Zum Tag der Inklusion boten die ÖBB einen Perspektivenwechsel an: Wie ist es, im Rollstuhl durch den Bahnhof zu kommen - oder ohne etwas sehen zu können? „Krone“-Redakteurin Nadine Isser hat den Perspektivenwechsel ausprobiert.
Bis 2027 wollen die ÖBB 90 Prozent der Zug-Haltestellen barrierefrei machen. Ein großes Unterfangen, vor allem wenn man bedenkt, wie viele Arten von Behinderung es gibt: Die einen können nichts sehen, andere nichts hören, wieder andere sitzen im Rollstuhl, um einige zu nennen - und manche sind gar mehrfach betroffen.
Ungeübt und unbeholfen immer den Rillen nach
Man merkt es überall, die Städte wurden einst für körperlich „komplett gesunde“ Menschen gebaut - Behinderung hatte keinen Platz. Doch die Zeiten änderten sich und die ÖBB haben ihre Haltestellen mittlerweile zum Großteil so gebaut, dass sie alle problemlos benutzen können. Um zu wissen, worauf es wirklich ankommt, mache ich den Selbsttest und setze eine spezielle Brille auf, mit der ich fast nichts sehen kann. Robert Öllinger, DisAbility Management Consultant - er berät Unternehmen, wie sie möglichst barrierefrei werden können -, geht an meiner Seite und erklärt mir, worauf ich achten muss.
Er ist Experte und zugleich Betroffener, kann er doch kaum sehen und hören. Ich bin freilich ohne Übung und ziemlich unbeholfen, zuerst ist mein Radius mit dem Blindenstock zu klein, dann zu groß. Ängstlich setze ich einen Schritt vor den anderen, immer den Rillen nach, und höre auf Herrn Öllinger, der mich anleitet. Er kann sogar durch den Stock die farbige Linie erfühlen, mein Gefühl ist dafür viel zu schlecht - ich bin froh, wenn ich die tiefen Rillen „im Auge behalte“. Zusammen schaffen wir es dann bis zum Lift, die Braille-Schrift dort kann ich nicht lesen. „Für Sehende ist es kaum möglich, sie so gut zu lernen, dass man sie erfühlen kann - weil man sie mit dem Auge viel schneller erfasst.“ „HALLE“ steht in normaler Schrift zum Fühlen, aber selbst das ist für mich schwer zu erkennen - hier fehlt mir definitiv das Fingerspitzengefühl.
Rolltreppen-Fahren für Fortgeschrittene
Als wir unten sind, fahren wir mit der Rolltreppe wieder hinauf – auch keine leichte Aufgabe. Woher weiß ich, wann ich oben angekommen bin? „Den Stock ein, zwei Stufen vor sich hinstellen, und wenn sich dieser senkt, wissen Sie es“, erklärt mir Herr Öllinger. Logisch.
Auch im Rollstuhl fehlt mir die Übung: Kaum habe ich den Dreh raus, wie man sich umdreht, spüre ich es in den Armen. Mir steht es nicht zu, die Barrierefreiheit des Bahnhofs zu beurteilen, ich frage daher Herrn Öllinger nach seiner Einschätzung. Die ÖBB dürfen mit sich zufrieden sein, zumindest in den Städten bekommen sie ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt.
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