„Sturz durch Eliten“

Aufdecker: Putin hat nur noch Monate an der Macht

Ausland
21.05.2022 10:56

Der Russland-Experte und Enthüllungsjournalist Christo Grozev sieht das politische Ende des russischen Machthabers Wladimir Putin nahe. „Es könnte überraschend schon im Sommer so weit sein oder erst, wenn die Sanktionen das tägliche Leben der Russen treffen und der Rubel an Wert verliert, und das könnte fünf bis acht Monate dauern“, sagte Grozev am Rande einer Konferenz in Wien. Wie es nach Putin weitergehe, sei offen, weil es einen Machtkampf zwischen Hardlinern und Gemäßigten gebe.

„Ich tue mir schwer, ein Szenario zu finden, nach dem er an der Macht bleiben würde“, sagte Grozev im Gespräch mit der APA auf die Frage nach den politischen Zukunftsaussichten Putins. „Es gibt in der Geschichte kein Beispiel von jemandem, der seiner Elite so hohe Kosten zugemutet hätte und an der Macht geblieben wäre“, erklärte er am Rande der internationalen Konferenz „Time to Decide Europe Summit“.

„Je weiter man hinaufgeht, umso schlechter ist die Stimmung“ 
Grozev betonte zugleich, dass der Sturz Putins nicht durch einen Volksaufstand zustande kommen werde. „Es wird von den Eliten kommen.“ Diese seien nämlich nicht wie die Bevölkerung Desinformation ausgesetzt „und kennen die tatsächlichen Zahlen und Aussichten“, sagte der in Wien lebende bulgarische Enthüllungsjournalist. „Je weiter man in der Machtpyramide hinaufgeht, umso schlechter ist die Stimmung“, fasste Grozev die Gemütslage in Russland zusammen.

Der weitere Verlauf des Ukraine-Krieges „hängt davon ab, ob Putin das politische Risiko eingeht, eine volle Mobilisierung bekannt zu geben“, so Grozev. „Er braucht rund eine Million Soldaten, damit sich die Dinge zum Positiven wenden.“ Westliche wie russische Militärexperten gehen davon aus, dass die russische Armee ohne Mobilisierung nur einen Abnützungskrieg mit wenig Bewegung aufrechterhalten, bis dann die Ukraine selbst in die Offensive gehen könne. Eine Generalmobilmachung sehen Experten als unwahrscheinlich an, da sie bei der Bevölkerung extrem unbeliebt wäre. Zudem müsste Putin dafür offiziell den Kriegszustand verhängen. Bisher ist immer noch einer von einer „Spezialoperation“ die Rede.

Ukraine auf dem Vormarsch?
Grozev geht davon aus, dass die Ukraine „bis zum Ende des Sommers“ einen Teil der pro-russischen „Volksrepubliken“ in den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk zurückerobern könnte. Putin hatte die beiden im Jahr 2014 etablierten Separatistengebiete unmittelbar vor Kriegsbeginn im Februar als unabhängige Staaten anerkannt, um auf deren Ersuchen das Nachbarland überfallen zu können.

Grozev betonte, dass Putin die Verantwortung für den Krieg habe. „Ihm nahestehende Personen sagten, dass es sich um eine Obsession von ihm handle. Er nahm den Rat der Falken an, doch die Entscheidung traf er selbst.“ Jetzt gebe es im Kreml einen Machtkampf zwischen „Falken“, die für ein härteres Vorgehen im Krieg sind und gemäßigten „Tauben“ - mit ungewissem Ausgang. „Ein Regimewechsel könnte in zwei Richtungen passieren“, erläutert Grozev, „ich bin mir nicht sicher, wer siegen wird.“

Machtkampf in der Elite
So gebe es Lobbys innerhalb des Lagers der Geheimdienstler und Militärs - den Silowiki - die schon zu Beginn des Krieges für den Einsatz von Chemiewaffen und eine Mobilisierung eintraten. Diese „denken, dass Putin alles falsch gemacht hat“, so Grozev.
Auf der anderen Seite stünden die Oligarchen, die unter den westlichen Sanktionen litten. Sie seien bemüht, Zugang zu den Silowiki zu bekommen, um Putin zu einem Ende des Krieges zu bewegen, sagte Grozev. Die Tauben hätten deshalb eine Chance, sich durchsetzen, weil sie einen höheren Entwicklungsgrad aufweisen, mehr Möglichkeiten der politischen Manipulation und auch die Unterstützung des Westens hätten.

Der Gründer der Enthüllungsplattform „Bellingcat“ beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit dem Putin-Regime und seinen kriminellen Machenschaften. Internationale Berühmtheit erlangte Grozev, als er nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny die Attentäter durch intensive Datenrecherche aufspürte. In einem unter falscher Identität geführten Telefongespräch konnte Nawalny einen der Täter dazu bringen, die Durchführung des Giftanschlags zu schildern.

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