Album „Hotline Aze“

Aze: „Das Album ist ein toxischer Safe Space“

Wien
01.07.2022 06:00

Mit eklektischem R&B und humorigen Texten über ernste Themen tupft das oberösterreichisch-wienerische Duo Aze einen neuen Farbklecks auf die heimische Musiklandkarte. Ezgi Atas und Beyza Demirkalp erzählen uns im ausführlichen Gespräch über ihre dicke Freundschaft, wie die Pandemie ihren Sound beflügelte und warum man als Teenager Aze hören sollte.

Als sich Ezgi Atas und Beyza Demirkalp dazu entschließen eine Band zu gründen, dauert ihre Freundschaft schon zwei Dekaden an. Schon ihre beiden Mütter waren beste Freundinnen, zusammen wuchs man in der oberösterreichischen Diaspora bei Marchtrenk auf und nutzte die viele Zeit, die man als junger Mensch im ruralen Raum eben hat. Hauptsächlich zum Musikhören, Herumklimpern und Radfahren. „Wir haben eigentlich schon mit zwölf zusammen Musik gemacht“, erzählt die extrovertierte Frontfrau Atas im „Krone“-Gespräch, „auf YouTube gibt es irgendwo noch ein ganz peinliches Cover von Justin Biebers ,Baby‘. Wir haben es schon lange gelöscht, aber alte Schulfreunde haben es runtergespeichert und neu hochgeladen. Ziemlich peinlich.“ Wo Atas das Sprachrohr ist, ist Demirkalp der Ruhepol, der lieber die Gitarre sprechen lässt. So gegensätzlich die beiden zueinander vom Typ her sind, so gut harmonieren sie als Duo. Eben beste Freundinnen, wie man sie sich aus dem Bilderbuch vorstellt.

Musik als Freiheitsventil
„Wir sind voller Respekt füreinander. Sobald jemand die Stimme erhebt oder sich ein länger aufgestauter Zank anschleicht, gehen wir gleich auf uns zu, weil wir uns so mögen.“ Musikalisch versteht man sich seit Jahren blind, dennoch hat es für das 2016 nach der Matura nach Wien übersiedelte Duo eine Zeit lang gebraucht, bis man sich auf professioneller Ebene fand. „Beyza ging sofort auf die Instrumente und ich auf den Gesang, aber die Zusammenarbeit war lange schwierig. Wir mussten erst diese unsichtbare Grenze durchbrechen, dass wir zusammen in einem Raum musizieren.“ Gemeinsam gaben sich Atas und Demirkalp die Freiheit und Lockerheit, die im Elternhaus fehlte. Dort begann zwar früh die musikalische Sozialisierung, aber die ging mit einer gewissen Strenge einher. „Wir wurden beide sehr streng erzogen und waren nie auf Festivals, dafür hören die Eltern daheim viel türkische Musik. Von den ärgsten Balladen bis hin zu Psychedelic-Rock-Nummern war da alles dabei. Das gab schließlich auch uns die musikalische Freiheit.“

Mit dem Umzug nach Wien eröffnete sich für die beiden eine neue Welt, musikalisch waren Aze (der Bandname spielt auf den selbstbewussten Terminus „Ass“ an) eine der großen Gewinner der Pandemie. „Die Verlangsamung der Welt war eine Beschleunigung für die Band“, resümiert Atas, „durch die viele Zeit in den Lockdowns konnten wir uns erst so richtig auf die Musik konzentrieren.“ Ende 2020 erschien, versteckt in den großen Coronawirren, die famose EP „Dead Heart“, auf der Aze Herkunft, Gefühle und Identitätsklischees auf sanfte und einprägsame Art und Weise abhandelten. Schon im Februar 2021 begann man am nun erscheinenden Debütalbum „Hotline Aze“ zu arbeiten und wurde durch Produzent und Flut-Musiker Jakob Herber quasi zum Trio. „Wir fanden uns über eine Instagram-Story und er hat schon die EP veredelt. Wir wussten da noch gar nicht, was Begriffe wie mastern oder mixen überhaupt bedeuten. Jakob denkt die Musik gleich wie wir.“

Direkte Inspiration
Das fertige Produkt „Hotline Aze“ ist Musik, wie man sie nicht aus Österreich verorten würde. Die beiden Musikerinnen befassen sich mit den unterschiedlichsten Facetten von R&B, stülpen dem Werk ein - total unpopulär - grobes Konzept über, garnieren das Material mit Voice-Overs und Interludes und berufen sich auf all ihre großen Helden von Lana Del Rey und Pharrell Williams über Justin Timberlake bis hin zum wohl kleinsten gemeinsamen Nenner, Frank Ocean. „Wir haben beim Songschreiben und Aufnehmen auch immer eine Playlist mit unseren Favoriten laufen gehabt“, lacht Atas, „immer wenn wir unsicher waren, wie es denn weitergehen sollte, haben wir dort reingehört. Unser Gedanke war: wenn die Musik, die wir hören gut ist, dann wird auch das, was von uns daraus entsteht sicher gut.“ R&B diente den beiden als klanglicher Schutzschirm, in Songs wie „Sweet Talk“, „Sudoku“, „Talk Away“ oder „Waterfalls“ lotet man Subgenres wie Indie-Pop, Dream-Rock oder auch Sad-Pop aus.

Dass sich die beiden Künstlerinnen in fast schon geschwisterlicher Eintracht befinden, hört man der Musik an, die zu jeder Zeit kohärent und durchdacht aus den Boxen wabert. Freilich machen sie sich auch visuell bei Videos, Album-Cover und Fotos ihre Gedanken, doch die Musik überlagert jede Marketingstrategie. „Am Ende siegt noch immer die Qualität“, so Atas selbstbewusst, „,Hotline Aze‘ funktioniert durch Singles, als auch als Hintergrundmusik. Du kannst die Songs für dich interpretieren und weiterdenken, aber auch am Strand oder beim Lagerfeuer sitzen und dich beschallen lassen. Es ist Popmusik und die soll vorwiegend Spaß machen.“ Aze haben eine ganz eigene Interpretation von Humor. „Hotline Aze“ ist grob gesagt ein Konzeptwerk über verschiedene Stufen psychischer Erkrankungen und Unsicherheiten, das auf toxischen Erlebnissen, furchtbaren Beziehungen und Verdrängung basiert. „Das Album ist quasi ein toxischer Safe Space. Ich finde es traurig, dass so viele Musiker sich schwertun, das Thema mit Humor anzufassen. Natürlich hat man seine dunklen Phasen, aber generell tut es zwischendurch gut, darüber einen Witz zu machen und die Situation zu entschärfen. Wenn man einmal traurig ist, geht nicht gleich die ganze Welt unter.“

Keine Grenzen und Einschränkungen
„Hotline Aze“ steht gleichermaßen für Öffnung und Inklusion, wie für Hoffnung und Motivation. Auf dem Album haben die beiden auch ihre persönlichen Sprachmemos und Studiogeräusche wie ein Bodenknarzen oder ein knisterndes Chipspackerl integriert. Bei aller klanglichen Schönheit hat die Authentizität immer noch den größten Wert im Klangkosmos. Wie für die Generation Z üblich gibt es keine Einschränkungen und Grenzen. Stichwort: Playlist-Hörgewohnheiten. Ein sexy Song mit Härte wie „Waterfalls“ stellt sich zu einem Pop-Lehrstück á la „Showbiz, Baby!“ oder härteren Rockgitarren in „Sad Sensations“. Ganz altmodisch wiederum ist der visuelle Zugang. Für das Cover-Artwork hat man sich auf eine Art Vinyl im Schauspielhaus gestellt, das Album-Inlay beinhaltet Werbeanzeigen aus alten Telefonbüchern der 50er- und 60er-Jahre. Der Glamour-Aspekt war Aze genauso wichtig wie eine zeitgemäße, inhaltliche Umsetzung ihrer Gedanken.

„Welche Bands sind denn heute noch in aller Munde? Solche, wie die Talking Heads, die sich auch immer viele Gedanken über das Visuelle gemacht haben. Auch eine Madonna war schon früh von Kopf bis zu den Zehen visuell eingestellt. Beim Pop ging es immer darum, Dinge mit multiplen Sinnen zu erfahren und zu erleben. Falsch ist es nur, wenn das Visuelle zum Hauptgrund des Tuns wird. Ein gutes Aussehen ist keine Garantie für gute Musik. Wenn man, so wie wir, eineinhalb Jahre lang hart an 13 Songs arbeitet, dann sollen sie auch von so vielen Menschen wie möglich gehört werden. Man darf nicht zu viel planen, das ist nicht gesund. In erster Linie wollen wir beide gute Musikerinnen sein, der Rest kommt dann schon.“ Und auch die Vorbildrolle unterschätzen Aze nicht. „Ich liebe Melanie Martinez, aber wenn 14-Jährige ihre Lolita-Vibes konsumieren, macht das keine gesunden Menschen aus ihnen. Hätte ich mit 14 vielleicht ein Album wie unseres gehört, wäre es mir sicher besser gegangen.“

Album-Release-Show in Wien
Ihre Album-Release-Show spielen Aze am 20. Juli im Wiener Theater am Spittelberg. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Infos zum Event.

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