„Krone“-Musikredakteur Robert Fröwein war am 5. Juli live im Birminghamer Villa Park, als sich Ozzy Osbourne und Black Sabbath im Zuge des zehnstündigen „Back To The Beginning“-Events für immer von der Bühne verabschiedeten. Nun hat sich Ozzy mit 76 Jahren aus dem Leben verabschiedet – dafür jenes des Redakteurs entscheidend geprägt. Ein persönlicher Nachruf.
Anfang Juli 2017 spielte Tom Petty mit den legendären Heartbreakers im Londoner Hyde Park. Eine Greatest-Hits-Revue, von der mir meine spätere Lebensgefährtin und diverse Branchenkollegen im Nachhinein euphorisch berichteten. Ich war nämlich nicht dabei. Habe lange überlegt, war zu lange unentschlossen und dachte mir „der kommt sicher noch näher. Berlin vielleicht. Günstiger und praktischer“. Knapp drei Monate später war Tom Petty tot. Das Hyde-Park-Konzert war sein letzter Auftritt in Europa und für mich als langjährigen, großen Fan, bleibt bis heute und in alle Ewigkeit der bittere Nachgeschmack, eine aufgelegte Chance unwiederbringlich verpasst zu haben. Acht Jahre später versuche ich verzweifelt an Karten für das letzte Konzert von Ozzy Osbourne im Villa Park von Birmingham zu kommen. Eine Zehn-Stunden-Show mit Rock- und Metal-Superstars aus aller Welt. Freunden, Wegbegleitern, Nachahmern, musizierenden Fans. Ein einziges Konzert für Millionen Ozzy-Fans – limitiert auf nicht einmal 50.000 Tickets.
Das Wochenende meines Lebens
Erfolgsaussichten: keine Chance. Doch drei Wochen vor dem Gig tut sich ein Fenster auf. Der Klassiker. Es werden wieder Karten aufgelegt, aus „produktionstechnischen Gründen“, wie es im Veranstalterjargon gerne heißt, wenn man plötzlich noch ein paar Eckerl zum Geldeinnehmen findet oder dürstenden Fans überteure Karten mit imaginärem „letzte Chance“-Aufdruck feilbietet. Umgerechnet 380 Euro, Sitzplatz. Gekauft. Nach dem Tom-Petty-Fiasko habe ich mir geschworen, nie wieder eine derartige Chance zu verpassen. Dabei ist der Trip nach Birmingham nur ein Teil des wohl besten Wochenendes meines Lebens. Es beginnt am Donnerstag mit der ersten Slayer-Europashow nach sechs Jahren in Cardiff, geht am Freitag weiter mit der ersten Oasis-Show nach 16 Jahren in Cardiff, führt mich am Samstag nach Birmingham, wo von 13 bis 23 Uhr die größten Superstars der Welt bei „Back To Beginning“ Ozzy Osbourne und seiner Band Black Sabbath huldigen und endet Sonntag in London, wo ich mir Slayer noch einmal ansehe – was ich aber erst während Ozzys Show am Samstag spontan entscheide.
Den Auftritt am 5. Juli in Ozzys Geburtsstadt kann man nicht in Worte fassen – selbst biblische Ausdrücke wie „legendär“, „sagenhaft“ oder „unglaublich“ würden dafür nicht ausreichen. Superstars wie Steven Tyler, James Hetfield, Tom Araya, Axl Rose oder Jungstar Yungblud geben sich auf der Bühne die Klinke in die Hand, spielen im Halbstundentakt ihre größten Hits und covern berühmte Sabbath- oder Ozzy-Songs. Queen-Gitarrist Brian May sieht sich das Spektakel vier Reihen hinter mir aus der Zuschauerperspektive an, Metal-Größen wie Behemoth-Frontmann Nergal, Satyricon-Sänger Satyr oder Misfits-Kultfigur Wolfgang Doyle von Frankenstein befinden sich im ganz normalen Publikumsbereich. Am Ende eines langen, ereignisreichen und unvergesslichen Tages wird Ozzy auf einem Fledermausthron auf die Bühne geschoben. Der schwer an Parkinson erkrankte Kultmusiker kann kaum noch selbstständig gehen oder stehen, hat diesem Gig aber gemeinsam mit Ehefrau und Organisatorin Sharon hingefiebert. Mit den physischen Therapeuten soll er über alle Grenzen gegangen sein, um diesen Abend einzigartig zu gestalten.
Moment der Endlichkeit
Noch ein letztes Mal den Hampelmann auf der Bühne geben. Noch ein letztes Mal jene Lieder singen, die Millionen von Fans aus unterschiedlichsten Generationen durch alle Phasen des Lebens begleitet haben. Noch ein letztes Mal im enthusiastischen Jubel der Menge baden und alles auf sich einwirken lassen. Die wichtigsten Nummern seiner ab den 80er-Jahren forcierten Solokarriere sorgen für Begeisterung. „I Don’t Know“ und „Mr. Crowley“ singt er holprig, aber mit liebevoller Inbrunst. „Suicide Solution“ zeigt den Top-Rocker und als er stockt, steht ihm Gitarrist und Lebensfreund Zakk Wylde bei. Bei „Mama I’m Coming Home“ kommen nicht nur volltätowierten, auftrainierten und gestandenen Mannsbildern im Stadion die Tränen, sondern auch Ozzy selbst. Nachbetrachtet war dies vielleicht ein Moment der bewussten Endlichkeit. Der Klarheit darüber, dass dieser Moment noch einmal all die Höhen einer einzigartigen Karriere zusammenfasst, die so nie geplant war.
Die nackten Fakten über Ozzy sind weithin erzählt. Gewalttätiges Elternhaus, Perspektivlosigkeit in der Industriehochburg Birmingham, Flucht in den Rock’n’Roll und Wandlung zum größten Exzentriker der modernen Musikhistorie. Er beißt einer Fledermaus den Kopf ab, weil er sie anfänglich für eine Attrappe hält. Er zieht sich Ameisen wie Koks durch die Nase, weil er ärger sein möchte als die Glam-Metal-Rabauken Mötley Crüe. Sturzbetrunken versucht er 1989 – zum Glück vergeblich – seine Frau Sharon zu erwürgen. Jene Sharon Osbourne, die seit 1982 mit ihm verheiratet war und ohne die Ozzy wahrscheinlich schon gut zwei Dekaden tot wäre. Jene Sharon, der man gerne vorwirft, sie würde sogar abgezwickte Zehennägel monetarisieren, die das „Back To The Beginning“-Event aber in akribischer Detailverliebtheit organisierte und die Einnahmen von nahezu 200 Millionen Pfund an eine Parkinson-Hilfe, ein Kinderspital und ein Kinderhospiz aufteilte.
Ozzy als Lebensbegleiter
Für die breite Öffentlichkeit galt Ozzy stets als „Prince Of Darkness“, tief in sich war er ein liebender Familienmensch mit einem ausufernden Hang zum Exzess, der keine Suff- und Drogenparty ausließ, aber sein Herz stets am rechten Fleck hatte. Black Sabbath waren mit ihrem breitflächigen Durchbruch 1970 die Ursuppe für alles, was Heavy Metal werden sollte. Für mich persönlich war Ozzy in all seinen Manifestationen eine Konstante in meinem Leben als Musikfanatiker. Ohne ein Gesicht zur Stimme zu haben, begeisterte mich als Kind „Paranoid“ in der Aral-Tankstellenwerbung. Das doomige „Iron Man“ mit Tony Iommis bleischwerem Signature-Riff war eine meiner wichtigsten Brücken in den Heavy Metal und der unwiderstehliche Rhythmus seines Solosongs „Bark At The Moon“ begleitete mich in meiner dörflichen Adoleszenz via Discman das eine oder andere Mal beim Heimgehen vom Stammbeisl ins Elternhaus.
Journalistisch bot sich mir 2014 vor dem großartigen Auftritt von Black Sabbath beim Nova Rock die einmalige Möglichkeit, in London ein Interview mit einem Bandmitglied zu führen. Bis zwei Minuten vor dem Gespräch wusste ich nicht, ob ich Ozzy oder Tony Iommi treffen würde – es wurde schlussendlich der Gitarrist, was möglicherweise ein besseres Gespräch und einen umfassenderen Artikel zur Folge hatte. Meine Wege kreuzten sich nie mit Ozzy, sondern gingen stets mit Respektabstand an ihm vorbei. Etwas später sollte noch ein spontan eingefädeltes Telefoninterview folgen, das einerseits an der schlechten Verbindung, andererseits an Ozzys Stottern kläglich scheitern sollte. Ozzy und ich – es sollte einfach nicht sein. Und doch war er immer da. Als beeindruckender „Madman“ in meiner Teenagerzeit und als Heavy-Metal-Konstante in meinem Erwachsenenleben. Seine musikalische Präsenz war bei mir nicht überbordend, aber beständig. Noch heute kann ich mich in verklärter Nostalgie suhlen, wenn „Changes“, „Sweet Leaf“ oder „Crazy Train“ rotieren.
Liebe von allen Seiten
Als Ozzy mit Black Sabbath an besagtem Birmingham-Abend vier Lieder lang ein ganzes Stadion und Millionen von Fans vor den Streaming-Bildschirmen glücklich machen, hat sich nicht nur für mich, sondern vor allem auch für ihn ein Kreis geschlossen. Mit dem Verklingen des Abschlusssongs „Paranoid“, dem anschließenden Feuerwerk und der von Bassist Geezer Butler noch auf der Bühne überreichten Torte verpufft ein Kapitel der Musikgeschichte, das nicht reproduzierbar ist. Es mutet fast bizarr an, dass sich Ozzy knappe drei Wochen Zeit gelassen hat, um das Irdische endgültig zu verlassen, denn an jenem Abend, im Kreise seiner Liebsten, hat er noch einmal all das erlebt, was ihn ein Leben lang ausgemacht hat. Die große Bühne, die große Show und Liebe von allen Seiten. Ozzy und ich haben beide richtig entschieden. Er hat den würdevollsten Abschied der Musikhistorie gefeiert und ich meinen Tom Petty-Fehler nicht wiederholt.
Jetzt kann Ozzy mit Lemmy Kilmister, Randy Rhoads, Ronnie James Dio und Co. an einem anderen Ort jammen. Oder eben nicht – denn er hat mit seinen Freunden und Wegbegleitern noch im Diesseits den bestmöglichen Tag seines späten Lebens verbracht. Mehr Rock’n’Roll geht wirklich nicht.
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