Experte im Interview

Wie wir die Menschheit doch noch retten können

Oberösterreich
09.09.2022 18:00

Es geht um die Rettung der Welt: Im neuen Buch „Earth for All - Ein Survival Guide für unseren Planeten“ mahnen Zukunftsforscher fünf Kehrtwenden ein, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Welche das sind und wie sie gelingen könnten, darüber sprach der deutsche Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker im Rahmen der JKU-„Festival University“ in Linz. Die „Krone“ hat ihn vorab getroffen.

„Krone“: Für alle, die Ihren Vortrag nicht gehört haben – was ist die Hauptbotschaft?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Die Klimaveränderung macht uns wirklich Sorgen: Dürre, Feuersbrünste, jetzt die Flut in Pakistan. Und die Gefahr der langsamen Erwärmung, die dazu führen kann, dass der Meeresspiegel nennenswert ansteigt.

Was heißt nennenswert?
Ein Beispiel: Wenn der Thwaites Gletscher in der Antarktis ins Meer rutscht – und er hat angefangen zu rutschen – steigt der Meeresspiegel um 60 Zentimeter. Im Moment redet man immer in Millimetern. Für Städte wie Amsterdam, Hamburg und erst recht für Bangladesch bedeutet das eine Riesen-Katastrophe.

Die fünf Kehrtwenden sind Beendigung der Armut, Beseitigung der Ungleichheit, Ermächtigung der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Einsatz sauberer Energie. Wie realistisch ist es, dass wir noch die Kurve kratzen?
Es hat sich ja sehr wohl etwas verbessert. In den Siebzigerjahren waren Kohle und Atomenergie die einzige Form, wie man in nennenswertem Umfang Energie bekam. Inzwischen ist Photovoltaik-Strom billiger. Das weiß man aber in der breiten Öffentlichkeit noch nicht. Vor 22 Jahren kostete eine Kilowattstunde Photovoltaik einen Euro. Heute kostet sie fünf Cent. Das ist eine fantastische Entwicklung.

Gibt es weitere Bereiche?
Ja. Heute ist etwa die LED-Lampe zehnmal so effizient wie die alte Glühbirne. Nur muss man dazu sagen: Was ist die Folge davon? Zehnmal mehr Licht! Völlig verrückt!

OÖ sieht sich gern als Pionier im Klimaschutzbereich – hilft es überhaupt etwas, wenn das kleine OÖ bzw. der Einzelne das Klima schützt und anderswo auf der Welt wird Schindluder getrieben?
Ja, es hilft. Man definiert sich selber neu und unterstützt so eine Art Vermehrungsdynamik. Aber Ihre Frage ist berechtigt. Klima-Innenpolitik ist nicht genug, wir brauchen Klima-Außenpolitik. Wir müssen dafür sorgen, dass es für die Entwicklungsländer attraktiv wird, das Richtige zu machen. Heute ist es umgekehrt. Indien baut etwa ein Kohlekraftwerk nach dem anderen. Es ist wichtig, wenn Österreich und Oberösterreich vorführen, dass man mit Windenergie, Wasserkraft und Photovoltaik das Energieproblem im Wesentlichen lösen kann.

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Vor 25 Jahren waren ein Drittel arm und zwei Drittel wohlhabend. Und heute sind es noch etwa zehn Prozent Armut. Also: Dass die Armen ärmer werden, ist empirisch nicht belegt.

Ernst Ulrich von Weizsäcker

Stichwort Windkraft: Die Grünen in OÖ sagen, 200 Windräder würden alle fossilen Heizungen ersetzen. Ist Klimaschutz so einfach?
Ich hab’ nichts gegen Windkraftwerke, aber preislich wird die Photovoltaik den Windstrom aus dem Markt fegen.

Also ist Windkraft keine Zukunftsinvestition?
Keine besonders wichtige.

OÖ ist ein Industrie- und Exportland - zwei Säulen, die zuletzt durch Gaskrise und Pandemie ins Wanken geraten sind. Setzen wir da langfristig aufs richtige Pferd?
Eigentlich ja. Aber die Industrie muss in neue Richtungen gehen. Ein wesentlicher Teil des Geschäftsmodells war aufgebaut auf billiger Energie. Das war ein Denkfehler. Es war plausibel, weil die Saudis und Russen das alles verschenkt haben. Das ist aber vorbei.

Was Nahrungsmittel betrifft, setzt Oberösterreich stark auf Regionalität. Ist nicht konventionelle Landwirtschaft - Rinderhaltung, Pestizide, Bodenversiegelung - ein Teil des Problems?
Ja und nein. Eine Weiderinder-Landwirtschaft mit nicht zu vielen Rindern auf der Weide ist ökologisch ganz vernünftig. Deutschland hat sich in den vergangenen 30 Jahren zum drittgrößten Fleischexporteur der Erde entwickelt. Das ist komplett idiotisch. Aber die lokale Landwirtschaft ist im Grunde etwas ungeheuer Vernünftiges. Die ist typischerweise ökologischer als die Großlandwirtschaft. Da ist Oberösterreich zu loben, dass es so etwas hat.

Eine Kehrtwende heißt „Beendigung der Armut“ - die Schere zwischen Armen und Reichen geht aber immer weiter auf, selbst im reichen Österreich sind 15% armutsgefährdet - ist das eine Utopie?
Jeder weiß: Die ärmsten 50 Prozent werden seit 1990 tendenziell ärmer, die Milliardäre werden immer reicher. Tatsächlich ist das falsch. Es ist richtig für die Vereinigten Staaten von Amerika. In Deutschland verlaufen die Kurven fast linear. Der Prozentsatz der Armen hat dramatisch abgenommen: Vor 100 Jahren waren 85 Prozent von Armut betroffen und 15 Prozent nicht - weltweit, aber auch in Österreich. Vor 25 Jahren waren ein Drittel arm und zwei Drittel wohlhabend. Und heute sind es noch etwa zehn Prozent Armut. Also: Dass die Armen ärmer werden, ist empirisch nicht belegt.

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