Der Mount Everest fasziniert. Einst das Symbol für Grenzerfahrung, ist er heute das Ziel kommerzieller Expeditionen. Wieso stehen heute an einem einzigen Tag mehr Menschen auf dem höchsten Punkt der Erde als früher in einem ganzen Jahrzehnt? Und was hat ein Luxus-Basecamp mit Bürojob zu tun? Wer den Mount Everest besteigen will, braucht heute nicht mehr zwingend alpines Können – sondern vor allem eines: sehr viel Geld.
Die Tage zwischen dem 6. und 20. Mai gelten als optimales Zeitfenster, um den Mount Everest zu besteigen. In dieser Zeit beruhigt sich in der Regel der Jetstream, Stürme lassen nach, und eine kurze Phase stabilen Wetters ermöglicht den Aufstieg in die „Todeszone“.
Dieses Zeitfenster ist das Einzige, was sich – seit Reinhold Messner und Peter Habeler am 8. Mai 1978 ohne Flaschensauerstoff den höchsten Gipfel der Erde erreichten und Alpingeschichte schrieben – nicht verändert hat.
„Die Bergsteiger heute haben keine Ahnung mehr, sie sind abhängig von den Sherpas, die sie an der Hand nehmen und ihnen jede Entscheidung abnehmen“, wettert Bergsteiger-Legende Wolfgang Nairz.
Ich war mit meinen Bergkameraden einhalb Stunden auf dem Everest-Gipfel und konnte die unvorstellbare Aussicht genießen. Heute hat man nur wenige Minuten Zeit dafür und muss schon den Platz für die Nachfolgenden räumen.
Wolfgang Nairz, Bergsteiger-Legende und einer der ersten Österreicher, der den Mount Everest-Gipfel erreichte.
Bild: Wolfgang Nairz
Der heute 80-jährige Tiroler leitete 1978 die erste österreichische Everest-Expedition und erreichte zusammen mit Robert Schauer und Horst Bergmann als erste Österreicher das Dach der Welt. „25 Jahre nach der Erstbesteigung war ich damit der sechzigste Mensch am Everest, zehn Jahre später waren es bereits 300 und heute stehen 200 Personen an einem Tag auf dem Gipfel“, sagt Nairz im Gespräch mit der „Bergkrone“.
Heuer ist die Everest-Saison längst angelaufen, und die Sherpa haben bald die Fixseile bis auf den 8.848 Meter hohen Gipfel verlegt. „Fixseile gab es bei uns nicht, auch keine Hochträger oder vorbereitete Lager. Wir waren ab dem Südsattel in Zweierseilschaften unterwegs“, so Nairz: „Der Everest war damals halt noch ein Ort des Extremen und wirklich nur den besten Bergsteigern vorbehalten.“
Der höchste Berg als Reiseziel
Viereinhalb Jahrzehnte später ist der Mount Everest zugänglicher denn je und Symbol persönlicher Selbstverwirklichung oder prestigeträchtiges Abenteuer.
„Große, beheizte Zelte und Betten im Basislager, TV-Geräte und Internet. Wenn das Wetter einmal nicht passt, dann fliegt man mit dem Hubschrauber nach Kathmandu, um Büroarbeiten zu erledigen“, weiß Nairz. Die heutige permanente Verbindung zur Außenwelt steht im völligen Kontrast zur Isolation früherer Expeditionen.
„Der Everest ist für mich ein Spiegelbild unserer heutigen Gesellschaft“, findet der Wiener Everest-Besteiger Gerhard Osterbauer, der sich aktuell in Nepal befindet: „Es geht einfach immer nur um den Superlativ, also um spektakuläre Abenteuer zu erleben, bei möglichst wenig Risiko.“
Einer der weltweit erfolgreichsten und exklusivsten Anbieter im Everest-Geschäft ist heute der Tiroler Lukas Furtenbach. Seine Kunden sind bereit, bis zu 200.000 Euro für das komplett servicierte Everest-Erlebnis zu bezahlen. Vier Briten wollen mit Furtenbach Adventure und dem Einsatz des Edelgases Xenon heuer sogar einen Rekord aufstellen und binnen sieben Tagen von London auf dem Gipfel und wieder zurück im Vereinigten Königreich sein.
„Viel besser und sicherer als Lukas kann man Expeditionen nicht anbieten“, findet Osterbauer, der das Buch „Mount Everest – Mythos und Wirklichkeit“ veröffentlicht hat: „Lukas Furtenbachs Kunden sind Leute, die bergsteigerisch vielleicht weniger Erfahrung haben, aber in ihrem Berufsleben eine hohe Professionalität an den Tag legen. Die wollen das Beste vom Besten – und können es sich leisten.“
Osterbauer war selbst 2022 mit einer kleinen nepalesischen Agentur am Everest: „Die waren sehr bemüht, aber ich musste mich selbst mental und körperlich mehr in die Expedition einbringen – dafür war es aber auch sehr viel günstiger.“
Gipfelstau sorgt für schlechtes Image
Was Bergsteiger Gerhard Osterbauer wirklich stört, ist, dass der Mount Everest aufgrund von Fotos von Bergsteiger-Staus im Hillary Step unterhalb des Gipfels ein schlechtes Image bekommen hat: „Heute muss man sich fast schon rechtfertigen, wenn man am Everest war. Dabei ist der Everest nach wie vor ein wunderschöner Berg und die Bilder der Warteschlange unterhalb des Gipfels nicht repräsentativ, denn es sind nur ein bis zwei Tage im Jahr, wo am Berg zu viel los ist.“
Grundsätzlich ist das Mount Everest Bergsteigen heute reiner Kommerz und der Tiroler Lukas Furtenbach die Idealbesetzung dafür. Denn Lukas bietet seinen Kunden nicht nur ein ärztliches Monitoring sondern auch die besten Bergführer und Sherpas.
Gerhard Osterbauer, Profibergsteiger aus Wien und Buchautor „Mount Everest – Mythos und Wirklichkeit“
Bild: Gerhard Osterbauer
Osterbauer, der österreichweit Vorträge in Gesundheitseinrichtungen über seine Bergabenteuer zwischen Arktis und Antarktis hält, zieht einen Vergleich mit der Wiener Südosttangente: „Montagfrüh wird man dort sicherlich im Stau stehen, während man am Dienstagnachmittag ohne Probleme fahren kann.“
Dennoch hat der Everest seine Magie verloren und spiegelt heute nicht nur die Entwicklung des Alpinismus, sondern auch die Werte einer Zeit, die Schnelligkeit über Erfahrung stellt und Perfektion über das Erleben. Aber die Faszination des höchsten Berges der Welt bleibt – nur ihr Weg hat sich verändert.
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