Das große Interview

Braucht die Politik mehr Schmäh, Herr Häupl?

Persönlich
30.01.2022 06:10

Eine Legende legt seine Autobiografie vor. Mit Conny Bischofberger spricht der langjährige frühere Wiener Bürgermeister Michael Häupl (72) über Jugendsünden, drei Jahrzehnte Spitzenpolitik, eine lebensgefährliche Erkrankung und warum seine Grabheimat nicht der Zentralfriedhof ist.

Er ist zwar in Pension, aber sein Terminkalender ist randvoll. Michael Häupl hat 20 Kilo abgenommen. „Weniger Gebackenes, weniger Spritzwein“, lacht er und versinkt im orangeroten Fauteuil seines Büros bei der Wiener Rossauer Kaserne. Vom Regal hinter dem Schreibtisch überblickt die Häupl-Puppe aus der Haderer-maschek-Puppenshow das Geschehen. „Ein Geschenk des Rabenhofs Theaters zu meinem 65er“, sagt Michael Häupl. Das ist auch schon wieder sieben Jahre her.

„Krone“: Herr Häupl, kann es sein, dass Ihnen fad ist?
Michael Häupl: Fad war mir mein ganzes Leben nicht. Es ist heute zwar bei Weitem nicht mehr so stressig wie früher, aber es gibt immer noch genug zu tun.

Ich frage das deshalb, weil Sie Zeit gehabt haben, ein Buch zu schreiben. Wollte das der Verlag oder wollten Sie es selber?
Der Verlag ist mit der Idee an mich herangetreten, und ich habe das am Anfang eigentlich gar nicht so sehr goutiert. Aber erstens fallen in Corona-Zeiten viele Termine aus, man hat also mehr Zeit. Und zweitens hat mein uralter Journalistenfreund Herbert Lackner zugesagt, mir dabei zu helfen. Uns verbindet eine jahrzehntelange persönliche Freundschaft, die wir uns trotz dieser unterschiedlichen Berufe bewahrt haben. Das ist nicht ganz so einfach, weil man immer auch die professionelle Distanz wahren muss, die ich im Übrigen versucht habe, mit allen Journalisten zu pflegen. Ich mochte diese Verhaberung nie. Das ist uns beiden gut gelungen.

Im „Krone“-Abschiedsinterview vor vier Jahren meinten Sie noch, das, was interessant wäre, dürfen Sie nicht schreiben und das, was Sie schreiben, wäre nicht so interessant. Was hat sich geändert?
Das Wörtchen „dürfen“ ist nicht mehr zutreffend, denn ich darf jetzt alles. Die Pensionierung ist eine wiedergewonnene Freiheit. Mein Motto beim Schreiben lautete: „Nicht alles, was wahr ist, muss gesagt werden.“

 Ihr Buch heißt „Freundschaft“. Wem gilt dieser Titel?
„Freundschaft“ ist der traditionelle Gruß der Sozialdemokraten, und ich bin ein Anhänger dieser Symbole, weil sie Verbundenheit ausdrücken. Leute, von denen ich weiß, dass sie Mitglied der SPÖ sind, grüße ich mit „Freundschaft“ und ich werde auch selbst so gegrüßt. Enge Freunde grüßt man mit „Servus“, oder „Grüß dich“. Wem gilt das Buch? Allen, auch jenen, die nicht SPÖ-Mitglied sind.

Und warum soll man es lesen?
Das habe ich mich auch gefragt - Lacht. - Weil es vielleicht interessant sein könnte, wie ein Typ aus einem konservativen Lehrer-Elternhaus aus einem kleinen Dorf in Niederösterreich, der aus zwei Klosterschulen rausgeflogen ist, ins große Wien kommt, Biologie studiert, von einem gewissen Josef Cap zum Verband sozialistischer Studenten geholt wird und später diesem roten Wien mehr als 23 Jahre lang als Bürgermeister vorsteht.

Warum waren Sie anfällig für die SPÖ?
Weil all diese dogmatischen Truppen mit ihren teilweise recht rigiden und reichlich konservativ anmutenden Lebensformen für mich nie in Frage kamen. Ich habe die Freiheit dieser Stadt genossen, da lasse ich mich doch nicht einzwängen, weder in moralische Wertvorstellungen, die eigentlich eher zu reaktionären Gruppen gepasst hätten, noch in irgendwelche kommunistische Schattierungen. Ich wollte einfach Spaß haben, auch im Ausleben der Sexualität. Und manche Gruppen waren ja lächerlich puritanisch.

Apropos reaktionär: Sie verschweigen in Ihrer Biografie auch nicht, dass Sie in jungen Jahren ein Zwischenspiel in einer Burschenschaft hatten, in der auch Rechtsextreme waren. Würden Sie das heute als Jugendsünde bezeichnen?
Als ideologischen, aber auch intellektuellen Fehltritt allemal. Ich habe es nie geleugnet. Heute denke ich mir, dass man aus Fehlern mehr lernt als aus den Dingen, die ich richtig gemacht habe. So gesehen möchte ich das auch nicht missen. Aber stolz bin ich nicht darauf, keine Frage.

Eine Biografie ist immer auch eine Lebensbilanz. Wie lautet Ihre?
Da fällt mir der Schutzpatron des Dorfes, aus dem ich herkomme, ein. Christophorus, ein Suchender. Ich habe einen Weg als Suchender hinter mir, auch viele Irrwege. Wer hat keine Irrtümer begangen? Mit 72, aber eigentlich schon früher, habe ich diese Suche beendet. Ich bin angekommen bei dem, was mein Lebensverständnis ist.

Zu Ihrem Lebensverständnis zählte immer auch der Humor. Auf welche lustigen Sprüche sind Sie rückblickend gesehen stolz und welche würden Sie heute nicht mehr sagen?
Die „mieselsüchtigen Koffer“ waren, ohne dass ich definiert hätte, wen ich eigentlich damit gemeint habe, beleidigend.

Wollen Sie jetzt sagen, wer gemeint war?
Nein, denn wie hat es Kardinal König einmal ausgedrückt? „Ein paar Freunde will man sich doch behalten.“ - Lacht . - Vor allem im fortgeschrittenen Alter. Der sogenannte „Lehrersager“ war eigentlich ein sublimierter, humorvoll geäußerter Ärger. Denn wenn ein Pädagoge, auch wenn er Lehrergewerkschafter ist, davon redet, dass die Diskussion über eine Verlängerung der Lehrverpflichtung Krieg bedeutet und dabei die tatsächlichen Kriege vergisst, dann kann ich nur sagen: So viel Gedankenlosigkeit gibt es ja nicht. Da war ich schon ziemlich entsetzt. Der Tag darauf war natürlich im Internet kein schöner Tag, aber schon der übernächste war ganz anders, ist diametral in die andere Richtung gegangen. Mit sehr viel Zustimmung.

„Mei Wien is ned deppert“ war auch so ein Spruch.
Der war wirklich lustig, und passend in der sehr fröhlichen Stimmung eines sehr guten Bundeswahlergebnisses.

Braucht die Politik mehr Schmäh?
Naja, die Corona-Zeiten eignen sich natürlich nicht für Zerblödelung. Ich wollte die Politik generell auch nie zerblödeln. Für mich waren Sager oder diese spezielle Form von Humor eigentlich immer Mittel zum Zweck. Der Zweck war, gehört zu werden. Denn wenn du deine Botschaften zwischendurch nicht auflockerst, dann versinkt das Publikum irgendwann im Dämmerschlaf. Um auf Ihre Frage zu kommen: Es gibt noch immer sehr eloquente Politiker, wie etwa er derzeitige amtierende Bürgermeister oder auch der Landeshauptmann von Kärnten oder die Landeshauptfrau von Niederösterreich, die zeitgemäß und erfolgreich und zwischendurch auch unterhaltsam sind.

Haben Sie Hans Peter Doskozil bewusst nicht genannt?
Den Hans Peter würde ich nicht als jemanden bezeichnen, der besonders humorvoll ist. Das ist ein sehr erfolgreicher und eloquenter Manager und es ist gar keine Frage, dass er seine Sache gut macht.

Haben Sie Verständnis für seine Querschüsse?
Für Querschüsse habe ich kein Verständnis, das sage ich ganz offen. Wenn ich zu einer Bundesparteipräsidiumssitzung eingeladen werde, dann kann ich nicht sagen, ich habe eine Sprechstunde in Oberwart. So das überhaupt stimmt, ich habe es nur den Medien entnommen. Bei anderen Sachen nehme ich ihn in Schutz. Weil der große Streit zwischen der Bundesparteivorsitzenden und dem burgenländischen Landeshauptmann wird ja oft herbeigeschrieben. Auch beim Impfpflichtgesetz muss man genau hinhören. Das Gesetz ist ja wirklich nicht optimal. Das ist eigentlich ein Impfpflichtandrohungsgesetz, weil es keine Durchsetzungssanktionen beinhaltet und wenn, dann verschiebt man die auf den St. Nimmerleinstag.

 Ist Pamela Rendi-Wagner die beste Parteivorsitzende?
Ich halte sie für wirklich gut, sie ist eine sehr intelligente, sehr gebildete Frau. Natürlich ist sie geprägt durch ihre Ausbildung und durch ihren Beruf. Das war ich auch. Politisch gesehen wird sie immer besser. Die Pandemiefrage ist in erster Linie eine gesundheitspolitische Frage, da ist sie absolut kompetent. In der Folge gesehen muss man sich aber auch um die Folgeerscheinungen dieser Pandemie kümmern, um die sozialen Verwerfungen, den ökonomischen Wiederaufbau, um die Frage ,wie wir mit den Jüngsten in den Schulen umgehen? Wenn die Sozialdemokratie diese Themenfelder nicht ganz klar, deutlich und wenn nötig auch hart anspricht, dann tut es niemand anderer.

Den ehemaligen Bundeskanzler haben Sie als „Sozialistenfresser“ bezeichnet. Tut es weh, dass die SPÖ nur noch in drei Bundesländern stärkste Kraft ist?
 „Nur“ ist gut. Als ich angefangen habe, haben wir  in zwei Bundesländern den Landeshauptmann gestellt , dazwischen auch schon in vier. Was Sebastian Kurz angeht, glaube ich, dass sein Rückzug der österreichischen Politik guttut, sie ist wieder offener geworden. In der ÖVP kehrt wieder eine gewisse Normalität ein, es ist wieder eine andere Gesprächskultur da. Was diese Gruppe um den Herrn Kurz besonders gut beherrscht hat, war ja die öffentliche Desinformation, die Intrige, das Anschwärzen. Vieles vom Konflikt rund um Frau Dr. Rendi-Wagner kommt aus dieser Gruppe und ist von dort aus entsprechend inszeniert worden. Er hatte hochbegabte und sehr gute Medienberater rund um sich, absolute Profis auf ihrem Gebiet. Das muss man auch als politischer Gegner anerkennen. Aber wenn man glaubt, dass das wirklich Politik ist, die für die Menschen da ist, dann ist man schwer im Irrtum.

Ärgern Sie sich manchmal über Herbert Kickl?
Was soll ich mich über einen Menschen ärgern, der ein Entwurmungsmittel als Medikament gegen Corona anbietet? Der Herr Professor Kickl als oberster Mediziner, da lachen ja die Hühner. In Wahrheit ist Kickl ein NLP-geschulten Superpolemiker, für den Stimmenvermehrung das einzige Ziel ist.

Wie soll man mit Politikern, wie er es ist, umgehen?
Ich muss an der Tagespolitik nicht mehr teilnehmen, aber was ich empfehlen würde: Viel stärker die inhaltliche Auseinandersetzung mit Menschen suchen, die Ängste und Sorgen haben, Fake News falsifizieren, Geld für Fernsehspots und Inserate ausgeben, in denen man diesem Unsinn, den Verschwörungstheoretiker verbreiten, mit wissenschaftlichen Fakten begegnet.

Diskutieren Sie manchmal mit Impfgegnern?
Ja, immer wieder. Aber manchmal muss man erkennen, dass es eigentlich schade ist um die Zeit. Wenn man nicht gewillt ist, sich wechselseitig mit den Argumenten des anderen auseinanderzusetzen, dann erübrigt sich jede Diskussion .

Wie finden Sie die Impflotterie?
Das ist vielleicht gar keine so schlechte Idee, aber das hätten wir viel früher machen müssen. Also in dem Moment, in dem hinreichende Mengen von Impfstoffen zur Verfügung standen.

„Man bringe den Spritzwein“ war auch ein legendärer Spruch von Ihnen. Trinken Sie jetzt mehr oder weniger Spritzwein?
Nicht einmal zehn Prozent von dem, was ich früher getrunken habe. Meine Krankheit hat einiges verändert. Den Umgang mit dem kostbaren Gut Zeit und auch meinen Lebenswandel. Ich esse weniger Gebackenes, trinke wenig Alkohol und wenn, dann nur in Gesellschaft, und mache viel Bewegung. Dreimal in der Woche eine Stunde Ergometer, einmal in der Woche Physiotherapie.

23 Jahre, 6 Monate und 6 Tage war Ihre Amtszeit als Wiener Bürgermeister. Das ist sieben Jahre länger, als Merkel im Amt war. Was sagt denn das über Sie aus?
Geduld zählte ja nie zu meinen hervorstechendsten positiven Eigenschaften. Vielleicht sagt es über mich aus, dass ich gelernt habe, dass Demokratie letztendlich Geduld bedeutet. Noch mehr sagte es aber über das politische System aus, denn viele Landeshauptleute sind über längere Zeit hinweg an der Spitze gewesen. Wenn man sich vor Augen hält, dass der Herr Bundespräsident im vergangenen Jahr drei Bundeskanzler angeloben musste, dann stimmt das schon ein bisschen nachdenklich.

Helmut Zilk sagte 1988 zu Ihnen: „Ich brauche dich jetzt als Stadtrat. Deine depperten Frösch‘ kannst später noch zählen.“ Frönen Sie heute wieder der Biologie und Wissenschaft?
Ich mag Frösche nach wie vor. Da drüben sitzen ein paar. Alles Geschenke. Ich interessiere mich nach wie vor sehr für die Naturwissenschaften, habe einige internationale Zeitschriften abonniert, surfe auch oft im Internet, das Spektrum-Portal ist für mich sehr wichtig. Das alles ist vor allem meine Nachtlektüre.

Fühlen Sie sich nach Ihrer Krebserkrankung eigentlich wie im zweiten Leben?
Ich will nicht übertreiben. Mein Nierenkrebs konnte rechtzeitig entfernt werden, ich musste danach keine Chemotherapie und auch Strahlentherapie machen. In Lebensgefahr war ich aufgrund einer Sepsis, die hat mir drei Wochen auf der Intensivstation eingebrockt. Und dann insgesamt drei Monate Reha. Die Ärzte haben mir damals eine hohe Resilienz zugebilligt.

Fast 24 Jahe Wiener Bürgermeister

Geboren am 14. September 1949 in Altlengbach, NÖ. Nach der Matura studiert er Biologie und Zoologie. 1988 wird er Wiener Umweltstadtrat, 1994 folgt er Helmut Zilk als Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien nach. In diesem Amt bleibt er 23 Jahre, sechs Monate und 16 Tage lang. Heute ist er Präsident der Volkshilfe und des WWTF (Wiener Forschungs-, Technologie- und Innovationsfond). Michael Häupl hat zwei erwachsene Kinder aus zwei Ehen und zwei Enkelkinder. 2011 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin Barbara Hörnlein, ärztliche Direktorin im Wilhelminenspital.

Denkt man in solchen Zeiten über den Tod nach?
Über den Tod habe ich nicht nachsinniert, gar nicht.

 Die Wiener haben ja ein besonderes Verhältnis zum Tod. Sie nicht?
Ich nicht, ehrlich gesagt. Der „schönen Leich“ kann ich nichts abgewinnen.

Vor allem ist man dann schon tot, nicht wahr?
Es hat einen Vorteil auch. Man muss sich die Grabreden nicht anhören. Bei Begräbnissen denk ich mir manchmal: „Wenn mir einmal einer so eine Grabrede hält, dann komme ich aber aus dem Sarg wieder heraus.“

Was soll denn einmal auf dem Grabstein stehen?
Keine Ahnung!

 Aber wird es ein Ehrengrab sein?
Das entscheidet die Stadtverwaltung. Aber als tatsächliche Begräbnisstätte wünsche ich mir schon das Familiengrab in meiner ursprünglichen niederösterreichischen Heimat, da sind schon viele Häupls vergraben. Das betrachte ich fast als meine Grabheimat. Am Zentralfriedhof werde ich dann mit einem Stein vertreten sein. Das wird man wahrscheinlich nicht verhindern können.

Wie alt wollen Sie werden?
113. - Er sagt es wie aus der Pistole geschossen

Warum 113?
Weil meine Frau um 13 Jahre jünger ist und ich ihren hundertsten Geburtstag noch mit ihr feiern möchte.

Gesetzt den Fall, Herr Van der Bellen würde nicht mehr antreten und man würde Sie fragen, ob Sie Bundespräsident werden wollen, könnten Sie sich das vorstellen?
Große Ehre, überhaupt erwähnt zu werden, aber mit Sicherheit nein.

Mit hundertprozentiger Sicherheit?
Mit hundertprozentiger Sicherheit nein.

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