„Völlig im Unklaren“
Gefangenenaustausch: Deutsch-Russe berichtet
Ein Jahr liegt der Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen nun zurück. Russland bekam dabei unter anderem den sogenannten Tiergartenmörder Wadim Krassikow aus deutscher Haft frei, dafür konnte etwa der US-Reporter Evan Gershkovich ausreisen. Ein weniger bekannter Aktivist hat jetzt zurückgeblickt.
Er sei im Juli 2024 angewiesen worden, seine Sachen zu packen und beim Gefängnis in einen Bus zu steigen. „Ich war allein und völlig im Unklaren“, sagte der Jurist German Moyzhes. „Also, wenn die mir gesagt hätten: ‚Du wirst jetzt zum Mond fliegen‘, hätte ich das auch nie ausgeschlossen. Man ist ja völlig macht- und rechtlos.“
Der Deutsch-Russe war Teil des Gefangenenaustauschs zwischen Russland und dem Westen. Diesem sind jahrelange, nicht öffentliche Verhandlungen vorausgegangen, an denen auch die USA beteiligt waren. Lange zögerte die damalige deutsche Regierung, den zu lebenslanger Haft verurteilten Krassikow vorzeitig ziehen zu lassen. „Denn es ging um die Abwägung zweier bedeutender Rechtsgüter: Menschenleben einerseits und die gerechte Strafe für einen Mörder andererseits“, sagte der damalige Justizminister Marco Buschmann (FDP). Krassikow war ein russischer Agent und hat einen Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen.
Hier sehen Sie ein Foto von dem Ex-Gefangenen:
War wohl „zusätzliche Geisel“
Laut Berichten wurde bei den Verhandlungen erwogen, die Freilassung des wichtigsten russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny zu verlangen. Sein Tod brachte die Gespräche dann ins Stocken. Moyzhes vermutet, dass er als zusätzliche „Geisel“ für diesen Deal gebraucht worden sei. Der heute 40-Jährige wurde in Russland geboren und wanderte mit seiner Familie als Kind nach Deutschland aus. Dort studierte er, bevor er zurück nach St. Petersburg ging und beruflich EU-Visa für Geschäftsleute beantragte. Er habe sich mit Diplomatinnen und Diplomaten angefreundet, sei deshalb auf dem Radar der russischen Behörden gelandet. Diese hätten ihn verdächtigt, ein Spion zu sein.
Also, wenn die mir gesagt hätten: ‘Du wirst jetzt zum Mond fliegen‘, hätte ich das auch nie ausgeschlossen. Man ist ja völlig macht- und rechtlos.
Der freigelassene Jurist German Moyzhes
„Das heißt, ich bin mehrere Jahre beobachtet worden“, erzählte der Jurist. Russland sei wohl davon ausgegangen, dass sich Deutschland um seine Freilassung bemühen werde. Dem Deutsch-Russen drohten 20 Jahre Haft, er kam letztendlich nach nur zwei Monaten frei. Im Flieger saß er dann mit bekannten politischen Häftlingen. In Ankara „gab es Essen, wir konnten telefonieren und dann wurde gesagt, dass wir nach Köln/Bonn fliegen“, erinnerte er sich.
Auf dem militärischen Flughafen seien die Freigelassenen vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz empfangen worden. „Ich glaube, dass das eine richtige Entscheidung ist. Und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte, dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind“, sagte dieser. Moyzhes ist inzwischen als Geschäftsführer der orthodoxen Synagoge an der Berliner Brunnenstraße tätig. Zurück nach Russland kann er nicht mehr. „Ich fühle mich schon irgendwo im Exil.“
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