Nach mehr als zehn Jahren kehrt Richard Wagners „Tannhäuser“ zurück an die Wiener Staatsoper. Die US-amerikanische Regisseurin Lydia Steier zeigt mit der Neuproduktion ihre erste Regiearbeit am Haus. Ein Interview über Pflicht und Rausch, das Politische in der Kunst und Oper als Nachdenkraum.
Es wird ein Abend der vielen ersten Male: Lydia Steier inszeniert erstmals im Haus am Ring, der scheidende Musikdirektor Philippe Jordan dirigiert das Werk hier zum ersten Mal und in der Rolle des Tannhäuser gibt der US-amerikanische Heldentenor Clay Hilley sein Hausdebüt, dazu gibt es zahlreiche Rollendebüts.
Warum spielt man die Wagner-Oper um den Sängerkrieg auf der Wartburg heute? Wie kann man den in der Oper zentralen Widerstreit zwischen Leidenschaft und Pflicht, zwischen Entgrenzung und strengem Regelwerk heute lesen? Die „Krone“ erreichte Regisseurin Lydia Steier zwischen den Proben für ein Interview. Gut gelaunt und in fließendem Deutsch spricht sie über die Aufgabe von Kunst als Spiegel der Gesellschaft, was Tannhäuser zum Rockstar macht und warum sie als Regie-führende Frau an der Oper doppelt so genau sein muss.
„Krone“: Was hat Sie gereizt, „Tannhäuser“ zu inszenieren? Was macht das Stück heutig?
Lydia Steier: Es geht um eine gefühlte oder echte Ausgrenzung von Menschen, die anders sind. Die anders ticken. Tannhäuser bricht aus der engen moralischen Korsage seiner Gesellschaft aus, indem er im Venusberg ist. Aber nicht nur er gerät an Grenzen. Auch Wolfram und sogar Elisabeth hadern damit, das absolute Regelsystem aufrechtzuerhalten. Das ist besonders in Anbetracht des aktuellen Rechtsrucks brisant. Es ist wieder Thema, ob und wie Menschen ihr Leben nach ihren ganz persönlichen Vorstellungen gestalten.
Welche Macht hat die Kunst in solchen Zeiten des Umbruchs?
Künstler haben keinen direkten Einfluss. Wir sind keine Politiker, schreiben keine Gesetze. Aber es ist unsere Verantwortung, unbequeme oder unpopuläre Themen aufzubringen. Wir haben ein wunderbares Forum, das Publikum. Es ist wichtig, dass wir in diesem Publikum eine gewisse Wachheit bewahren und schärfen.
Ist Kunst dabei eine Art Spiegel der Gesellschaft?
Ein Spiegel, ein indirekter zumindest. Ich versuche immer, unseren gegenwärtigen Druck als Gesellschaft zu präsentieren in meinen Arbeiten. Dabei will ich zum Nachdenken inspirieren, dazu anregen, das eigene Wertesystem zu hinterfragen. Dafür muss man aber erst ästhetisch verführen, um dann ein Nachdenken verlangen zu können.
Kunst öffnet also einen Nachdenkraum für die Besucher?
Absolut und das ist wirklich wunderbar, auch weil es ein öffentlicher Ort ist. Da sitzen 1500 Menschen in einem Raum, sehen und hören dasselbe – und erzählen ihren Mitmenschen, was die gesehen haben, was sie bewegt hat. Das ist schon ein sehr starkes Mittel, das wir da in der Oper haben.
Was für eine Künstlerfigur wäre ein Tannhäuser heute?
Er ist ein absoluter Hedonist, nicht so saniert und gemanagt wie die meisten Popkünstler heute. Eher eine männliche Amy Winehouse. Ein Rockstar, der wirklich einfach alles erlebt – Sex, Drogen, Rausch. Das inspiriert ihn für seine Kunst. Deshalb hat er auch keine Geduld für andere von seiner Zunft, die nur so tun, als ob sie etwas erlebt hätten; die die Liebe ganz akademisch beschreiben – das macht ihn aggressiv.
Im Stück ringen zwei Kräfte miteinander: Leidenschaft und Genuss, andererseits Pflicht und Frömmigkeit. Wo stehen wir da als Gesellschaft gerade?
Mitten drin in einem sehr perfiden Rückschlag in Richtung Frömmigkeit und Angepasstheit. Wir hatten riesige Fortschritte gemacht in Sachen Akzeptanz. Wir haben erlebt, wie sich Menschen kaleidoskopisch verschieden identifizieren. Und jetzt haben wir, besonders in meiner Heimat USA, ganz strikte Regelung dafür, wie man als Frau oder als Mann zu sein hat. Transsexualität existiert nicht mehr, man hat sich in bestimmten Mustern zu präsentieren – oder man gehört nicht dazu. Wir haben jetzt weniger Freiheit als wir vor fünf Jahren – und ich fürchte, so wird es weiter gehen.
Zu welcher der Figuren haben Sie eine spezielle Beziehung und warum?
Das ändert sich nach jeder Probe! Wir sehen in Wolfram und Tannhäuser ja zwei sehr ähnliche Figuren. Einer kann gar nichts anfangen mit dieser gesellschaftlichen Korsage. Und der andere ist fast erdrückt davon. Aber ich finde es sehr berührend, wie Wolfram geschrieben ist. Als eine der wenigen Frauen, die Regie führen an der Oper, habe ich weniger Freiheiten als männliche Kollegen. Da geht es vielmehr um Diplomatie und Regeln. Wir Frauen müssen uns erst einmal perfekt benehmen, um überhaupt Kunst zu produzieren. Insofern ist Wolfram mit diesem ganzen Regelwerk etwas, wo ich schon eine Verbindung spüre.
Welchen Gedanken würden Sie Besuchern gerne mitgeben mit diesem „Tannhäuser“?
Dass wir alle den Mut haben müssen, etwas falsch zu machen. Dass wir an unbekannte Orte gehen und uns beflügeln lassen. Die Angst davor, gesellschaftlich betrachtet einen Fehler zu machen, und dafür zu verneinen, was tief in uns steckt, das ist viel ätzender für die Seele.
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