Wirtschaftsexperte:

Teuerungswelle schwächt erst in einigen Jahren ab

Tirol
15.05.2022 18:00

Die Teuerung trifft die Tiroler besonders hart, doch wie teuer wird es noch? Was muss die Politik tun? Die „Tiroler Krone“ startet dazu eine Serie. Am Beginn mit Gottfried Tappeiner vom Innsbrucker Institut für Wirtschaftspolitik. Trifft die Teuerung auch Sie - lassen Sie es uns in unserer Umfrage wissen.

Müssen auch Sie wegen der Teuerung auf etwas verzichten - fällt beispielsweise der Urlaub heuer kürzer aus? Klicken Sie auf die Antwort und sehen Sie, ob sie im Tiroler Trend liegen und lassen Sie uns gerne in den Kommentaren wissen, wo Sie bereits sparen (müssen). Nach der Umfrage folgt das Interview.

„Krone“: Herr Professor Gottfried Tappeiner: Wie teuer wird es denn noch?
Gottfried Tappeiner
: Wegen dem Zweitrundeneffekt wird es sicher teurer werden und das wird uns mit Sicherheit noch zwei Jahre begleiten. Doch von einer Inflation von rund 6,5% wird es vermutlich auf etwa 4 bis 4,5% zurückgehen.

Werden die Tiroler in zwei, drei Jahren wieder mehr Geld im Börsel haben?
Es ist ziemlich sicher, dass ein guter Teil der Inflation, zumindest für die Arbeitenden, in den Kollektivvertragsverhandlungen aufgefangen wird. Die Anpassung bei den Pensionen kommt traditionell, aber halt mit Zeitverzögerung. Vermutlich müssen die Pensionisten die Inflation von einem Jahr schlucken, länger glaube ich aber nicht. Dann kommt noch die Gruppe jener Menschen, die Transferleistungen beziehen: Arbeitslosengeld, Mindestsicherung, Stipendien. Aber auch da wird es politisch nicht aufzuhalten sein, dass diese Leistungen erhöht werden.

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Zwei Drittel der Österreicher jammern auf sehr hohem Niveau. Das andere Drittel trifft es hart.

Gottfried Tappeiner, Institut für Wirtschaftspolitik

Für die arbeitende Bevölkerung also gute Nachrichten?
Eher abgemilderte schlechte. Auf einen Teil der Preissteigungen werden sie sitzen bleiben, aber nicht auf dieser Höhe, wie derzeit. Wirklich ausgeglichen wird es erst im Laufe von drei bis fünf Jahren.

Also wird erst in fünf Jahren der Wohlstand wieder erreicht sein?
Ja. Zwei Drittel der Österreicher jammern auf sehr hohem Niveau. Das andere Drittel trifft es hart. Hier ist ein Sozialstaat speziell gefordert. Etwa, dass er vielleicht bei den Anhebungen der Unterstützung der Schwächsten etwas schneller und etwas großzügiger ist. Sie zurückzulassen wäre nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich verheerend. Weil wir wissen, dass die wirtschaftliche Produktivität durch nichts mehr gebremst wird, als durch gesellschaftliche Konflikte.

Es wäre also Aufgabe der Politik, das abzufangen?
Die Politik steht unter Druck, sehr schnell etwas zu tun - aber da ist man nie zielgenau. Beispiel Treibstoff: Dass der teuer ist, liegt daran, dass er knapp ist. Das wissen wir seit 1973, seit dem Ölpreisschock. Jetzt ist die Versuchung groß, Treibstoffsteuer zu entlasten. Aber ich entlaste den für einen SUV-Fahrer, der 12 Liter pro 100 Kilometer und ein Einkommen von 80.000 Euro im Jahr hat genauso wie für jene, die 5½ Liter brauchen und 1600 Euro bekommen. Das ist nicht gut, denn Preissteigerungen haben zwei Effekte: Erstens eine Einkommenswirkung (die man für die Schwächeren ausgleichen sollte) und einen Substitutionseffekt. Das heißt, ich gebe Anreize, etwa beim Pendeln eine Fahrgemeinschaft zu bilden. Wenn ich diese zurücknehme, kommen diese Austauschprozesse nicht zum Tragen - das wäre falsch.

Die Energie-Boni der Politik, wie ist das zu bewerten?
Der Bonus ist eine der schlimmsten populistischen Maßnahmen, die ich je gesehen habe. Es ist für Bürger nicht wirklich nachvollziehbar, dass man anhand der Steuererklärungen nicht denen, die nicht steuerpflichtig sind, eine Gutschrift gibt, und zwar nicht von 100 Euro, sondern von 300 Euro - den Mindestrentnern und den Stipendienbeziehern genauso. Und die anderen müssen es schlucken. Dann hätte ich sicher mehr Treffgenauigkeit.

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Der rechte und der linke politische Rand ist zusammengewachsen: Beide haben das Gefühl, da werden Leute zurückgelassen.

Gottfried Tappeiner, Institut für Wirtschaftspolitik

Sie haben Verwerfungen in der Gesellschaft angesprochen. Wie schwer wiegen diese wirtschaftlich?
Das bremst ganz enorm. Vertrauen in eine Gesellschaft ist ein erheblicher Produktionsfaktor. Es gibt zwei Grundannahmen zur Berechtigung einer Marktwirtschaft, die ins Wanken geraten sind: Das Versprechen, dass jeder, der leistungswillig ist, es auch zu etwas bringen kann. Und: Wenn jemand auf diesem Weg ausrutscht - unter ein gewisses Niveau lassen wir niemanden fallen. Beides ist in Frage gestellt worden. Die gesellschaftliche Durchlässigkeit nimmt ab, weil der ökonomische Status stärker von Vermögen als von Einkommen abhängt. Die liberale Entwicklung hat den Sozialstaat unterminiert. Und dann ist etwas passiert, das ich nie für möglich gehalten hätte: Der rechte und der linke politische Rand ist zusammengewachsen: Beide haben das Gefühl, da werden Leute zurückgelassen.

Wie soll die Mittelschicht in Zeiten der Teuerung mit Erspartem umgehen?
Wenn jemand, sagen wir, 25.000 Euro auf der Seite hat, tut man sich heute am Härtesten. Es ist so viel, dass die -10% schmerzen, aber nicht so viel, dass man viele Investitionsalternativen hat. Dass man irgendetwas tun kann, was einen selbst absichert, etwa eine thermische Sanierung der Wohnung. Bei Familien ist das Geld am besten angelegt, wenn man es in die Ausbildung der Kinder investiert.

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Eine Umkrempelung der Sozialpolitik ist angebracht, aber das passiert sowieso: Der Gedanke vom „schlanken Staat“ ist durch die Pandemie selbst in wirtschaftsliberalen Kreisen gestorben.

Gottfried Tappeiner, Institut für Wirtschaftspolitik

Was kann die Politik machen für jene, die es am härtesten trifft, dieses „untere Drittel“?
Das ist aus zwei Gründen nicht ganz leicht: Erstens: Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen ist bei vielen Menschen immer noch mit Scham behaftet. Zweitens: Manche Mitglieder dieser Gruppe sind nicht gerade Sympathieträger. Etwa Alkoholkranke, da wird der Politiker nicht großen Zuspruch ernten, wenn er sagt, „für die versoffene Gesellschaft will ich etwas tun“. Das berücksichtigt aber weder, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, noch dass jeder Alkoholiker ein soziales Umfeld hat. Wenn man nichts tut, sind auch von deren Kinder die Chancen ruiniert. Das ist Vergabe von Produktivität in 15 Jahren. Und das sollten wir uns nicht leisten. Eine Umkrempelung der Sozialpolitik ist angebracht, aber das passiert sowieso: Der Gedanke vom „schlanken Staat“ ist durch die Pandemie selbst in wirtschaftsliberalen Kreisen gestorben, weil viele Vertreter die ersten waren, die gesagt haben: Wir brauchen aber Coronazuschüsse.

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