Timbre bei Hochzeiten, Geburten, Begräbnissen, ersten Dates oder Fummeleien als Backgroundsound diente. Mit fast 81 Jahren (Geburtstag am 10. Jänner) tickt die Bühnenuhr natürlich unaufhörlich, aber Abnützungserscheinungen muss man mit der Lupe suchen.

(Bild: Andreas Graf)

Einfach immer weitermachen
Nachdem Stewart im Sommer 2024 auf seiner „One Last Time“-Tour in der Wiener Stadthalle eigentlich schon Abschied feierte, aber durch so viel globalen Zuspruch und Jubel keine Lust mehr aufs Aufhören hatte, hat er seine üppige 2025er Liverutsche einfach in ein „One More Time“ verwandelt. Das Erfolgskonzept bleibt dabei – mit minimalen Adaptierungen – dasselbe. Der Superstar ist der audiovisuelle Hauptdarsteller, wird gleichermaßen von einer siebenköpfigen Wurlitzer-Band, die alles spielen kann, aus dem man Töne presst, unterstützt, wie von zwei Geigenspielerinnen und drei Backgroundsängerinnen, die bei Songs wie „I’m Every Woman“ oder „Proud Mary“ die gesangliche Hauptrolle übernehmen, dass sich der nach Mick Jagger wohl zweitfidelste Musiksenior der lebendigen Rock-Historie zwischendurch auch seine verdienten Durchatempausen gönnen kann.

(Bild: Andreas Graf)

Das Grundprogramm ist für einen Mann seines Alters unglaublich. Gleich die ersten sechs Songs gehen in die Vollen und lassen wenig Raum zum Verschnaufen. Bei „Tonight I’m Yours (Don’t Hurt Me)“ reißt es die ersten Hardcore-Fans in der ersten Reihe vor der Bühne von den Sitzen, „Some Guys Have All The Luck“ bringt die Party endgültig auf Betriebstemperatur und beim Rock’n’Roll-Stampfer „Twistin‘ The Night Away“ wirbeln die fünf Damen in schwarz-weiß-karierten Röcken über die Bühne, während Rod mit schelmischem Grinsen und gewohnt blondgefärbter Wildmähne das tut, was er seit seinem Karrierebeginn vor mehr als 60 Jahren am besten kann – den Buben mit dem ständigen Schalk im Nacken mimen. Während ihm aus dem Publikumsbereich Schottland- und Celtic Glasgow-Fahnen entgegenwehen, flucht der Chef des Abends sympathisch, aber wie ein Rohrspatz über einen ausgefallenen Ventilator. Eine Szene, sinnbildlich für diese Legende: Zwischen kultigem Rockstar und spitzbübischer Rotzpippen verschwimmen die Grenzen oft ins Unsichtbare.

(Bild: Andreas Graf)

Alles für den Spaß am Leben
Doch der Sir ist ein Gauner, dem man gerne alles durchgehen lässt. Schelmische Blicke zu den leicht bekleideten Tänzerinnen, ein alkoholischer Totalausfall nach einem Konzert in Polen vor einigen Monaten oder eine bei den Sommerkonzerten ausgestrahlte, eher missglückte KI-Hommage an den verstorbenen Ozzy Osbourne – was immer Stewart macht, er macht es nicht aus Boshaftigkeit, sondern mit Herz. Der Brite mit dem latenten Hang zum promillehaltigen Überdurst lebt gewiss nicht das Leben eines heiligen Asketen, ist aber ein Paradebeispiel dafür, dass Spaß am Leben wohl der wichtigste Faktor für Glück und Gesundheit im höheren Alter ist. Wie er ständig von einer auf die andere Bühnenseite tänzelt, beim ausufernden „(I Know) I’m Losing You“ gar einen spontanen Kniefall macht oder mit kindlicher Freude zwischen den Songs Geschichten von Fleetwood Mac, Tina Turner oder Ronnie Wood einbaut, lässt einen immer wieder bass erstaunen.

(Bild: Andreas Graf)

Dass teilweise wesentlich jüngere Semester im Publikum wesentlich hüftsteifer agieren als der agile Nicht-Pensionär auf der marmorfarbigen Las-Vegas-Showbühne kann man ihnen rein physisch nicht vorwerfen, wenn Rod zwischendurch aber an den Bühnenrändern Kusshände nach oben schickt oder freudig winkt und klatscht, würde man ihm von den doch recht reservierten Fans schon etwas mehr Gegenliebe wünschen. Gleich viermal zieht er sich um, um mit grauem Leuchtsakko oder roten Glitzersneakers das Disco-Feeling zu versprühen, das auch Songs wie „Baby Jane“, „Young Turks“ oder das unpeinlich programmatische „Da Ya Think I’m Sexy?“ zu jeder Zeit vermitteln. Schon früh am Abend gibt er die Anweisung, dass die Menschen sich und das Konzert für zwei Stunden genießen sollen – später kürt er Wien auch noch freudig zur schönsten Weihnachtsstadt in Europa. Dazwischen? „Maggie May“, eine hinreißende Version des Cat Stevens-Klassikers „The First Cut Is The Deepest“ und – als heimlicher Höhepunkt – Etta James‘ „I’d Rather Go Blind“, bei der er beweist, dass seine Reibeisenstimme sogar noch besser funktioniert als die letzten Jahre.

(Bild: Andreas Graf)

Ein Hauch von Ernsthaftigkeit
Vielleicht lag es auch am exzellenten Menü beim Innenstadt-Nobelitaliener „Fabios“, bei dem Stewart am Vorabend fürstlich dinierte, aber so ausgeruht, glücklich und in jeder Hinsicht fehlerlos hat man ihn schon länger nicht mehr erlebt. Selbstredlich ist er sich auch nicht zu schade, auf der abendlichen Konzertziellinie obligatorisch zwei Fußbälle ins Auditorium zu schießen. Und auch wenn sonst alles nach Eskapismus, Spaß und Blödelei ruft – in den richtigen Momenten kann Stewart auch anders. Bei „People Get Ready“ lässt der Brite auf der überdimensionalen Videowall Bilder von Rosa Parks oder Martin Luther King durchschalten und appelliert dabei – ohne Pathos – nicht nur an Gleichheit und Frieden, sondern verbeugt sich auch demütig vor jener afroamerikanischen Musik, die ihn zu dem machten, was er ist und was uns seit 60 Jahren fasziniert und begeistert. Ein Galaabend, der sämtliche Erwartungen übertraf. Und ja – in der Verfassung ist noch ein Wiedersehen möglich. Sofern Stewart seine Weihnachtslieblingsstadt noch einmal in seine Livegebete aufnimmt.

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