„Krone“-Interview

Hochmair und Razelli entstauben den „Jedermann“

Wien
07.03.2022 19:00

Philipp Hochmair und Kurt Razelli stammen aus völlig unterschiedlichen Welten, haben sich aber für eine zeitgenössische Version des „Jedermann“, der bald live im Wiener Stadtsaal zu sehen sein wird, Zeit genommen. Ein Gespräch über die angestaubte Hochkultur, die Liebe zum Trash und den Thrill, immer unerwartet ins kalte Wasser geworfen zu werden.

All jene, denen es unlängst schon beim „Red Bull Symphonic“-Projekt im Wiener Konzerthaus die Luft abgeschnürt hat, müssen jetzt besonders stark sein, denn Hoch- und Popkultur lassen sich noch viel weitläufiger vermischen, als es bei Seiler und Speer mit dem Max-Steiner-Orchester der Fall war. Schauspieler und Kurzzeit-„Jedermann“ Philipp Hochmair hat sich mit dem Wiener You-Tube-Trash-König Kurt Razelli (bekannt für seine markante Schwarzenegger-Maske und pointiert kompilierte Alltagsbeobachtungen) zusammengetan, um das legendäre Theaterprunkstück der „Salzburger Festspiele“ zeitgenössisch zu gestalten. Für Hochmair selbst freilich keine Premiere, denn mit seiner Band Die Elektrohand Gottes hat der Wiener das kultige Mysterienspiel schon einmal mit experimentellen Klängen und verstörenden Gitarren in einen fast schon manischen Sprechgesang verwandelt. Das 2020 kreierte Album kommt nun zweimal auf die Bühne des Wiener Stadtsaals und bricht einmal mehr die unsichtbaren Grenzen zwischen Pop- und Hochkultur auf.

Suche nach kalten Gewässern
„Ich will Stücke aufbrechen und mich über das Gegenüber wandeln“, erklärt uns Hochmair im gemeinsamen „Krone“-Gespräch, „Kurt gibt mir dafür die perfekten Impulse. Man muss immer im Prozess bleiben und die unterschiedlichsten Welten verbinden. Eine Trennung zwischen Klassik und Trash oder Pop- und Hochkultur ist für mich nicht sinnvoll.“ Hochmair pendelt wie kein zweiter zwischen unterschiedlichsten Welten wie dem Burgtheater, den „Vorstadtweibern“, „Blind ermittelt“ oder szenischen Lesungen. 2018 sprang er für den erkrankten Tobias Moretti in fünf Vorstellungen in der Titelrolle ein und löste diese herbe Aufgabe mit Bravour. „Ich suche immer neue, mir nicht bekannte Gewässer, in die ich springen kann. Die Sehnsucht nach umwälzenden Zufällen ist mein Lebenstrieb. Ich setze mich gerne Experimenten aus, bei denen ich nicht weiß, wie sie ausgehen. So ist es auch in diesem Fall.“

Die Kooperation der beiden kann man ein bisschen als Yin & Yang der heimischen Kulturlandschaft ansehen. Zwei vermeintlich unvereinbare Gegenpole, die ihre Stärken zu einem großen Ganzen bündeln und damit eine neue Welt erschaffen. Hochmair entdeckte Mashup-Künstler Razelli über sein „Genug ist genug“-Video von Sebastian Kurz und war sofort fasziniert. „Ich war wie hypnotisiert von seinen Videos und habe sofort den Dialog gesucht. Er münzt politische Ereignisse zu einem Pop-Happening um, einfach grandios. Wir arbeiten sehr unterschiedlich: Ich eher unmittelbar in der Aktion und Kurt mit seinen Maschinen zu Hause.“ Razelli war über das Interesse Hochmairs anfangs überrascht. „Beim ersten Treffen haben wir hauptsächlich über meine Videos geredet. Er kam als Fan und wollte wissen, wie ich alles gestalte. Das Projekt entstand erst nach dem vierten oder fünften Treffen.“ Razelli schlug Hochmair vor, das gesprochene „Jedermann“-Album auf seine Art zu remixen, Hochmair gab Razelli dafür alle Freiheiten.

Alltagsgeschichten
Der auch im Feuilleton beliebte Razelli gilt gemeinhin als Begründer des „Austrotrash“ und fand den Stoff für seine humorig-ironisierten Alltagsbeobachtungen anfangs vorwiegend im heimischen Sozialmilieu, später auch vermehrt in politischen Sphären. Realsatirische Auftritte von Frank Stronach, Gerald Grosz und HC Strache wurden durch seine Elektromixes zu YouTube-Hits, die weit über die Landesgrenzen hinausstrahlten. „Ich packe gerne klassische, soziale Probleme in einen Song, um aufzuzeigen, was im Alltag so alles passiert. Das reale Material existiert, aber eine ,Am Schauplatz‘-Folge ist nach einer Woche aus der TV-Thek draußen. Meine Versionen bleiben dann doch länger.“ Das „Jedermann“-Terrain war freilich auch für Razelli ein ganz neues. Durch die gute Zusammenarbeit mit Hochmair waren etwaige Unsicherheiten aber schnell ausgebügelt. „Ich muss zugeben, dass mir der Text anfangs schwerfiel. Wenn man die einfache Sprache des Bürgers gewohnt ist, ist der Unterschied groß. Vom Zugang her hat sich aber nicht so viel verändert. Früher habe ich Material aus dem Fernsehen genommen, jetzt eben aus dem Theater.“

Hochmair ist es seit jeher ein Anliegen, die Historie von Stücken wie „Hamlet“, „Faust“ oder dem „Jedermann“ in Puzzleteile zu zerlegen, um sie dann in der Gegenwart neu zusammenzubauen. Nicht zuletzt lässt sich der vermeintlich angestaubte Stoff in dieser Form auch einer jüngeren Generation näherbringen. „Die Zeiten haben sich geändert“, so Hochmair, „ein Burgschauspieler ist kein Burgschauspieler mehr und in Zeiten wie diesen können wir froh sein, dass Theater und Livemusik überhaupt stattfinden. Das Leben hat sich so beschleunigt, dass die Reichweite und Kraft einer Theateraufführung in der Gesellschaft nicht mehr so eine Bedeutung hat, wie es früher der Fall war.“ Die Welt sei im Wandel. „Das Fragment des ,Jedermann‘ stammt aus dem Mittelalter. Hugo von Hofmannsthal hat es Jahrhunderte später erst zu diesem modernen Stück umgeschrieben. Auch das war ein Experiment, eine Art Remix.“

Es ist erst der Anfang
Das Album „Jedermann Razelli RMX“ erinnert mehr an ein literarisches Musikwerk als an ein Album in klassischer Form, aber auf die Live-Umsetzung darf man sich freuen. Die gegenseitige Wertschätzung füreinander könnte bei den beiden Künstlern nicht größer sein. „Ich mag an Philipp, dass er die Energie, die ich im musikalischen Bereich einsetze, mit seiner Sprache so gut widerspiegeln kann. Jeder macht das, in dem er gut ist. Deshalb harmonieren wir so gut miteinander.“ Hochmair kann das Lob nur zurückgeben. „Ich schätze an Kurt das Unerwartete und die Fähigkeit, immer die richtigen Sätze zu fischen. Ich suche Partner, die die Impulse vergrößern, die mit mir weitergehen und etwas wagen.“ Dementsprechend ist die Zusammenarbeit mit dem Album und den anstehenden Konzerten noch nicht beendet. „Wir stehen erst am Anfang“, wirft Hochmair lachend ein, „es ist work in progress, bei dem es kein Ende gibt. Ich kann mir unsere Zusammenarbeit auch für andere Stücke wie zum Beispiel ,Schiller Rave‘ oder auch das Remixen von Spielfilmen gut vorstellen.“

Live im Wiener Stadtsaal
Philipp Hochmair und Kurt Razelli bringen den „Jedermann Razelli RMX“ am 13. und am 27. März auf die Bühne des Wiener Stadtsaals. Unter www.oeticket.com gibt es die Karten und alle weiteren Infos für die kulturell bunte Symbiose der beiden Vollblutkünstler.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele