Mit einer Mischung aus Alternative Pop, Grunge und Punk-Rock-Attitüde begeistert die 26-jährige Wahl-Britin Arabella Latham aka Baby Queen ihre Generation. Auf dem Album „Quarter Life Crisis“ subsumiert sie die Hochs und Tiefs ihres ersten Lebensabschnitts. Im „Krone“-Interview zeigt sie sich deutlich unverblümt, wenn es darum geht, Verwerfliches anzuprangern.
Alles begann vor knapp sieben Jahren. Arabella Latham war bereits seit rund zwei Jahren in London und machte das, was 20-Jährige eben so tun: Das Nachtleben erkunden und sie viel wie möglich auf die Piste zu gehen. Doch Latham verfiel diversen Pillen und anderen Aufputschmitteln, um ihre ständig vorhandenen depressiven Schübe zu bekämpfen. Als dann auch noch eine Beziehung in die Brüche ging und sie eine furchtbare Nacht in East London durchlebte, setzte sie sich an ein Blatt Papier und schrieb ihre Gedanken zum Song „Raw Thoughts“ in nur 20 Minuten nieder. Der Song ist nicht nur eine persönliche und intime Abhandlung über ihren damals harten Alltag, sondern 2017 auch die Geburtsstunde ihres Alter Egos Baby Queen.
Wichtiger Tapetenwechsel
Die Liebe zur Musik begann aber wesentlich früher. Latham wurde in Südafrika geboren und stoppelte schon als Zwölfjährige erste Songs auf dem Klavier zusammen. Die Musik wird früh zu ihrer großen Leidenschaft und mit dem Einverständnis ihrer Eltern wagt sie als 18-Jährige den mutigen Schritt nach London. Bei ihrer in Fulham lebenden Tante findet sie die nötige Ruhe, um sich zurechtzufinden - alles Weitere kulminiert mit Fortdauer der Jahre zum Projekt Baby Queen, mit dem Latham ein Ventil für ihre Gefühlsstürme und wilden Emotionen findet. Wie kaum eine andere Künstlerin verknüpft sie in ihren Alternative-Grunge-Pop-Songs echte Erfahrungen und brutale Ehrlichkeit. Für Bullshit oder Sicherheitsbedenken ist bei der heute 26-Jährigen kein Platz.
„,Raw Thoughts‘ war definitiv einer dieser Momente im Leben, wo du spürst, dass sich gerade elementar etwas verändert. Man geht immer durch verschiedene Lernphasen und Erfahrungswerte, aber manchmal stehst du an einer Kreuzung und musst dich entscheiden, wohin du abbiegst“, erklärt sie uns im „Krone“-Interview, „der Song gab mir zu verstehen, wohin ich möchte und wie ich mich ausdrücken will. Die Musikindustrie wurde zu einem Teil meines Lebens, obwohl sie extrem zwiespältig ist. Du wirst zwar endlich breiter gehört und bemerkt, aber sie nimmt dir auch sehr viel von der Unschuld, die Musik per se in sich trägt. Damit muss man klarkommen, das gehört zum Erwachsenwerden dazu.“
Vergebliche Anbahnungsversuche
Latham hat sich den Eintritt in die weite Welt der professionellen Musik jedenfalls leichter vorgestellt, als es schlussendlich der Fall war. Sie hoffte, bei den großen Plattenfirmen einfach anklopfen zu können und ihre bisherigen Mixtapes zu teilen. Das war genauso ein Irrglaube wie jener, als Kellnerin bei den BRIT Awards mit den Wichtigen der Szene in Kontakt treten zu können. Bevor die Pandemie die Welt zum Stillstand brachte, arbeitete sie im Plattenladen von Rough Trade an der Brick Lane und bastelte sich Textfetzen auf Post-its, die sie im Pausenraum zu einer lyrischen Wand verband. Erst als die Pandemie über den Globus rollte, unterschrieb sie einen Plattenvertrag bei Polydor, wo nun auch endlich ihr lang erwartetes Album „Quarter Life Crisis“ erscheint. Mit gehöriger Verspätung, denn live und mit knalligen Singles hat sich Baby Queen längst einen Namen gemacht.
In Österreich stellte sie sich im Sommer 2022 in der viel zu schlecht besuchten Halle beim Frequency vor, begeisterte die Musikfeinschmecker aber mit einer lässigen Performance, die an die guten alten Alternative-Zeiten des Festivals erinnerten. In ihren Songs ist Baby Queen offen und direkt. „Internet Religion“ ist eine deutlich hinausposaunte Kritik an der Art des Umgangs der Menschen mit dem World Wide Web, „Pretty Girl Lie“ hingegen resultierte aus Baby Queens eigener Unzufriedenheit, sich ständig von Bemerkungen und Bewertungen aus der Öffentlichkeit runterziehen und verunsichern zu lassen. „Die Kardashians gehören zu den mächtigsten Menschen der Welt. Sie sind gefälscht und editiert. Sie inszenieren sich außerweltlich, bleiben jungen Mädchen aber als Vorbilder im Kopf hängen. Ein absolutes Drama.“
Analyse des ersten Lebensviertels
Vom It-Girl-Gehabe und der ständigen virtuellen Verbesserung hat Latham schon immer die Nase voll. „Ich sehe keine Chance, diesen Trend umkehren zu können. Wir können uns aber vor Augen führen, dass so etwas nicht der Normalität entspricht. Die Kids von heute unterliegen einem unglaublichen Druck der falschen Darstellung und das brennt sich tief in ihre Psyche ein.“ Das Debütalbum ist schon im Titel unmissverständlich. Es geht um das erste und turbulente Lebensviertel der Künstlerin, das neben viele Tiefs auch einige Hochs erfuhr. „Die Songs zeigen die verschiedenen Facetten auf, die meine ersten Jahre als junge Erwachsene mit sich brachten“, erzählte sie dem „NME“ in einem Gespräch, „ich habe mich selbst, meine Sexualität, meine Vergangenheit und den Platz, den ich heute in dieser Welt einnehme, analysiert.“ Baby Queen steht für das in ihrer Generation selbstverständliche Zwischenspiel von einer bestimmten angewachsenen Reife und dem Kampf gegen das Erwachsenwerden.
In Tracks wie „We Can Be Anything“, „I Can’t Get My Shit Together“ oder „A Letter To Myself At 17“ steckt auch der Wunsch nach Natürlichkeit und Ursprünglichkeit. „Billie Eilish ist als einer der größten gegenwärtigen Stars ein Mikrokosmos für all das, was die Kids heute sein möchten. Sie ist das absolute Gegenteil einer Kardashian und hat die Popwelt revolutioniert. In den 90er- und 2000er-Jahren gab es Popstars, die viel oberflächlicher waren. Die Kids heute sind intelligent, sie wollen gefordert werden und nicht nur den ganzen Tag irgendwelche Filter über Instagram-Storys legen. Es ist aufregend zu sehen, dass mit Billie, Halsey oder The 1975 Acts in den Mainstream vorgestoßen sind, die offen über Mental-Health-Themen singen und einen markanten Wandel im Popzirkus eingeführt haben. Heute haben wir auch an der Spitze Künstler, mit denen sich junge Leute auch wirklich selbst identifizieren können.“
Gegen die Parasiten
Obwohl sie mitten in der dafür richtigen Generation ist, hält Baby Queen überhaupt nichts von einem Overload des Digitalen oder von Influencern. „Ich bin mit einigen Wenigen befreundet. Natürlich gibt es nette und positive Influencer, aber dieses ständige Zurschaustellen der neuesten Mode oder der teuersten Luxusurlaube ist unglaublich toxisch. Sie ruinieren und verfälschen das Weltbild von jungen Menschen, die sich selbst noch finden müssen. Influencer sind für mich richtige Parasiten, ich verachte sie. Mir ist es durchaus ein Anliegen, als Baby Queen ein Teil der Gegenbewegung zu sein.“ Nicht zuletzt soll „Quarter Life Crisis“ neben all der Dunkelheit und Schwierigkeiten im Leben am Ende die Hoffnung in den Mittelpunkt setzen. „Ich forciere mit meiner Musik und in meinen Texten Ehrlichkeit und Zugänglichkeit. Vieles ist sehr dunkel, vieles aber auch humorig. Was ich singe, meine ich aber absolut ernst.“
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