Kindheitserinnerungen

Der rothaarige Sohn des Polizisten war auch dabei!

Vorarlberg
26.06.2022 10:30

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Autor Robert Schneider diesmal Roland Jörg an seine Lieblingsplätze.

Das Licht an diesem heißen Nachmittag erinnert mich an De Chiricos berühmtes Bild „Mysterium und Melancholie einer Straße“ oder an Carlo Carràs „Rotes Haus“. Die gnadenlose Sonne brennt in die Fassaden einer Handvoll verwaister Häuser im legendären Weiherviertel von Bregenz. Das so genannte Bundesländer-Hochhaus wirft lange, spitze Schatten auf den Straßenteer. Ein Lkw steht davor, dessen Motor ununterbrochen läuft. Das Führerhaus ist leer.

Als wir einander begegnen, Roland Jörg - mein heutiger Erzähler von den Plätzen der Kindheit - und ich, flüchten wir aus der Sonne in den Schatten. Es ist einfach zu heiß.

Affinität zu Altbauwohnungen

„Das war mein Viertel“, beginnt Jörg sofort zu erzählen. „Das Haus ist längst abgerissen, in dem ich mit meinen Eltern und Großeltern mütterlicherseits in einer Drei-Zimmer-Altbauwohnung gelebt habe. Bis zu meinem vierten Lebensjahr. Daher vielleicht meine Affinität zu Altbauwohnungen. Dort, wo jetzt die Landesregierung steht, auf dem ehemaligen Sauter-Bühel, war ein großer Schrebergarten, wo wir als Kinder Erdbeeren gepflückt haben.“

Ich spüre, dass es etwas mit ihm macht, so ganz bewusst den Ort seiner Kindheit aufzusuchen. Eine Mischung aus Euphorie, Humor, aber auch leiser Traurigkeit erfüllt unser Gespräch. Zeit, die vergangen ist, ein Haus, das schon lange nicht mehr steht. Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit. Er ist einer der gebildetsten Menschen, die mir in Vorarlberg begegnet sind. Ungeheure Belesenheit und Sachkenntnis gepaart mit einer hohen Intuition, in Kulturangelegenheiten zwischen Sein und Schein differenzieren zu können.

Magister Roland Jörg, geboren 1960, langjähriger Kulturamtsleiter der Stadt Dornbirn, hat über Jahrzehnte das geistige Leben Vorarlbergs mitgeprägt. Schon als Impulsgeber des Bludenzer Vereins „allerArt“ hat er gemeinsam mit Ingo Springenschmid, Georg Friedrich Haas oder Wolfram Schurig Künstler ins Land geholt, die ein oder zwei Jahre später in großen Häusern bejubelt wurden. Er hatte immer eine sprichwörtliche Nase für das, was irgendwann groß wird.

Du stammst aus einer in Bregenz verwurzelten Familie. Erzähle mir von deiner Herkunft.

Ich bin der Sprössling einer kleinen Beamtendynastie. Da gab es meinen Opa oder auch einen Onkel bei der Post und beim Zoll. Der Urgroßvater war Bürgermeister von Rieden, das damals flächenmäßig größer war als Bregenz. Und mein Vater, der letztes Jahr leider verstorben ist, war bei der Polizei und Chef der örtlichen Sicherheit.

Ist das keine Last für einen kleinen Jungen? Erlauben konntest du dir da ja wohl nichts.

Ja klar. Haben wir als Kinder Streiche gespielt, hieß es gleich: „Ah, der Sohn des Polizisten war auch dabei. Schau an!“

Wer stand dir näher, der Vater oder die Mutter?

Wenn ich etwas ausgefressen hatte, ging ich zur Oma. Einmal bekam ich eine neue Hose, auf die ich besonders aufpassen sollte. Damit fuhr ich Rollschuhe. Prompt war die Hose hin. Meine Oma bemühte sich, das Loch zu stopfen, so gut es ging. Die Eltern gaben mir zwei Wochen Rollschuhverbot, worauf meine Oma erwiderte: „Wenn ihr das tut, rede ich die zwei Wochen nicht mehr mit euch.“

Du warst, wie man auf den Bildern sieht, ein feuerroter Dreikäsehoch. Als Kinder haben wir Rothaarige gehänselt.

Natürlich wurde ich gehänselt, weshalb ich eher introvertiert war. Ein Außenseiter vielleicht. Deshalb auch später dann der Rückzug in die Welt der Bücher. Einzig im Fußballspielen, da konnte ich mich ausleben und aus mir herausgehen.

Du bist noch heute ein exzellenter Fußballkenner.

So ist es. Leider war mir nicht vergönnt, ein Musikinstrument zu lernen, weil meine Eltern in der hellhörigen Siedlungswohnung Angst hatten, ich könnte durch das Üben die Nachbarschaft stören oder auch die nachtdienstbedingt unregelmäßigen Schlafzeiten meines Vaters. Diese Zurückhaltung hat sich wie ein roter Faden durch meine Kindheit gezogen. Politisch war mein Elternhaus nämlich großkoalitionär. Väterlicherseits pechschwarz, mütterlicherseits ursozialistisch. Um aber als Sozialist nicht aufzufallen, wurde meine Mutter ins Ballett geschickt. So wollte man nach außen den Anschein des Gutbürgerlichen wahren. Meine Großmutter sagte zu mir: „Roland, versprich mir, dass du nie in eine Partei eintrittst.“

Vielleicht daher auch deine grundlegende Zurückhaltung in der Öffentlichkeit?

Das ist ganz sicher so. Ich bin ein zurückhaltender Mensch, auch wenn man es mir nicht gleich anmerkt. Ich nahm einmal Gesangsstunden bei Walter Kräutler, später bei Ina Wolf. Habe mich fast geniert, diesen großen Leuten ihre Zeit zu stehlen. Irgendwann durfte ich im Kornmarktchor bei einer La Bohème-Produktion im Festspielhaus mitmachen. Dachte mir, das kriegst du hin, einfach im Chor stehen und singen. Aber ich bekam eine Statistenrolle, wo ich in einer Szene über den Markt stolpern musste. Das war für mich eine befreiende Erfahrung, die mir die Angst nahm, später bei öffentlichen Anlässen frei zu sprechen.

Kehren wir noch einmal zurück in das Weiher-Viertel. Was sind deine früheste Kindheitserinnerungen?

Das sind die Ohrläppchen meiner Oma, die ich beim Einschlafen immer geknetet habe. Und seltsamerweise ein riesiger, schwarz-weißer Steinboden. Ich war da circa drei Jahre alt. Viel später stellte sich heraus, dass es ein Boden auf Schloss Neuschwanstein gewesen sein musste, wohin meine Eltern einen Ausflug mit mir unternommen hatten.

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