Die Idylle der Alpenhütten trügt: Der Österreichische Alpenverein steht vor einer massiven Herausforderung. Immer mehr Schutzhütten bleiben unbesetzt – und ein jahrzehntealtes Berufsideal gerät ins Wanken. Händeringend sucht der Verein für Dutzende seiner leer stehenden Bergstützpunkte jetzt Pächter.
Hoch oben, wo die Bergluft klarer ist als manche Vorstellung vom Leben, liegt ein romantischer Mythos im Sterben: Hüttenwirt sein. Für viele klingt es nach einem Aussteiger-Abenteuer, nach Kaminfeuer, Kaiserschmarrn und Sonnenaufgängen, die man sonst nur von Postkarten kennt. Doch für den Österreichischen Alpenverein hat dieser Traum längst Risse bekommen.
2025 standen nämlich 17 Schutzhütten zur Pacht – und fünf davon gingen nach der Saison wieder ohne Wirtsleute in den Winter. Die Tendenz ist steigend. „Ein Viertel der neuen Pächter kündigt nach nur einem Jahr“, sagt Georg Unterberger vom Alpenverein. Ein Satz wie eine Lawine: plötzlich, schwer und alarmierend.
Traumjob von harter Realität überrollt
Denn Wirt auf einer Alpenvereinshütte sein – das bedeutet nicht nur kochen. Es bedeutet: Trinkwasser aufbereiten. Kläranlagen kontrollieren. Stromversorgung sichern. Materialseilbahnen bedienen. Brandmelder prüfen. Und nebenbei noch charmant sein, beraten, beruhigen, bekochen. Ein Allrounder-Parcours, der selbst gestandenen Profis den Atem nimmt.
Unterberger bringt es trocken auf den Punkt: „Viele unterschätzen völlig, was da auf sie zukommt.“ 30 Bewerbungen – und kaum ein passendes Profil. Ein Bild, das sinnbildlich für unsere Zeit wirkt: viele Sehnsüchte, wenig Durchhaltevermögen. Kein Ruhetag, kein Rückzug – aber viel Herz.
Ich war im Laufe meines Bergsteigerlebens schon auf Hunderten Hütten auf der ganzen Welt - der Idealismus, Mut und Treue der Wirtsleute ist bewundernswert.

Mount-Everest Bezwinger Peter Habeler
Bild: Hannes Wallner
„Ruhetage gibt es nicht“, schildert denn auch Carolin Scharfenstein vom Alpenverein. Eine Hütte ist schließlich Schutzraum. Das heißt: Wenn jemand in Not kommt, muss offen sein. Immer. Und dazu strömen mehr Gäste denn je hinauf. Gut für den Alpenverein, weniger gut für die Wirtsleute, die ohnehin am Limit laufen. Doch dort oben gibt es auch die Magie, die nur Hüttenwirte kennen: Nächte, in denen man mit Wanderern aus aller Welt über Gipfel träumt. Tage, die nie gleich sind. Ein Teamgefühl, das man im Tal kaum findet.
Viele bleiben deshalb lange: im Schnitt elf Jahre, in Vorarlberg und Tirol oft länger. Manche sogar Jahrzehnte. Die Reißeck-Hütte etwa – 40 Jahre in denselben Händen. Die Obstansersee-Hütte: 30 Jahre. Eine Treue, die man heute selten findet. Wenn die Familie nicht mehr übernehmen kann und will. Doch genau diese Treue beginnt zu bröckeln. Was früher ein Familienprojekt war – über Generationen weitergegeben – wird heute immer seltener fortgeführt.
„Die jüngste Generation übernimmt nicht mehr selbstverständlich den Betrieb der Eltern“, so Scharfenstein bedauernd. Die Gründe? Moderne Arbeitswelt, mehr Flexibilität, weniger Bindung – und vielleicht auch die Einsicht, dass 16-Stunden-Tage am Berg nicht jeder leben will. Das Ergebnis: kürzere Hütten-Ären, mehr Ausschreibungen, mehr Unsicherheit für die Sektionen.
Neue Wege für alte Hütten
Doch der Alpenverein steckt den Kopf nicht in den Schnee. Er wirbt offensiver – bei Messen, auf Social Media, direkt bei jungen Interessierten. Er bietet Fortbildungen, erleichtert bürokratische Prozesse und denkt sogar über Team-Pachten nach. Und sollte es trotz allem niemanden geben? Dann kommen „Notlösungen“ ins Spiel: ehrenamtliche Bewartung oder die Umstellung auf Selbstversorgerhütten. Ein drastischer Schritt – aber manchmal alternativlos.
Ein Job für Idealisten?
Vielleicht brauchen wir Menschen, die nicht nur den Sonnenuntergang auf 2000 Metern suchen, sondern auch den Sonnenaufgang nach einer durchgearbeiteten Nacht. Menschen, die wissen, dass ein Hüttenalltag kein Instagram-Abenteuer ist, sondern eine Verpflichtung – gegenüber den Gästen, der Natur und einem jahrhundertealten alpinen Erbe’, sinniert denn auch Alpenvereins-Legende Friedrich Macher von der traditionsreichsten Sektion Austria: „Romantisch?“ Nur, wenn man bereit ist, dafür zu schwitzen. Der Alpenverein sucht jedenfalls nicht irgendwen. Er sucht Menschen mit Rückgrat, Herz und einem Magen, der auch 14-Stunden-Tage verdaut. Und vielleicht ist genau das das wahre Abenteuer.

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