Interview

„Dankbarkeit ist für mich das Zukunftsgefühl!“

Vorarlberg
13.03.2022 14:00

Welche Auswirkungen haben zwei Jahre Krise auf uns Menschen, und wie sollen wir mit dem Krieg in der Ukraine umgehen? Die „Krone“ hat mit dem Gründer der Akademie für positive Psychologie, Bertram Strolz, geredet.

Krone:Herr Strolz, das letzte Mal wir haben uns beim Pandemiestart im März 2020 unterhalten. Welche Auswirkungen hatten die vergangenen zwei Jahre auf uns Menschen?
Bertram Strolz: Grundsätzlich eine starke, egal in welche Richtung. Ich glaube, dass viele Menschen zum Nachdenken gekommen sind, Entwicklungspotenzial gesehen und das auch genutzt haben. Also durchaus eine positive Folge. Gleichzeitig haben wir es aber mit massiven Erschöpfungstendenzen zu tun. Die Menschen sind ausgehungert nach sozialen Kontakten. Mir als Jugendcoach liegen die Jungen sehr am Herzen, und für sie ist ja mit den Lockdowns eine Art Grundnahrungsmittel weggefallen. Erwachsene schätzen es, sich Zuhause eine Zeit lang zurückziehen zu dürfen, aber als Jugendlicher will ich nicht daheim bleiben. Dort merkt man Mangelerscheinungen. Aber ich bin als Psychotherapeut zuversichtlich, dass sich das relativ zügig wieder normalisiert. Die Ungewissheit ist geblieben. Es gibt keine Planbarkeit, weil keiner weiß, wie es weitergeht. Und Covid als Krankheit nehme ich immer noch sehr ernst.

Fakten

Zur Person:
Bertram Strolz ist integrativer Gestalttherapeut und Sozialpädagoge. In seinen zwischenzeitlich 30 Jahren therapeutischer Tätigkeit formte er unter Einbeziehung hypnosystemischer und positiver psychologischer Konzepte einen eigenständigen psychotherapeutischen Stil. Nach diversen Führungsaufgaben im Sozialbereich gründete er 2017 die Akademie für Positive Psychologie in Satteins (www.akademie-pp.at). Als Musiker und Kulturmanager entwickelte er gesellschaftspolitisch relevante Projekte im Kultur- und Bildungsbereich.

Krone: Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrem Praxisalltag mit den Folgen von Covid?
Strolz: Ich habe viele Long-Covid-Erkrankte bei mir in der Praxis, die körperlich wirklich leiden - mit massiven psychischen Folgen. Wenn ich beispielsweise seit zwei Jahren keinen Geschmackssinn mehr habe oder nichts rieche, brauche ich Hilfe. Auch Menschen, die früher Halbmarathons gelaufen sind, Hochleistungssportler, die heute die Stiege nicht mehr raufkommen: Da bleibt die Angst.

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Ich habe viele Long-Covid-Erkrankte bei mir in der Praxis, die körperlich wirklich leiden – mit massiven psychischen Folgen.

Bertram Strolz

Krone: Nachdem wir nun Corona vermeintlich überstanden haben und die Maßnahmen gelockert sind, wurde unser Alltag in Europa vom Krieg in der Ukraine erschüttert. Wie soll man damit umgehen?
Strolz: „Name it to tame it“ - also benenne die Angst, um sie zu zähmen. Über alles Belastende sollte man sprechen. Folglich ist der Kontakt zu anderen Menschen, Gleichgesinnten oder Familie wieder doppelt gefragt. Unser Gehirn bewegt sich dann auch sofort in Richtung Lösung, denn es möchte nicht auf Dauer Angst produzieren. Und eine wunderbare Emotion ist die Dankbarkeit, die wir in uns tragen. Die Dankbarkeit ist für mich das Zukunftsgefühl, das wir kultivieren müssen. Auch wenn vieles teurer wird, leben wir in Vorarlberg in Frieden und Sicherheit. Es ist radikal positiv, wenn man auf das schaut, was man hat. So wird die Dankbarkeit intensiviert. Und das ist der Gewinn. Nicht aus dem Krieg in der Ukraine, aber aus diesen Krisensituationen - man besinnt sich wieder. Zudem sollte man genau dosieren, wie stark man sich mit Schreckensmeldungen beschäftigt. Natürlich holt man sich Informationen aus verlässlichen Quellen, aber trotzdem darf das Schöne im Leben noch geschätzt werden. Viele gehen gegen Putin demonstrieren, machen den Mund auf und zeigen tiefe Solidarität. Krisen bringen auch das Gute im Menschen hervor.

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Viele gehen gegen Putin demonstrieren, machen den Mund auf und zeigen tiefe Solidarität. Krisen bringen auch das Gute im Menschen hervor.

Bertram Strolz

Krone: Braucht der Mensch immer wieder Krisen, um das Gute zu schätzen?
Strolz: Das ist die Frage! Ein gesellschaftspolitisches Dilemma. Brauchen wir immer die große Krise und die Not, damit wir gescheiter werden? Die nächste Stufe für die Menschheit wäre die Fähigkeit, auch in guten Zeiten den Wohlstand zu schätzen und eine gerechte Gesellschaft daraus zu formen. Wir wissen, wie es geht!

Krone: Vor einer Woche fiel ein Großteil der Corona-Maßnahmen. Wie reagieren die Menschen auf die neue alte Freiheit?
Strolz: Es ist wohl ganz unterschiedlich. Ich glaube, dass es in einigen Menschen noch eine Scheu vor großen Ansammlungen gibt. Daran muss man sich erst wieder gewöhnen. Ganz sicher ist ein riesiger Nachholbedarf da. Aber nach einem ersten Aufbäumen wird sich auch das bald wieder normalisieren. Ich hoffe, dass sich aufgrund unserer Erfahrungen der vergangenen zwei Jahren nicht wieder so eine „Wohlstandsverwahrlosung“ einstellt, also diese gewisse Unzufriedenheit, wie wir sie vor der Coronakrise leider oft hatten.

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Ich denke, dass es in solchen Zeiten wichtig wäre, ethische Pflichten einzugehen. Aber wir müssen es uns auch gut gehen lassen.

Bertram Strolz

Krone: Aber die Kriegssituation in Europa bremst hier, oder? Dürfen wir Spaß ohne schlechtes Gewissen haben?
Strolz: Was wir nicht dürfen - egal in welcher Notsituation - ist die Lebensfreude zu verlieren. Besondere Momente wie eine Schweigeminute oder auch die gelebte Solidarität finde ich sehr wichtig. Ich denke auch, dass es in solchen Zeiten wichtig wäre, ethische Pflichten einzugehen und immer wieder abzuwägen. Aber wir müssen es uns auch gut gehen lassen. Damit meine ich nicht zu frönen oder gleichgültig zu sein, das wäre zynisch. Aber wenn man nur verzichten würde, weil Krieg ist, dürften wir niemals feiern. Denn es gibt immer Katastrophen auf dieser Welt. Diese sollte man nicht übersehen. Für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einzustehen, ist wesentlich. Meine Hoffnung ist groß, dass beide nun wachsen werden.

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