Mit der EP „I Feel Alone These Days“ schließt die Oberösterreicherin Avec dieser Tage einen Songzyklus ab und bereitet sich langsam aufs vierte Studioalbum vor. Davor ist sie noch einige Male live zu sehen und spricht mit uns im „Krone“-Interview über ihre inneren Dämonen, die Liebe zur Irland und weshalb sie sich jetzt ganz anders an Songs heranzugehen traut.
„Krone“: Avec, deine neue EP hast du „I Feel Alone These Days“ genannt, aber wenn man deine vielen Konzerten und Pläne so ansieht, dann bist du alles andere als einsam unterwegs. Ist das mehr eine Art Momentaufnahme aus der Vergangenheit?
Avec: Genau. Ich habe die EP von 2020 bis 2022 geschrieben und da waren Themen wie Corona und die Lockdowns sehr präsent. Ich wohnte zu der Zeit noch zu Hause und nicht alleine, war aber trotzdem sehr einsam. Durch die Pandemie fiel viel weg. Wir konnten nicht live spielen oder im Studio sein und ich habe meine Freunde nicht gesehen. Alles, was ich gerne mache, war nicht mehr möglich und das war wie ein Schlag ins Gesicht. Im Titeltrack singe ich auch, dass man sich selbst gar nicht mehr im Spiegel sehen will, weil man den ganzen Tag nichts anderes mehr sieht. Diese Zeit war eine starke Innenschau, die man der EP heraushört. Es war aber auch anstrengend, denn sich zwei Jahre lang nur mit sich selbst auseinanderzusetzen ist nicht nur schön. Es war wichtig, aber auch hart.
Ursprünglich wolltest du die EP im Herbst 2022 veröffentlichen. Jetzt hat es doch fast ein Jahr länger gedauert …
Sie war dann doch nicht so ganz fertig. Wir haben noch an einigen Dingen geschraubt. Für mich ist sie ein Abschluss von dieser Zeit, aber auch ein Abschied von bestimmten Menschen. Ich bin bereit für mein viertes Album. Manche der Songs von dieser EP spiele ich schon seit 2021. Ich freue mich einfach, dass ich damit ein Kapitel abgeschlossen habe. Es ist wie Frieden schließen und gut, dass jetzt was Neues kommt und alles wieder richtig losgeht. Wir haben die Normalität zurück und das fühlt sich gut an.
Die EP behandelt also eher dunklere Zeiten. Erweckt sie jetzt, wo du wieder darüber sprichst, nicht auch negative Emotionen, die in dir schlummern?
Eher im Gegenteil. Wenn ich mir den Titelsong anhöre, ist er natürlich emotional und bringt mich zurück, aber wir sind alle durchgekommen und haben diese Zeiten überstanden. Es ist ein Teil der Vergangenheit und die hat positiv geendet.
Bist du gestärkt aus den Corona-Jahren gekommen?
Ich würde schon sagen. Ich weiß jetzt genauer, wo ich mit mir selbst hin muss und ich traue mir mehr zu. Die EP ist wahnsinnig ehrlich und ich lasse tief blicken. Früher war einiges versteckt, verschönert oder verziert, aber das will ich nicht mehr. Ich will jedem direkt ins Gesicht sagen können, wie es mir geht. Dafür braucht man Mut und den habe ich mir erarbeitet. Ich war oft depressiv und fühlte mich alleine, aber so geht es auch anderen. Das ist total okay.
Gab es ein Schlüsselerlebnis dafür, dass du dich jetzt so nach außen traust und diese Offenheit zeigst?
Gar nicht wirklich. Es lag an der Zeit und daran, was ich über mich gelernt habe. Es gab private Schicksalsschläge, weil mein Onkel und eine andere Bezugsperson starben. Man verliert sich kurz, findet sich aber wieder und entdeckt sich neu. Ich entwickle mich weiter, menschlich und musikalisch, und jetzt gehe ich noch viel mehr aufs Ganze. Ich mache keine Musik fürs Radio, sondern die, die ich wirklich machen will. Ob ein Song zehn oder eine Minute dauert, ist egal. Es muss das auf die Platte kommen, was ich spüre und was aus mir rausfließt.
Du plädierst offen dafür, dass Leute Therapien in Anspruch nehmen sollen und gehst offen mit dem Thema um. Viele Musikerinnen würden sagen, die Musik reicht mir als Ventil. War sie dir zu wenig?
Ich habe lange geglaubt, dass die Musik reicht, aber mir war sie zu wenig. Ich hatte lange Angst vor einer Therapie, weil ich dachte, ich könnte dann nicht mehr schreiben. Seitdem ich aber in Therapie bin, und das ist seit fast zehn Jahren der Fall, habe ich viel mehr über mich gelernt. Manchmal muss man sich mit den unschönen Themen über sich selbst auseinandersetzen. Man lernt viel daraus und mir hat es sehr viel geholfen, zur Musik noch eine andere Form von Therapie in Anspruch zu nehmen.
Verändert die Therapie deinen Zugang zur Musik?
Ich glaube schon. Wahrscheinlich mehr noch im textlichen Bereich als in der Musik. Die ersten beiden Alben klingen natürlich nach Avec, aber ich schreibe heute anders und gehe anders an Themen ran. Ich will meine alten Songs nicht schlechtreden, aber es war früher noch viel Naivität dabei, weil ich jünger war. Ich kenne mich heute besser und habe das Gefühl, dass ich anders schreibe. Songs wie „Look Around“ oder „Nothing To Me“ hätte ich früher durch die Blume kommuniziert, aber jetzt spreche ich die Dinge direkt an.
Der EP-Titeltrack „I Feel Alone These Days“ ist sehr Ambient-lastig. So einen Track gab es früher nicht von dir. Ist das ein Versuch, dich in neue Sphären zu wagen?
Das Instrumental schrieb ich zu Hause mit Bass und Klavier. Der Text ist eher gesprochen und nicht wirklich gesungen. Ich habe diese Nummer nicht geplant, sie ist einfach so aus mir rausgeflossen. Ich hatte da eine Vision und ich habe den Text geschrieben und rausgelassen. Der erste Take wurde genommen, denn diesen Vibe hatte ich nur ein einziges Mal. Ich bin gerade auf dem Pfad, viel zu probieren und zu experimentieren. Wenn mir etwas gefällt, dann mache ich es.
Ist dir die Unmittelbarkeit wichtig? Wirst du hinkünftig öfter auf erste Takes zurückgreifen?
Die Magie ist immer im ersten Moment zu finden und ich bin ein großer Fan, ihn zu übernehmen. Das vierte Album möchte ich in Irland gleichzeitig mit der Band aufnehmen. In dieser Gemeinschaft kann eine besondere Magie entstehen, auch wenn es für die Aufnahme schwieriger ist.
Gab es einen zündenden Funken nach der Pandemie, wo es bei dir wieder aufwärts ging? War es das Ende der Lockdowns?
Ich habe mir selbst einen Stoß gegeben, weil ich merkte, wie schlecht es mir geht. Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich mich in einer depressiven Phase von allen Menschen wegsperre. Alles ist anstrengend und ich meine das meiner Familie und meinen Freunden gegenüber nicht böse. Während Corona hatte ich wieder so eine Phase und oft ist sie nach zwei Wochen wieder vorbei. Ich reagiere da auch nicht auf Nachrichten, sondern setze komplett die Scheuklappen auf. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass es mir selbst am Allerschlechtesten geht, was einfach nicht sein kann. Am Ende war die Kraft in mir stärker und ich habe mich aus dieser Phase hochgearbeitet. Mein engeres Umfeld ist ein wichtiger Halt und ich kann immer darauf zurückgreifen. Mir ist auch niemand böse, wenn ich wieder in ein Loch falle und mich abkapsle.
Ein wichtiges Thema auf dieser EP ist die Trauer. Hast du gelernt, sie zuzulassen und anzunehmen, sodass sie sich irgendwann in etwas anderes verwandeln lässt?
Zu 100 Prozent, das kann ich auf jeden Fall so unterschreiben. Als 2020 mein Onkel verstarb, dachte ich, dass ich es nicht mehr schaffe. Ich wollte auch für meine Mama, die Schwester und meine Familie da sein, aber ich fürchtete, ich könnte nicht so stark sein. Aber man entwickelt in Krisensituationen unheimliche Kräfte und schafft es dann doch irgendwie. Es ist sehr wichtig, durch die Trauerphasen durchzugehen und sie offen anzunehmen. Das gilt für alle Themen, die man versucht zu unterdrücken. Irgendwann holen dich diese Themen ein und du musst dich damit auseinandersetzen. Oft muss man es nicht gleich machen, aber man kann diesen Themen nicht völlig entfliehen.
Der Song „Mirror“ spielt darauf an, dass du als Person eine Projektionsfläche für andere darstellst. Liegt das mitunter daran, dass du in gewisser Weise zu einer Person der Öffentlichkeit geworden bist?
Das spielt sich auch mit ein. Ich tue mich sehr schwer damit, Menschen zu vertrauen und sie kennenzulernen. Ich bin in einer Blase mit wenigen Freunden. Die Freunde sind die Band und dann gibt es noch die Familie. Mir ist schon ein paar Mal passiert, dass ich jemanden kennenlernte und das Gegenüber nur interessiert war, weil ich eben diejenige Person bin - so etwas mag ich überhaupt nicht. Ich will gerne Leute kennenlernen, die nicht wissen, was ich tue. Ich bin natürlich kein Superstar, aber manchmal passiert so etwas und das macht mich automatisch vorsichtig.
Trittst du in der Öffentlichkeit anders auf, weil du gar nicht mehr zu 100 Prozent du sein kannst?
Ich erinnere mich immer daran, ich selbst zu sein. Es kommt immer auf die Stimmung an und wie es mir gerade geht. Bei Bon Iver ertappe ich mich selbst, dass ich mich als Fan so sehr spiegle. Justin Vernon ist für mich so eine extreme Person, was die Musik angeht, aber ich will ihn auf kein Podest heben. Wir sind alles Menschen und alle gleich, da darf man sich nicht in etwas verlieren.
Dein Song „Ghosts“ ist klanglich gar nicht mehr so von der Klangrezeptur eines Bon Iver entfernt.
Cool, er ist derzeit auch mein Lieblingssong auf der EP. Musikalisch war die Reise relativ schnell klar und textlich geht es um den Kampf gegen innere Dämonen und wie ich mit mir selbst umgehe. Ich habe gerne die Kontrolle über alles, aber in meinem Kopf ist das nicht so der Fall. Die Stimmen werden oft lauter als man selbst ist und das kommt in diesem Song vor.
Muss man die inneren Dämonen manchmal zulassen oder sich mit ihnen arrangieren?
Man sollte sie zumindest nicht ignorieren, denn sie werden nicht verschwinden. Man lernt damit umzugehen und sie leiser zu schalten, aber man wird sie wahrscheinlich nie ganz loswerden. Es ist natürlich nicht so leicht, aber man sollte möglichst Frieden mit ihnen schließen.
Rein vom Sound her hast du auf all deinen EPs oder Alben immer zumindest eine fröhliche Up-Tempo-Nummer. In dem Fall ist es „Look Around“. Ist das wichtig, um immer Hoffnung zu versprühen?
Es ist nie beabsichtigt, aber toll, dass es passiert. Es gibt immer eine positive Message, egal wie traurig sonst alles ist. „Look Around“ spielt darauf an, dass wir endlich aufwachen müssen. Wir leben in einer Welt, die wortwörtlich bald in Flammen steht und keiner tut etwas dagegen. Der Song soll diesen Zustand vermitteln. Die Single „Walls“ spricht auch darauf an, dass man Angst hat, sich nach Verletzungen wieder auf etwas einzulassen. Die Liebe zuzulassen. Aber wenn man sich traut, einen Stein aus der Mauer zu geben, dann merkt man schnell, dass nicht alles so schlimm ist, wie es vielleicht scheint. Man kann auch wieder etwas zulassen. Ich liebe Gegensätze. Die Themen sind ernst, aber die Musik dazu manchmal beschwingt.
„Look Around“ ist auch der neueste Song auf der EP.
Genau ja. Es ist eher eine Schau nach außen, was ich so auch noch nie vorher gemacht habe, weil die anderen Songs von mir alle extrem persönlich sind.
Verlierst du manchmal auch die Hoffnung, wenn Wissenschaftler sagen, wir hätten diverse klimatische Kipppunkte bereits erreicht oder wir wären längst darüber hinaus?
Manchmal schon. Während Corona habe ich damit begonnen, weniger Medien zu konsumieren und die negativen Nachrichten stärker auszublenden. Man kriegt natürlich trotzdem alles mit und an schlechten Tagen denke ich auch, dass es nicht mehr viel zu retten gibt. Denkt man aber dauernd so, dann geht auch nichts weiter. Ich schwanke viel. An manchen Tagen habe ich Hoffnung, an anderen nicht, aber so geht es den meisten von uns. Wir sind als Band mit dem Bus unterwegs und fliegen manchmal. Unser Essens-Rider ist komplett vegan, das ist der kleine Schritt, den ich setzen kann und setze.
Der Vorarlberger Manu Delago fährt seine Touren solarbetrieben mit dem Rad ab.
Das ist der absolute Wahnsinn. Wenn wir das auch machen wollten, müssten wir jedenfalls noch ganz schön viel trainieren. (lacht)
Ist Religion für dich ein wichtiger Teil deines Songwritings oder gar Lebens?
Ich bin überhaupt nicht religiös und ohne Bekenntnis. Ich habe mich mit 18 von der katholischen Kirche verabschiedet, weil ich da hätte zahlen müssen und ich will den Verein auch ganz ehrlich nicht unterstützen. Kirchen und ihre Architektur sind extrem schön, aber die Religion an sich ist überhaupt kein Thema für mich. Meine Oma war sehr religiös und ihretwegen habe ich mir auch ein Kreuz tätowieren lassen. Wegen Religionen haben viel zu viele Kriege begonnen und ich sehe den Sinn in ihnen nicht. Ich finde es schön, an etwas zu glauben und im Glauben Halt zu finden, aber das findet bei mir anderswo statt.
Wo findest du denn deinen Halt?
Grundsätzlich in der Musik. Ich ziehe daraus sehr viel Kraft und ein Konzert ist für mich heilend. Das spüre ich bei Bon Iver. Das kommt meinem Gefühl von Religion am nächsten.
Du hast dein kommendes viertes Album schon mehrmals erwähnt. Bist du schon mitten in der Arbeit dafür?
Die EP ist für mich schon länger abgeschlossen und danach hatte ich eine Phase von einem halben Jahr, wo ich nichts schrieb. Einerseits fehlt mir das Schreiben als Ventil, andererseits machte ich mir ernsthaft Sorgen, weil ich dachte, dass ich nicht mehr schreiben könne. Solche Phasen gibt es natürlich, aber ich bin jedes Mal aufs Neue verunsichert. Jetzt geht es aber wieder normal dahin und das freut mich. Wir wollen 2024 im Frühling in Irland mit der ganzen Band aufnehmen und ich habe mich noch nie auf etwas so gefreut wie auf dieses Album. Ich habe daheim schon Demos herumliegen und sie klingen ganz anders. Ich probiere viel aus und experimentiere. Vom Schreiben her ist es extrem schwierig, mich selbst zufriedenzustellen. Ich habe mir die Latte selbst hochgelegt, aber diese Herausforderung nehme ich gerne. Ich schaue mal, wohin ich gehe und wo ich mich wohlfühle. Es wird auf jeden Fall etwas stärker gen Soul gehen.
Auch textlich wirst du wahrscheinlich ganz neue Ufer ansteuern?
Es gibt aktuelle und zeitlose Themen. Es wird sicher wieder um unterschiedliche Emotionen gehen, die mich dauernd beschäftigen. Ich schaue mir sehr gerne die Weiterentwicklung bei mir selbst an. In erster Linie ist mir egal, was die Leute denken. Ich mache jetzt einfach, was sich für mich gut anfühlt.
Live in Salzburg und im Burgenland
Bevor sich Avec voll und ganz der Arbeit an ihrem vierten Studioalbum widmet, ist sie noch zweimal live in Österreich zu sehen. Am 12. August spielt sie beim kultigen Picture On in Bildein, am 13. Oktober ist sie dann auch bei der „30th Birthday Party“ des Rockhouse in Salzburg zu Gast. Unter www.oeticket.com gibt es Karten und weitere Informationen zu den Gigs.
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