„Krone“-Interview

Stadlober: „Das Leben ist nicht nur gut oder böse“

Unterhaltung
06.10.2025 06:00

Ein Busunglück auf einer mehrspurigen Straße führt zu einer innerstädtischen Katastrophe. Einer Untersuchung zufolge werden die Leben von 113 Menschen beeinflusst, wenn jemand tödlich verunglückt. Der ambitionierte Sechsteiler „Hundertdreizehn“ (ab heute, 20.15 Uhr, ORF 1) verwebt diese Schicksale und bietet einen multiperspektivischen Blick auf das Geschehen. Robert Stadlober spielt Ermittler Jan Auschra und erzählt der „Krone“ im Interview vom Projekt.

„Krone“: Robert, die sechsteilige Produktion „Hundertdreizehn“ ist ein großer Wurf, der sich vor internationalen Serien keinesfalls verstecken muss. Wenn man deine Rolle als Joseph Goebbels in „Führer & Verführer“ oder andere heranzieht – zieht es dich vermehrt in diese Richtung? Rollen anzunehmen, die ein sehr breites und weites Publikum erfahren können?
Robert Stadlober:
 Wahrscheinlich ist es die Intention der meisten Schauspieler, so viel Publikum wie möglich zu erreichen. Natürlich nicht um jeden Preis, und da fängt es an, dass man mit dem Alter möglicherweise versteht, wie man viel Publikum erreicht. Dass nicht unbedingt der avantgardistischste, völlig abgedrehteste Film die richtige Wahl ist und das es durchaus erstrebenswert sein könnte, Geschichten so zu erzählen, dass sie in verschiedensten Ländern von Menschen verschiedensten Hintergrundes verstanden werden können, weil man dann eben das möglichst größte Publikum bekommt.

Dein Charakter als Ermittler Auschra, der zum Busunglück ermittelt, das aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, ist sehr zugänglich und fast schon kumpelhaft. Ganz anders als die meisten anderen Rollen in der Serie. Wie hast du die Figur angelegt? Auch mit dem Hintergrund, dass man einen solchen Ermittler nicht mehr neu erfinden kann?
Es gibt vor allem bei Ermittlern meistens Rollen wie den harten Hund, den einsamen, rauchenden, am Fenster stehenden und an seinem Privatleben verzweifelnden Typen, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit agiert. Auschra ist ein Gegenentwurf und deshalb ist er auch in unserer Geschichte der, dem sich die Betroffenen, die möglicherweise etwas über den, der die Ursache des Unfalls weiß, leichter öffnen. Seine Partnerin Anne Goldmundt steht im diametral dagegen. Sie ist wahnsinnig analytisch, aber kann nicht so wirklich gut auf der zwischenmenschlichen Ebene und dadurch ergänzen sich die beiden. Was den Autor auszeichnet, ist, dass er quasi diese Barriere zwischen Amtsperson und Befragten relativ leicht aufhebt, indem er barrierefrei mit den Leuten kommunizieren lässt. Und das funktioniert auch in den weiteren Folgen noch sehr gut.

Anne Goldmundt ermittelt harscher als Kollege Auschra – Hundkollege „Petergabriel“ sorgt für ...
Anne Goldmundt ermittelt harscher als Kollege Auschra – Hundkollege „Petergabriel“ sorgt für Auflockerung.(Bild: ORF)

Die Handlung kann man gut mit dem „Butterfly Effect“ aus Hollywood vergleichen. Es passiert etwas und die Schicksale von 113 Menschen werden dadurch für immer geprägt und verändert. Der Schmetterlingseffekt setzt ein.
Grundsätzlich ist dem Ganzen eine ganz nüchterne Studie des deutschen Verkehrsministeriums zugrunde gelegt, der zufolge bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall pro Opfer durchschnittlich 113 Personen betroffen sind. Vom Ersthelfer bis hin zu den Familien, Freunden, Feinden oder zufällig vorbeigehenden. Und davon ausgehend ist eben diese „Butterfly Effect“-Geschichte entstanden. Was ich so faszinierend fand, im Gegensatz zu vielen anderen Krimihandlungen, war, dass quasi jede Folge einen anderen Protagonisten in den Mittelpunkt nimmt und sich auch ästhetisch und von der Erzählweise diesen einzelnen Personen anpasst. Also keine Folge ist gleich wie die andere und trotzdem ist am Ende alles ein großes Ganzes – zusammengehalten durch die Ermittler. Aber wie gesagt, die Schicksale der Betroffenen stehen im Vordergrund und bestimmen auf eine gewisse Art und Weise, wie die Geschichten jeweils erzählt werden.

Hast du in der Vorbereitung auf diese Rolle bei Filmen und Serien recherchiert, die eine ähnliche Handlung haben?
Wenn es um Fernseh- oder Kino-Ermittlungen geht, gibt es für mich seit Jahren einen Goldstandard und das ist „The Wire“, und das habe ich einfach noch mal geschaut. Ich habe natürlich nichts nachgemacht, aber die Art und Weise, wie da realistisch mit Polizeiarbeit umgegangen wird, vor allem auch auf Seiten der Ermittler, das ist bis heute unerreicht. Man wollte dem Publikum damit etwa Joviales geben, dass man nicht denkt: „Ah, da steht der Herr Schutzmann am Eck, vor dem muss ich mich verstecken“, oder sofort Angst zu haben, vor dem Ermittler Fehler zu machen. Es geht um das Kumpelhafte, das auch dem Zuseher Spaß macht, weil er sich in solchen Figuren finden kann und nicht sofort das klassisch Autoritäre aus dem Polizeialltag durchklingt. Wenn man so spezifisch ermittelt wie Auschra, dann muss man auch anders agieren als übliche Polizisten. Wir treffen die Verbrecher ja nicht auf der Straße.

Das Thema Empathie spielt da auch eine Rolle. Die Empathie ist für „Hundertdreizehn“ überhaupt in vielerlei Hinsicht prägend und entscheidend.
Es geht eben nicht nur um die Frage, wer es getan hat, sondern auch darum, was mit den Menschen passiert ist? Nicht, was auf der einen Seite mit der Polizei und auf der anderen mit den Opfern geschieht. Vorher stellt sich die Frage, wer die Opfer überhaupt sind. Die Geschichten der Opfer sind untereinander sehr ereignisreich und kompliziert verwoben. Es gibt kein richtiges Richtig und kein richtiges Falsch. So wie das im wirklichen Leben auch ist und wahrscheinlich auch in so einem Fall. Gott bewahre, dass ich so etwas einmal erleben muss, aber das ist das, was mich an der Serie fasziniert hat. Es gibt keine klassische Opferzählung. Es gibt nicht den bösen Mörder und jene, die darunter leiden müssen, sondern alle haben ihre Schattenseiten und alle haben ihre empathischen menschlichen Seiten, die sie den jeweils anderen entgegenbringen.

Ist eine solche Serie wie „Hundertdreizehn“ deiner Meinung nach gerade auch deshalb wichtig, weil man in der realen Welt heute immer nach den einfachen Antworten sucht, das Leben dahinter aber immer viel komplexer ist?
Die Antwort darauf hast du eigentlich gestellt, die hätte ich mir nicht besser ausdenken können. Wahrscheinlich ist es so, dass man immer versucht, Dinge in richtig und falsch einzuteilen und zu glauben, dass man sich immer für eine Seite oder ein Team entscheiden muss. Das Leben ist aber kein Fußballspiel. Das ist ja das Schöne am Fußball: Man kann sich für eine Mannschaft entscheiden und dann leidenschaftlich dafür bzw. leidenschaftlich gegen die anderen sein, aber im Leben gibt es eben noch 15 Mannschaften zwischen diesen beiden Teams. Es wird in dieser Serie ganz gut thematisiert, dass es nicht – wie im Märchen - das exemplarisch Gute und exemplarisch Böse gibt.

Eine wichtige Erkenntnis ist auch, dass sich das Schicksal nicht formen lässt. Man ist ihm in gewisser Weise ausgeliefert und kann nichts dagegen tun. Sorgt das wiederum dafür, dass man manchmal vor Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit steht, weil man eh nur Passagier seines Lebens ist?
Eine gewisse Melancholie macht sich breit, wenn man sieht, dass die Zeitläufe sehr wohl beeinflussbar sind. Nur man weiß es in dem Moment nicht, wo man sie beeinflusst. Man kann immer nur in der Rückschau sehen, an welcher Stelle man sich entschieden hat, dass das Schicksal sich dahin entwickelt hat, wohin es sich entwickelt hat. Es ist ja kein Schicksal, das von außen gegeben wird, sondern wir sind doch irgendwie Steuerleute unserer Schicksale. Nur dass wir eben nicht wissen, wo die Kreuzungen auf uns zukommen und wann wir abbiegen hätten müssen. Das ist melancholisch auf der einen Seite, aber auch beruhigend auf der anderen.

Mit dem Schwarzweiß-Denken geht auch die Idee einher, dass man richtig oder falsch leben kann oder dass man sich für gewisse Dinge nur genug anstrengen muss – dann kann sie jeder erreichen. Oder dass jene, die sich nicht anstrengen, automatisch nichts erreichen. Oder wenn du nichts erreicht hast, hast du dich nicht genug angestrengt hast. Unsere Serie ist möglicherweise eine Gegenerzählung dazu. Es kann einem einfach etwas widerfahren. Du kannst dich noch so sehr angestrengt haben, noch so ein guter oder ein schlechter Mensch gewesen sein – du hast es nicht im Griff.

Ermittler Auschra ist mit einem großen Chaos konfrontiert – die Puzzleteile lassen sich nur ...
Ermittler Auschra ist mit einem großen Chaos konfrontiert – die Puzzleteile lassen sich nur mühsam zusammenbauen.(Bild: ORF)

Man kommt als Zuseher unweigerlich zum Nachdenken, weil alles im Leben Auswirkungen hat. Auch den Schluck Wasser, den du am Zoom-Bildschirm gerade trinkst oder die Tatsache, dass wir uns 15 Minuten miteinander unterhalten, verändert die Welt völlig …
Absolut. Man kann sagen, „Hundertdreizehn“ ist eine hochbudgetierte Produktion, die großartig aussieht, aber man muss auch sagen, die meisten, die dort mitgearbeitet haben, haben für weniger Bezahlung arbeiten müssen, um sie überhaupt ermöglichen zu können. Eine Produktion wie diese übersteigt den Finanzierungsrahmen einer klassischen Fernsehproduktion – und auch das ist eine Entscheidung. Man kann sich quasi für die Serie oder den Film entscheiden, bei der/dem man sehr gut Geld verdient, um sich dann ein schnelles Auto zu kaufen, aber halt nicht so unglaublich viel Interessantes zu erzählen hat. Oder man entscheidet sich dazu nicht das schnellste oder gar kein Auto zu haben, dafür aber sehr interessante Geschichten zu erzählen. Und momentan bin ich noch in der Lebensphase, wo ich mich meistens gegen das Auto entscheide. Mal sehen. Man weiß nie, wann die Midlife-Crisis kommt, dann kann sich alles ändern. Noch bin ich kurz davor. (lacht)

Die Figurenzeichnung in der Serie ist allgemein gut gelungen. Welche Figur aus der Serie würdest du am liebsten spielen, wenn es nicht Ermittler Auschra wäre?
Ich würde den Hund nehmen, weil der teilweise noch besser spielen kann. (lacht) Nein, es war ein toller Hund, aber wie sie oft ist alles so wundervoll im Drehbuch beschrieben und des scheitert dann an ihm. So in der Art von: „Im Sonnenaufgang radelt er mit seinem Rennrad durch die Straßen Kölns und neben ihm rennt sein aufmerksamer Hund hinterher und freut sich, mit dem Herrn endlich wieder auf der Straße zu sein.“ Wenn man das dreht, bleibt der Hund natürlich sitzen, oder ich fahre ihm mit dem Rad hinterher. Ich habe Würstel in der Hose. Nein, er hat ganz viele Sachen richtig gut gemacht.

Man muss die tierischen Darsteller für ihre Rollen auch loben.
Natürlich. Ich glaube, er wird wahrscheinlich auch die „Krone“ lesen, deshalb hat er seine Rolle auch so gut gespielt. Er heißt im echten Leben übrigens „Nesquik“.

In der Serie heißt Auschras Hund „Petergabriel“ – wer im Team ist denn der große Peter Gabriel-Fan?
Der Autor, aber ich finde, der Name passt sehr gut. Er verkörpert nämlich das, was die Schattierung oder die grauen Zonen in einem menschlichen Charakter zeigen. Bei so einem empathischen Menschen wie Auschra könnte man natürlich denken, er würde eher irgendwas Herzerwärmendes hören, wie Neil Young oder Cat Stevens, aber er hört den abgedrehten Prog-Rocker Peter Gabriel, der nicht zwingend etwas Warmes, sondern sogar was Technokratisch-Kaltes ausstrahlt. Diesen Sänger hat er eigentlich gar nicht in seinem Charakter, aber er strahlt dadurch ironische Zwischentöne aus.

Wenn man das musikanalytisch aufdröselt, müsste man sagen, Peter Gabriel steht für Mitte-70er-Prog-Rock-Bombast. Für das Überkandidelte und über allen Dingen stehende. Alles das ist Ermittler Auschra als Figur aber gar nicht.
Ein Stilist ist er aber schon. Er legt Wert darauf, dass sein Sakko schön ausschaut und wohl auch Wert darauf, dass auf seiner wunderschönen Anlage zu Hause schöne Musik rauskommt. Er muss sich erholen können von dem ewigen empathisch sein.

In der Produktion spielen wahnsinnig tolle Schauspieler aus verschiedensten Generationen mit. War das ein besonderes Geschenk für dich als Darsteller?
Das ging von den ganz jungen Schauspielerinnen, die alle großartig waren, bis hoch zu einer Koryphäe wie Armin Rohde. Das war ein Wahnsinn. Er unterhält das ganze Set von morgens bis abends und das, obwohl er gerade 70 geworden ist. Im Sommer 2024 haben wir viel in Wien gedreht und da hatte es drinnen oft bis zu 45 Grad, es war unmenschlich heiß. Dann steht da Armin in diesem Dreiteiler, in der alten Ankerbrotfabrik, ist unfassbar gut drauf, hat seine wunderschöne Leica-Kamera dabei und schießt ein Foto nach dem anderen. Diese Fotos sind genial und Armin ist nicht zu bremsen. Dazu ist er auch noch so wahnsinnig emphatisch. Das Erste, was ihm bei der Hitze einfiel, war, dass er mit drei Sackerl Elektrolytlösung in meine Hosentasche steckt. „Es wird heute ganz heiß, Robert. Nur damit du vorbereitet bist, falls dir schwindlig werden sollte, bitte trink eins davon. Sehr schnell in kleinen Schlucken.“ Der alte Kollege kümmert sich um den jungen, damit der nicht umfällt. Dazu hat er unheimlich viel Humor.

Das Konzept von „Hundertdreizehn“ kann man durchaus gut fortsetzen …
Handlungstechnisch schon, es könnten alle möglichen Unglücke passieren – an jeder Hausecke. Es kann auch nur ein Dachziegel herunterfallen und es wären wieder 113 Menschen betroffen. Das heißt, man könnte auch einen Film drüber machen: „Warum ist der Dachziegel vom Dach gefallen?“ Aber man kann natürlich auch ein Schiffsunglück in der Karibik als Sechsteiler inszenieren. Was mir noch besser gefallen würde, wäre auf einer Schutzhütte in den Alpen. Da könnte ich mir auch gut vorstellen, sechs Folgen zu drehen. Also ja, ich bin für ich bin für alles offen. Der Hund ist mittlerweile trainierter als bei der letzten Staffel. Falls es eine weitere Staffel geben sollte, stehe ich bereit.

Wenn du es dir aussuchen könntest – würdest du lieber Wiener „Tatort“-Kommissar oder Herrl von „Kommissar Rex“ werden?
Auf jeden Fall „Tatort“-Kommissar. Der „Tatort“ war eine der ersten Sendungen, die ich überhaupt im Fernsehen gesehen habe, neben „Universum“. Mein Großvater hat mir das erlaubt, damit er einen Trumpf gegen meine Eltern in der Hand hat. Schon ab dem ersten Moment wollte ich im „Tatort“ mitspielen. Mittlerweile habe ich mir diesen Traum mehrmals erfüllt, aber leider war ich bislang immer nur der Mörder. Ich würde gerne einmal die Seiten wechseln und wo wäre es schöner als in Wien?

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