Bei Ukraine-Einsatz

US-Fotograf: „Habe ethnische Säuberungen gesehen“

Ausland
11.03.2023 06:03

In den ersten vier Monaten des Ukraine-Krieges konnte der amerikanische Fotograf Ron Haviv verfolgen, wie Menschen in der Stadt Irpin entsetzt ihre Häuser verließen und getötete Zivilisten auf Butschas Straßen lagen. Er ist sich sicher: Die bisher unbekannten Namen der Kiewer Vororte werden in die Lehrbücher aufgenommen werden - als Symbol der Opfer, die die Ukrainer nicht nur für ihr Land, sondern für die ganze Welt erbracht haben.

Ron Haviv ist einer der Gründer der „VII Photo Agency“ und hält seit mehr als 30 Jahren Konflikte mit der Kamera fest. Seine Arbeit führte ihn unter anderem ins ehemalige Jugoslawien, in die Demokratische Republik Kongo, nach Afghanistan und nach Mexiko. Insgesamt beleuchtete er 26 Konflikte. Dabei kooperierte er mit den „Ärzten ohne Grenzen“, dem Roten Kreuz und UNICEF.

Mehrmaliger Aufenthalt in der Ukraine
Im vergangenen Jahr reiste Haviv im Auftrag der internationalen Wochenzeitung „Economist“ mehrmals in die Ukraine - und schilderte dem Magazin, was er in Butscha, Irpin, Kiew und Isjum beobachten konnte. Das unabhängige Nachrichtenportal „Mediazona“ veröffentlichte das übersetzte Interview, um auch die russische Bevölkerung damit erreichen zu können.

Ethnische Säuberung?
Zu Beginn des Ukraine-Krieges verbrachte Haviv eine Woche damit, Menschen abzulichten, die aus Butscha und Irpin in die als relativ sicher geltende Hauptstadt Kiew flohen. Das, was er dabei gesehen habe, könne man als ethnische Säuberung bezeichnen.

Denn die Einwohner dieser Städte hätten nur aufgrund ihrer Abstammung ihrer Heimat den Rücken kehren müssen. Einfach nur, weil sie Ukrainer waren. Menschen seien mit weißen Fahnen geflohen - in der Hoffnung, nicht erschossen zu werden - und seien an den Toten vorbeigerannt. Ohne Ahnung, wohin - einfach nur weg von der Hölle.

Kriegsverbrechen in Butscha
Das Wort Butscha, schilderte der Fotograf, stehe heute für Kriegsverbrechen. Einmal habe er dort sogar Forensiker bei der Suche nach Beweisen für die schrecklichen Verbrechen begleitet.

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Es war ein schrecklicher Ort. In einem der Häuser sah ich einen toten Hund, neben dem ein lebender Vierbeiner stand und zu begreifen versuchte, was denn mit ihm geschehen war. In einem anderen Haus fanden wir direkt im Garten drei leblose menschliche Körper. In der Nähe der örtlichen Fabrik sah ich die Leichen von zwei Männern, einer von ihnen war von russischen Soldaten enthauptet worden. Von manchen Menschen gab es nur mehr verkohlte Überreste.

Der Fotograf Ron Haviv verarbeitet seine Erinnerungen in Geschichten

In einem Gebäude, wo russische Soldaten stationiert waren, seien Leichen mit am Rücken verbundenen Händen gelegen. So etwas, erzählte Haviv, habe er das letzte Mal vor vielen Jahren im damaligen Jugoslawien beobachtet.

Völlig surreale Mischung aus Horror und Bürokratie
In der Nähe einer Kirche in Butscha hätten sie ein Massengrab entdeckt - man habe daraufhin eine Leiche nach der anderen ausgegraben und versucht, sie mithilfe von Angehörigen zu identifizieren. Dabei ist dem Fotografen nach eigenen Angaben ein Bild besonders in Erinnerung geblieben.

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Ein Soldat sitzt auf einem Friedhof, vor ihm liegen Säcke mit menschlichen Überresten. Er hält die Zahl der Todesopfer fest. Tragödien sind also zu Statistiken geworden. Ich erinnere mich, dass er auf einem Kugelschreiber herumkaute. Eine völlig surreale Mischung aus Horror und Bürokratie.

Fotograf Ron Haviv

Ukrainer auf langen Konflikt eingestellt
Bei seiner letzten Reise in die Ukraine habe er ganz unterschiedliche Meinungen über den Krieg gehört. Währen die einen appellierten, die Ukraine müsse mit mehr Waffenlieferungen unterstützt werden, versuchten die anderen herauszufinden, wann denn endlich der Wahnsinn ein Ende nehmen würde.

Im Allgemeinen konnte Haviv feststellen, wie müde die Menschen waren. Aber sie hätten gelernt, unter solchen Bedingungen zu überleben - mit dem Wissen, dass der Krieg noch lange weitergehen würde. Dennoch sei der Nationalgeist der Ukrainer stark. Viele hätten das Land verlassen können, seien aber geblieben. Denn hier sei ihr Zuhause. „Sie sind Ukrainer und wollen auf ukrainischem Boden leben“, erklärte Haviv abschließend.

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