Das große Interview

Kirchturmdenken und das „Dorf im Kopf“

Vorarlberg
23.03.2022 10:55

Der Raumplaner Markus Berchtold spricht im Interview über mangelhafte Kommunikation und Fehlplanungen im Hinblick auf die urbane Entwicklung des Rheintals. Und er erklärt, warum es dafür mündige Bürger braucht.

Krone: Herr Berchtold, das Rheintal zählt nach Wien zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Österreichs und laut EU zu den überwiegend städtischen Regionen. Die Menschen selbst scheinen sich größtenteils aber nicht als Städter zu begreifen. Warum ist dem so?
Berchtold
: Das Rheintal ist gar nicht so dicht besiedelt, die Dichte in anderen Stadtregionen in Österreich ist wesentlich höher. Und was die Verstädterung betrifft: Das ist ein Prozess, der bereits in den 1950er-Jahren durch den Wirtschaftsaufschwung eingeläutet wurde. Allerdings hat man die Menschen auf diesem Weg zu wenig begleitet. In den Köpfen fühlen sie sich noch immer in Dörfern zuhause. Für die Bürger wurden die räumlichen Entwicklungen unverständlich formuliert. Zugegeben: Räumliche Entwicklungskonzepte, Flächenwidmungs- und Bebauungspläne und andere Raumplanungsprozesse sind für Laien nicht leicht verständlich. Daher sollten sie für diejenigen, die sie schlussendlich betreffen, verständlich erklärt werden.

Hätten die Menschen weniger Probleme damit, wenn die Entwicklung zur urbanen Region einem klaren Plan folgen würde?
Nicht zwangsläufig, eben weil das Dorfdenken in den Köpfen der Vorarlberger noch immer stark ausgeprägt ist. Umso wichtiger wäre es, die Menschen über die Vorteile von Mehrwohnungsanlagen und städtischen Regionen aufzuklären. Gleichzeitig haben Sie in gewisser Weise recht, denn es wurde verabsäumt, die großzügigen und wachstumsorientierten Planungen aus den 1970er-Jahren umfassend zu reflektieren und mit der nachlassenden Dynamik zu korrigieren. Aufgrund des damals sehr hohen Bevölkerungswachstums ist unter hohem Druck gebaut worden, was letztlich auch dazu geführt hat, dass enorm viele Flächen als Bauland ausgewiesen wurden. Heute stehen wir vor dem Problem, dass diese Flächen nur mehr zu sehr hohen Kosten zurückgewidmet werden können. Viele davon bleiben noch dazu unbebaut, weil Bauland gehortet wird. Der Anteil ungenutzter und unbebauter Bauflächen in Vorarlberg liegt nach wie vor bei über 30 Prozent. Die fehlende Verfügbarkeit wäre also nicht das Problem.

Und was ist das Problem?
Zum einen eben, dass die Kommunikation unklar ist. So spricht das Land etwa davon, dass wir im Rheintal in den nächsten zehn Jahren circa 20.000 neue Wohnungen brauchen. Woher diese Zahl kommt, erschließt sich mir nicht, zumal viele Wohnungen leer stehen und das Bevölkerungswachstum überschaubar ist. Abgesehen davon sind die Kosten für Wohnungen mittlerweile derart hoch, dass man sich diese ohnehin fast nicht mehr leisten kann.

Es liegt also einmal mehr am fehlenden Geld?
Ja, im Hinblick auf die Anschaffung von Wohneigentum ist die mangelnde Leistbarkeit tatsächlich ein immer größer werdendes Problem. Mindestens ebenso wichtig wäre es allerdings, generell das Bewusstsein für die Qualitäten eines Lebensraums zu schärfen. Noch ist die Lebensraumqualität in Vorarlberg sehr hoch - diese gilt es zu erhalten und im besten Fall sogar noch zu steigern.

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Noch ist die Lebensraumqualität in Vorarlberg sehr hoch - diese gilt es zu erhalten und im besten Fall sogar noch zu steigern.

Markus Berchtold

Können Sie das bitte näher erläutern?
Wir haben eine wunderbare Natur, eine gute Versorgungssicherheit, verfügen über beste Luft- und Trinkwasserqualität und leben in Sicherheit - das sind nur einige der vielen Vorzüge in Vorarlberg. Doch die Brüche in der Gesellschaft werden größer, dabei ließe sich vieles kitten - nicht zuletzt durch eine umsichtige Gestaltung des Lebensraumes. Wir hätten ja die finanziellen Mittel, um die Region derart zu modellieren, dass alle davon profitieren würden. Das Ziel kann nur lauten, das Rheintal zu einer städtischen Region mit ausreichend Grün- und Parkflächen, einem öffentlichen Nahverkehr, der die Menschen tatsächlich auf das Auto verzichten lässt, guten Bildungseinrichtungen, einem tollen kulturellen Angebot und Anderem mehr zu entwickeln.

Es müssten also öffentliche Gelder investiert werden.
Genau. Noch dazu gibt es in Vorarlberg kreative Köpfe und kritische Geister, die diese Prozesse nicht nur verstehen, sondern auch an ihnen mitwirken würden. Wir hätten die Brüche also nicht nötig, sondern könnten vielmehr wirklich strahlen. Stattdessen jammern wir aber auf hohem Niveau und verbleiben in einem Wettbewerb zwischen Bregenz, Dornbirn und Feldkirch, anstatt uns als Region mit Städten wie Zürich, München oder Stuttgart zu vergleichen. Nicht im Sinne eines Wettbewerbs, sondern um sie als Benchmark zu sehen und von ihnen zu lernen.

Fakten

DI Mag. (FH) Markus Berchtold Ph.D. ist Gründer und Inhaber von heimaten®,ein Ingenieurbüro für Raumplanung, Unternehmensberatung und Systemischer Prozessbegleitung in Schwarzenberg. Mit seinem Team unterstützt der ehemalige vai-Geschäftsführer Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen u.a. bei Raumplanungsprozessen, fachlichen Gutachten und im Projektmanagement.

Würde das dazu beitragen, dass sich die Menschen mit ihrer Heimat wieder identifizieren? Ich habe nämlich das Gefühl, dass die Heimatverbundenheit bei vielen abgenommen hat.
Lebensräume verändern sich laufend. Entsprechend verändert sich auch die Verbundenheit zu jenem Lebensraum, den man als seine Heimat identifiziert. Damit die Verbundenheit nicht abnimmt, müssen die Menschen verstehen, was vor sich geht. Einmal mehr also gilt: Wir müssen viel mehr reden - und zwar in einer verständlichen Sprache. Zusätzlich braucht es Informationsmaterialien, öffentliche Diskussionen, Ausstellungen, Events und anderes mehr. Und das alles transparent, ehrlich, intermediär und vor allem offen gegenüber dem, was gut und was falsch gelaufen ist. Und nicht zuletzt braucht es ein offenes Ohr für die Beiträge der Bürgerinnen und Bürger. Es wäre wichtig, dass sich die Menschen einbringen und sich schlussendlich als Städter begreifen. Und dann werden sie auch die Notwendigkeit einer Verdichtung nach innen, von öffentlichen Parkanlagen und konsumfreien Zonen erkennen. Nicht zuletzt würde dieser Prozess auch jedem klarmachen, dass Lebensraumgestaltung immer auch bedeutet, unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammenzubringen. Natürlich hat das Land die Verantwortung für Gesetzgebung und gute Planungsinstrumente. Und leider nimmt die Politik diese Verantwortung nur unzureichend wahr. Genauso wichtig ist es allerdings, dass auch die Bürger Verantwortung übernehmen - für sich, ihre Mitmenschen und ihre Heimat.

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