Dr. Christian Bernhard, Vorsitzender der Kommission Gesundheit und Soziales, spricht im großen „Krone“-Interview über seine Arbeit bei der Internationalen Bodenseekonferenz (IBK).
Krone: Die IBK feiert dieses Jahr das 50-jährige Bestehen. Wie sieht aus Ihrer Sicht die Bilanz aus?
Dr. Christian Bernhard: Die 50 Jahre sind geprägt von einer guten Zusammenarbeit und der erfolgreichen Vernetzung einer Region. Die Gründerväter waren der Überzeugung, dass es Interessen gibt, die ganze Regionen betreffen und nicht nur die Nationalstaaten innerhalb ihrer Grenzen. So haben alle Themenfelder, die in den Regierungen abgebildet sind, auch in den Kommissionen der IBK eine Entsprechung.
Krone: Sie sind Vorsitzender der Kommission für Gesundheit und Soziales. Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Bernhard: Die Kommissionen agieren quasi als Thinktank für die Politik. Wir führen Best Practice-Beispiele aus vielen Bereichen zusammen und geben Empfehlungen an die politischen Entscheidungsträger der zehn Bundesländer oder Kantone.
Krone: Zu Zeiten der - pandemiebedingt - geschlossenen Grenzen hätten sich einige eine Lösung durch die IBK erwartet. Hat das Gremium in dem Fall versagt?
Bernhard: Nein, denn solche Dinge kann die Bodenseekonferenz gar nicht leisten. Wir haben weder die Legitimation noch das Pouvoir dafür. Das liegt bei den vier Nationalstaaten. Was wir während der Pandemie leisten konnten, war die Vernetzung aller Akteure. Es wurden Fallzahlen ausgetauscht, es gab eine grenzüberschreitende Kontaktpersonennachverfolgung
In der Politik ist sehr vieles Tagesgeschäft. Ich war ja sieben Jahre Mitglied der Landesregierung und weiß, dass man abhängig ist von aktuellen Ereignissen, vom politischen Mitbewerber, von den Erwartungen der Wählerschaft, deren Votum man sich immer wieder stellen muss.
Dr. Christian Bernhard
Krone: Landesstatthalterin Schöbi-Fink hat in Ihrer Rede zu 50 Jahren IBK die geschlossenen Grenzen angeprangert...
Bernhard: Das mag etwas missverständlich gewesen sein. Fakt ist: Im operativen Geschäft ist viel passiert, aber die IBK ist keine Regierung und kein Staat, sondern ein Instrument für Vernetzung, Austausch und Zusammenarbeit. Grenzschließungen liegen einfach nicht in deren Einflussbereich.
Krone: Sie waren unlängst auf einer Pflegefachtagung der deutschen Stiftung Liebenau. Können Sie erklären wie da die Thinktank-Arbeit aussieht?
Bernhard: In der Politik ist sehr vieles Tagesgeschäft. Ich war ja sieben Jahre Mitglied der Landesregierung und weiß, dass man abhängig ist von aktuellen Ereignissen, vom politischen Mitbewerber, von den Erwartungen der Wählerschaft, deren Votum man sich immer wieder stellen muss. Der große Vorteil der Institution IBK ist, dass wir uns völlig abgekoppelt von den genannten Einflüssen mit einem Thema beschäftigen können. Im Fall der Tagung ging es um die Frage, wie die Pflege im Jahr 2035 aussehen soll.
Krone: Das Hauptproblem dürfte die Suche nach Pflegekräften sein?
Bernhard: Das ist in der Tat eine Herausforderung. Aber es gibt auch Themen, die über Rekrutierung und Manpower hinaus zu verbessern sind. Überlegungen sind etwa, wie neue Technologien die Pflege verändern, ob und wie im digitalen Zeitalter Neues genutzt werden kann. Oder wie neue Wohn- und Betreuungsformen aussehen können. Dazu wurden einige Referenten gehört.
Krone: Wie sieht denn die Zukunft der Pflege aus?
Bernhard: Einer der Referenten, ein Zukunftsforscher, hat errechnet, dass jedes vierte heute geborene Mädchen und jeder fünfte Bub eine Lebenserwartung von mindestens 100 Jahren hat - und dadurch Krebserkrankungen oder Demenz größere Chancen erhalten. Riesenpotenzial sieht er bei der Künstlichen Intelligenz und Robotik, plädiert aber für einen maßvollen Einsatz.
Grundsätzlich ist ein Pflegeroboter ja keine Erfindung, die einfach losmarschiert und Pflegetätigkeiten übernimmt.
Dr. Christian Bernhard
Krone: Würden Sie Ihren Vater von einem Roboter pflegen lassen?
Bernhard: Absolut, aber bei ihm wüsste ich auch, dass er trotz seiner 93 Jahre für Vieles offen ist. Meinen Vater kann man vermutlich aber nicht als Grundlage nehmen.
Krone: Wie schätzen Sie die Idee aus ethischer Sicht ein?
Bernhard: Grundsätzlich ist ein Pflegeroboter ja keine Erfindung, die einfach losmarschiert und Pflegetätigkeiten übernimmt. Vielmehr gibt es Situationen, oft auch aus der Personalnot heraus, in denen ein Roboter Zeitvertreib sein kann. Niemand findet etwas dabei, wenn man einem alten Menschen eine Puppe, die oft beruhigend wirkt, in die Hand gibt. Deswegen sollte man sich solchen innovativen Ideen nicht verschließen.
Krone: Wie würde die optimale Einführung eines Pflegeroboters in der Bodenseeregion aussehen?
Bernhard: Zunächst müsste man die Programmierer mit den Pflegeforschern zusammenbringen, um optimal auf die Bedürfnisse der zu Pflegenden einzugehen. Rund um den Bodensee gibt es ja einige gute Fachhochschulen, die sich bereits mit solchen Themen beschäftigen. Da wäre es sinnvoll, wenn man auch deren Ethikkommissionen einbezieht und miteinander weiterdenkt.
Krone: Sie sind auch Vorsitzender der Vorarlberger Ethikkommission. Wie läuft die Zusammenarbeit in diesem Bereich?
Bernhard: Mein Wunsch ist es, dass wir solch sensible Dinge seitens der Ethikkommissionen begleiten. Und ich habe auch das Gefühl, dass alle diese wesentlichen Themen, bei denen es um das Privatleben, um Menschenwürde geht, bisher Berücksichtigung gefunden haben. Unterm Strich ist immer das Wohl des Patienten oberstes Gebot.
Krone: Wie könnte die Digitalisierung noch Einzug ins Pflegeheim halten?
Bernhard: Die größte Herausforderung wird sein, ältere Menschen überhaupt dazu zu bringen, sich mit digitalen Tools zu beschäftigen. Eine gewisse Altersgruppe, denen TikTok jetzt Gott sei Dank nichts sagt, wird man schulen müssen, damit sie Apps und Angebote bedienen und nutzen können.
Krone: Was wird sich in den Seniorenheimen noch ändern?
Bernhard: Aufgrund des Klimawandels werden in Zukunft sicher klimatisierte Heime gebaut werden müssen. Im Hitzeschutzplan Vorarlberg sind bereits Hotspots definiert. In näherer Zukunft müsste jetzt - selbstverständlich unter der Einbeziehung von Klimaexperten - auch die entsprechenden Verordnungen angepasst werden.
Krone: Eine Lösung für den Pflegekräftemangel hat die IBK noch nicht gefunden?
Bernhard: Vernünftig wäre, sich Gedanken darüber zu machen, warum die Ausbildungen in der Region so unterschiedlich sind. Es ist ja nicht so, dass sich der Inhalt der Pflege rund um den Bodensee unterscheidet. Es geht um die Aktivitäten des täglichen Lebens - und die sind überall gleich. Deshalb ist die natürliche Frage, weshalb man überall unterschiedliche Berufsbilder mit solcher Akribie und Liebe schafft, anstatt sich darauf zu beschränken, was man wirklich braucht. Auch eine schnellere Anerkennung der unterschiedlichen Abschlüsse würde vieles vereinfachen.
Gründungsmitglieder der Internationalen Bodenseekonferenz im Jahr 1972 waren die schweizerischen Kantone St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen, die deutschen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern und das Land Vorarlberg. Im Jahr 1993 kamen Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden hinzu. Mit der Aufnahme des Kantons Zürich und des Fürstentums Liechtenstein im November 1998, erhöhte sich die Mitgliederzahl der IBK auf zehn Länder und Kantone aus vier Nationalstaaten.
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