Der Wiener Finanzstadtrat Hugo Breitner – ein ehemaliger Banker – verschaffte Wien in den 1920er-Jahren mit Luxussteuern die nötigen Mittel für seine Gemeindebauten. Der Historiker Wolfgang Maderthaner erklärt, warum die neuen Eheberatungsstellen auch mit diesen „Breitner-Steuern“ zu tun hatten.
„Krone“: Wie und wann führt Otto Breitner, der finanztechnische Mastermind der Sozialdemokraten der Ersten Republik, seine berühmten „Breitner-Steuern“ ein?
Wolfgang Maderthaner: Wir hatten nach dem Ersten Weltkrieg folgende Situation: Die Inflation hat das bürgerliche Vermögen vernichtet. Aber sie hat auch in kürzester Zeit die Schulden der Stadt getilgt. Die Geldspirale begann sich also wieder bei null zu drehen. Jetzt konnte man auch wieder investieren, und die Gemeinde trat nun als Wirtschaftsfaktor auf. Ihr erstes großes Projekt war im Jahr 1920 der Bau von Sozialwohnungen auf der Schmelz, den ehemaligen kaiserlichen Manövergründen. Hier testete man den ersten „Gemeindebau“. Man fragte Hubert Gessner – der ein Freund des verstorbenen Viktor Adler und Otto Wagner-Schüler war, aber kein Sozialdemokrat –, ob er dieses Projekt übernehmen wolle. So ein Bau musste natürlich finanziert werden und dafür brauchte man wiederum einen Finanzprofi: jemanden, der exzellente Fachkenntnisse besitzt und solche Bauvorhaben auch finanziell umsetzen konnte. Man fand diesen Profi im später äußerst bekannt gewordenen Direktor der Länderbank, Hugo Breitner – übrigens der einzige Bankdirektor, den die Sozialdemokraten damals persönlich kannten.
Breitner macht sofort klar, dass man nur dort Steuern einnehmen kann, wo auch Geld vorhanden ist – und das war bei den Spekulationsgewinnen und beim Luxuskonsum.
Wolgang Maderthaner über die Treffsicherheit der neuen Steuern
Und Breitner gelang das Meisterstück, der Gemeinde einen finanzpolitischen Rahmen zu gestalten, innerhalb dessen die rege Bautätigkeit Wiens erfolgreich umgesetzt werden kann.
Breitner mache sofort klar, dass man nur dort Steuern für die Projekte dieses „neuen Wien“ einnehmen kann, wo auch Geld vorhanden ist – und das war bei den Spekulationsgewinnen und beim Luxuskonsum.
Der Mittelstand und die kleinen Gewerbetreibenden wurden geschont?
Breitner besteuerte nur den sogenannten „neuen Luxus“, jedoch nicht das produktive Element des Bürger- und Unternehmertums. Nicht die Handwerker, nicht die Mittelbetriebe, sondern Börsenspekulanten wie den legendären Siegmund Bosel oder Camillo Castiglioni.
Das heißt, man konnte durch die Besteuerung der Superreichen den kommunalen Wohnbau einer Großstadt finanzieren?
Finanztransaktionssteuern in unserem heutigen Sinn gab es freilich noch nicht. Aber: Dort, wo sich das Geld sozusagen „materialisiert“ hat, dort konnte und dort hat man auch üppig besteuert. Konkret: Wer in Wien wohnte und sich hier amüsierte, der entkam den „Breitner´schen Luxus-Steuern“ nicht. Breitner ließ Luxusrestaurants, Bars, Pferderennen, Champagner, den Besuch von Bällen etc. hoch besteuern. Für die Wiener Gemeinde bedeutete das, dass auf einmal Geld in die Stadtkassen gespült wurde, das man zudem nicht mehr an den Bund abliefern musste – man war ja jetzt ein eigenes Bundesland. Damit eröffnete sich plötzlich eine finanzielle Basis für dieses kommunale Experiment. Und nun spricht man gezielt die fähigsten Architekten ihrer Zeit an, wie zum Beispiel Clemens Holzmeister, die den sozialen Wohnbau nachhaltig prägen werden.
Wer in Wien wohnte und sich hier amüsierte, der entkam den „Breitner´schen Luxus-Steuern“ nicht.
über Breitners Null-Toleranz bei Luxus
Wo und wie wurde nun gebaut?
Gebaut wurde auf jenen Gründen, die der Gemeinde bereits gehörten. Die Sozialdemokraten konnten auf der Bodenerwerbspolitik des früheren Wiener Bürgermeisters Karl Lueger aufbauen. Dieser hatte schon während seiner Amtszeit gezielt Gründe für die Gemeinde aufgekauft. Diese Grundstücke lagen vorwiegend an der Peripherie Wiens.
Allerdings durften nun aber – im Gegensatz zur Spekulationsverbauung in der Zeit vor 1914 – nur mehr 30 bis maximal 40 Prozent der Grundfläche verbaut werden. Das bedeutete, dass man nun gezielt in die Höhe baute und verdichtete – und die typischen „Superblocks“ entstanden.
Der klassische Gemeindebau dieser Zeit hatte kleine Wohnungen, viel Grün rundum, und war mit vielen Gemeinschaftseinrichtungen ausgestattet.
wie die neuen Wohnbauten aussehen sollten
Man hat während der Ersten Republik – anders als etwa später, in den 1950er oder 1960er Jahren – auch darauf geachtet, dass diese Gemeindebauten in ihr historisch gewachsenes Umfeld passen, also in einer lokalen Bautradition verortet sind. In Wien ist das Barock und Biedermeier, was erklärt, warum diese ersten Gemeindebauten hinsichtlich ihrer Ornamente so „verspielt“ sind. Der klassische Gemeindebau dieser Zeit hatte kleine Wohnungen, viel Grün rundum, und war mit vielen Gemeinschaftseinrichtungen ausgestattet: Waschküchen, Schulen, Zahnkliniken, bis hin zu Eheberatungsstellen.
Warum waren Eheberatungsstellen wichtig?
Weil Geburtenplanung ein großes Thema war. Hier floss viel ein, es ging nicht mehr nur um würdiges Wohnen. Man wollte auch, dass die Menschen ein würdiges Leben führen konnten. Schicksale, wie sie vor 1914 Alltag waren, als der klassische Arbeiter mehr Kinder hatte, als er ernähren und versorgen konnte, wollte man durch Aufklärung vermeiden.
Es ging also von Anfang an um mehr, als nur sozialen Wohnbau. Wollte man auch eine „neue“ Gesellschaft?
Ich würde eher sagen, dass man das in einem Prozess entwickelte. Man hat nicht per se „den neuen Menschen“, gesund, stark und geistig aktiv, geplant. Man wollte eher verschiedene Dinge miteinander verbinden. Das sind Konzeptionen, die schon von Victor Adler stammen, der deutlich von „Qualifizierung“ sprach. Wenn die Arbeiterschaft auch Führungsverantwortung in diesem Staat übernehmen will, dann muss man bildungsferne, unter katastrophalen hygienischen Umständen lebende Menschen an neue Verhältnisse heranführen, so, dass sie in weiterer Folge Unabhängigkeit Selbstverantwortung und Selbstständigkeit erlangen können.
Der Historiker war Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs und Leiter des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die Massen- und Populärkultur, Theorie der Stadt und urbane Anthropologie.
Es ging darum, in jeder Hinsicht ungesunde Lebensumstände zu ändern, Bildung zu erlangen, Sport, aber auch Natur in sein Leben zu integrieren – das war die Idee. Das Stereotyp des dumpfen, alkoholsüchtigen Arbeiters sollte endlich gebrochen werden. Die Utopie war, dass auch die Arbeiter eines Tages die Kulturgüter der deutschen Aufklärung genießen, dass auch der Arbeiter etwa Goethe genießen kann. Dafür muss man natürlich erst die Voraussetzungen schaffen. Zuerst müssen die Menschen menschenwürdig wohnen können.
Wie weit ging man für diese Utopie?
Der nächste Schritt war, die Menschen aus ihren zum Teil extrem schwierigen sozialen Milieus herauszuholen. Ganz gezielt, mit guten Angeboten: Die Mütter erhielten etwa die begehrten Säuglingspakete und den Mutter-Kind-Pass, aber sie mussten in die Eheberatungsstelle und einen Säuglingskurs absolvieren, in manchen Fällen mussten sie auch mit der Fürsorgerin Kontakt aufnehmen. Das hatte natürlich einen gewissen Überwachungsaspekt, das ist gar keine Frage, aber die Erfolge sprechen für sich: Die Kindersterblichkeit ging eklatant zurück, die Kinder konnten einen Kindergarten besuchen, erhielten ein warmes Mittagessen, bekamen eine vorschulische Ausbildung etc. Oder Hygiene: Die öffentliche Hygiene wurde verbessert, man begann, Bäder zu bauen, man brachte den Menschen Hygiene nahe. Das Ergebnis war, dass die Tuberkulose nahezu ausgerottet wurde.
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