Filzmaier & Thalhammer

Reden wir über Corona, Herr Professor!

Coronavirus
29.05.2022 09:40

Da war doch mal was. Ach ja, ein Virus und eine Pandemie. Corona ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Politikwissenschafter Peter Filzmaier hat mit dem Top-Infektiologen Florian Thalhammer gesprochen, ob wir uns da nicht einer gefährlichen Illusion hingeben.

Peter Filzmaier: Wissen Sie, warum ich Sie ausgerechnet jetzt um ein Gespräch gebeten habe, obwohl irgendwie keiner mehr über die Pandemie reden will?
Florian Thalhammer: Nein, das weiß ich nicht.

Im Vorjahr taten viele Politiker im Sommer so, als wäre Corona vorbei. Sie jedoch kritisierten, dass wir verantwortungslos Party machen. Und im Herbst würde der Sensenmann kommen. Leider hat man Ihnen nicht zugehört. Die Kanzlerpartei ÖVP plakatierte mit dem Foto von Sebastian Kurz sogar fälschlich, wir hätten die Pandemie gemeistert. Welche Entwicklung sagen Sie heuer voraus?
Das Virus wird im Herbst nicht verschwunden sein, und einen Lockdown wird es aus finanziellen Gründen nicht geben. Dazwischen ist alles möglich. Eines ist freilich sicher und bahnt sich ja bereits an: Es wird eine neue Variante bzw. Subvariante des Coronavirus vorherrschend sein.

Das klingt verdächtig nach einer Wiederholung des Herbstes 2021.
Es gibt gravierende Unterschiede. Wir haben eine größer werdende Anzahl an unterschiedlichen Impfstoffoptionen. Wir können erkrankten Personen verschiedene Therapien anbieten. Wir haben zumindest theoretisch gelernt, wie wir mit verschiedenen Szenarien der Zahl und des Schweregrads von Infektionen umgehen können.

Zitat Icon

Die Disziplin, FFP2-Masken korrekt zu tragen, ist überschaubar. Bei 35 Grad wird das zur nicht erforderlichen Zumutung.

Florian Thalhammer

Ab 1. Juni ist seitens des Gesundheitsministeriums fast nirgends mehr das Tragen von FFP2-Masken vorgeschrieben, in Wien als Widerspruch dazu in öffentlichen Verkehrsmitteln schon. Wer hat recht?
Dieser Widerspruch ist typisch österreichisch. Ich habe dem Ministerium vorgeschlagen, dass wir bei geringen Infektionszahlen auf einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz zurückgehen. Warum? Die Disziplin, FFP2-Masken korrekt zu tragen, ist überschaubar. Bei 35 Grad wird das zur nicht erforderlichen Zumutung. Die Infektionen werden vor allem aus dem privaten Umfeld kommen, mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich die Krankenhausbelastung in Grenzen halten. Also sollten für die Bevölkerung situationsangepasst einheitliche und nicht verschiedene Regeln gelten.

Zitat Icon

Zu oft wird nicht oder verspätet auf Corona-Medikamente zurückgegriffen.

Florian Thalhammer

Bei meiner nächsten Frage werde ich mich ganz genau nach Ihrer Antwort richten. Was ist für jeden von uns in den nächsten Wochen und Monaten ein sinnvoller Umgang mit dem Virus?
Erstens Impfschutz erhalten, um im Regelfall nicht schwer zu erkranken. Zweitens in Bereichen mit vielen Menschen auf engem Raum, ganz besonders in Innenräumen, eine Maske tragen. Drittens sich bei typischen Symptomen sofort testen lassen. Viertens im Krankheitsfall Therapieangebote wahrnehmen. Zu oft wird nicht oder verspätet auf Corona-Medikamente zurückgegriffen.

Ich wünsche mir Ihr Wort im Ohr möglichst vieler Leser. Wir müssen trotzdem kritisch über Wissenschaftskommunikation sprechen. Nach einer Studie meiner Universitäten Krems und Graz beziehen annähernd gleich viele Menschen ihre Informationen über Gesundheitsthemen von Doktor Google wie von Ärzten. Wussten Sie das?
Nein, aber wer ist besser?

Natürlich die Ärzte, aber ich denke, dass seriöse Mediziner viel mehr Zeit für Onlinekommunikation aufwenden müssten, um das dortige Feld nicht unseriösen Agitatoren oder gar Spinnern zu überlassen.
Ja, da stimme ich Ihnen zu. Deswegen habe ich während der Pandemie das Angebot an Internetseminaren für meine Kollegen stark ausgebaut. Hier bin ich wirklich stolz auf den großen Erfolg meiner Fortbildungsformate mit bis zu 15.000 teilnehmenden Kollegen. Zudem habe ich auch ein Konto @derinfektiologe auf Instagram eingerichtet. Das gilt leider eher als Liebhaberei.

Obwohl mein Instagram-Konto @peterfilzmaier wirklich nur ein Hobby ist, sollten Sie damit bitte auf keinen Fall aufhören!
Warum nicht?

Weil Sie auf diesem Weg mit Ihrem Fachwissen über Infektionen und Viren eine große Reichweite außerhalb unserer Universitätswelt und Fachbereiche haben könnten. Ich werfe ja der Politik in ihrer Kommunikation zu Impfungen und Coronamaßnahmen vor, dass sie zu oft bloß Zielgruppen erreichen, welche ohnehin schon überzeugt sind. Hier sollten wir als Wissenschaftler nicht denselben Fehler machen.
Der Kommunikationsexperte sind Sie und nicht ich. Wahrscheinlich sollte man unser beider Wissen zusammenspannen, um erfolgreicher zu sein.

Das versuchen wir ja seit zwei Jahren in unserer „Krone“-Serie zu tun (lacht). In meinem Gebiet der Sozialwissenschaft wird übrigens im Sinn der Transparenz und Glaubwürdigkeit auch diskutiert, Tabellenbände oder Datensätze von seitens der Politik beauftragten und mit Steuergeld bezahlten Studien im Internet frei zugänglich zu veröffentlichen. Könnten Sie sich das - natürlich ohne vertrauliche Patientendaten - in der Medizin vorstellen?
Wünschenswert wäre das, praktisch wird es nur eingeschränkt funktionieren. Einerseits, weil die Angst vor Datenmissbrauch besteht. Andererseits gibt es große Therapiestudien, die zu Zulassungen von Medikamenten führen, jedoch nicht öffentlich finanziert werden. Wäre dies der Fall gewesen, hätten wir alle früher gewusst, dass es bei einem Corona-Medikament nach Ende der regulären Therapie zu neuerlichen Symptomen kommen kann.

Abschließend noch eine ganz andere Frage: Kommt mit den Affenpocken die nächste Pandemie auf uns zu?
Nein. Zur Übertragung ist ein enger Kontakt erforderlich und die Erkrankten sind mit Bläschen quasi gekennzeichnet.

Zur Person Florian Thalhammer

Florian Thalhammer ist Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).

Zur Person Peter Filzmaier

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele