Das große Interview

Krieg oder Frieden, Frau Rendi-Wagner?

Politik
18.07.2021 06:00

Intrigen, Machtkämpfe, Führungsdiskussion: Seit dem Parteitag befindet sich die SPÖ im Dauerstreit. Mit der „Krone“ spricht die Parteivorsitzende über Zähigkeit und Autorität, ihren Widersacher Hans Peter Doskozil und wie sie wieder alle roten Rebellen ins Boot holen will.

Cafè Meierei im Wiener Volksgarten. Die Chefin des romantischen Pavillons, Hannelore Schäfferin, schleppt pinke Kissen und eine farblich passende Tischdecke herbei: „Das soll ja zum rosa blühenden Oleander passen“, meint sie. Dann trifft Pamela Rendi-Wagner ein. Sie trägt einen blauen Hosenanzug und FFP2-Maske. Unaufgefordert zeigt sie der Kellnerin ihr Impfzeugnis und bestellt einen großen Apfelsaft gespritzt. Die SPÖ-Vorsitzende ist hier Stammgast. „Statt im Büro mit Klimaanlage mache ich manchmal hier im Schatten der Kastanienbäume meine Mittagspause und esse einen Schinken-Käse-Toast“, erzählt die 50-Jährige, „es ist so ein lauschiger Platz.“

Später an diesem Freitagnachmittag wird Rendi-Wagner mit der kleinen Familie den 16. Geburtstag ihrer älteren Tochter an der Alten Donau feiern. Im Gespräch über den selbstzerstörerischen Trieb der Partei gibt sich die Spitzenpolitikerin fast trotzig gelassen. Manches lächelt sie einfach weg.

„Krone“: Sie tragen noch immer FFP2-Maske, warum?
Pamela Rendi-Wagner: Weil der Schutz höher ist. Ich war auch eine der Ersten, die diese Masken getragen hat, als sie noch nicht Pflicht waren. Und ich werde sie weitertragen, obwohl ich schon zweimal geimpft bin.

Ist es ein Fehler, die Maskenpflicht in den Supermärkten abzuschaffen?
Das war letztes Jahr ein Fehler und ist es auch dieses Jahr. Überall dort, wo viele Menschen sind und wo 3-G nicht kontrolliert wird, sollten wir uns weiterhin schützen. Ich glaube, alles andere ist ein falsches Signal. Die Pandemie ist nicht vorbei und wir haben nichts von solchen Freiheiten, wenn es uns im Herbst mit der Delta-Welle dann doppelt und dreifach erwischt.

Wären Sie manchmal gerne Gesundheitsministerin?
Ich war Gesundheitsministerin. Man sollte im Leben immer vorwärts, nie zurückgehen.

Die SPÖ ist wieder einmal mit Intrigen beschäftigt statt mit Oppositionspolitik. Wie kann das sein?
Das ist ja nichts ganz Neues. Ich darf daran erinnern, dass die negative Selbstbeschäftigung ihren traurigen Höhepunkt bereits am 1. Mai 2016 hatte, als ein langjähriger SPÖ-Vorsitzender am Feiertag der Sozialdemokratie ausgepfiffen wurde. Damals ist ein großes Stück des wichtigen Gemeinsamen verloren gegangen. Auch in den Jahren danach und zuletzt ist es offenbar trotz großer Bemühungen auch meinerseits nicht gelungen, dieses Gemeinsame wieder zurückzugewinnen. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem der Schaden an der Partei immer größer wird.

Im Sommergespräch auf Puls4 ist Ihnen das erste Mal der Kragen geplatzt. Wird es jetzt Krieg geben oder Frieden?
Ich glaube, das war ein notwendiger Weckruf, aber ein Weckruf ist kein Krieg, sondern eine Chance. Wenn man sich jahrelang bemüht und diese Bemühungen keine Wirkung mehr zeigen, dann muss man die Dinge benennen, dann ist Schluss mit Dulden, dann darf man nicht mehr länger zuschauen. Um aber Ihre Frage zu beantworten: Es geht immer ums Miteinander, deshalb muss das Ziel natürlich Frieden sein.

Sie haben Ihren Gegenspieler, den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, als „unehrlich und inkonsequent“ bezeichnet. Bleiben Sie dabei?
Ich habe gesagt, was Sache ist. Ich stelle persönliche Befindlichkeiten nie in den Mittelpunkt der Diskussion. Und vor allem nicht in den Mittelpunkt meines Denkens und Entscheidens. Im Mittelpunkt steht, dass wir nur gemeinsam erfolgreich arbeiten können. Aber klar ist auch, dass ich niemanden dazu zwingen kann.

Sie wollen die Frage zu Doskozil nicht beantworten?
Es wäre zu einfach, das Problem an Personen festzumachen. Hier geht es um eine hochpolitische Frage. Wie können wir eine starke Sozialdemokratie gewährleisten? Indem jeder und jede in unserer Bewegung einen Beitrag leistet.

Auch Hans Peter Doskozil?
Auch er. Wir brauchen jede Kraft. Und Hans Peter Doskozil ist zweifelsohne ein wichtiger SPÖ-Politiker, der Verantwortung trägt.

Sein Beitrag sind vor allem sehr kritische Töne. Andererseits ist es ihm als einzigem roten Parteichef gelungen, die Absolute zu gewinnen. Hat er mit seiner Kritik, dass die SPÖ sich viel mehr um Themen wie Migration oder Arbeitslosigkeit kümmern sollte, vielleicht recht?
Das ist ja eine große Stärke der SPÖ, dass es eine große Meinungsvielfalt bei uns gibt. Die gemeinsame Klammer ist der Kampf für mehr Gerechtigkeit. Aber klar ist auch, dass wir uns die Zeit nehmen müssen, diese verschiedenen Meinungen intern intensiv zu diskutieren. Am Ende der Diskussion muss stehen, dass wir das gemeinsam nach außen vertreten. Migration ist ein gutes Beispiel. Wir haben vor drei Jahren ein gemeinsames Programm erarbeitet, da waren auch Peter Kaiser und Hans Peter Doskozil beteiligt. Diese gemeinsame Linie sollten wir vertreten und uns nicht gegenseitig über Zeitungsinterviews Dinge ausrichten. Es darf kein Freund-Feind-Schema Einzug halten. Unser politischer Gegner sitzt am Ballhausplatz und hoffentlich nicht in der eigenen Partei.

Doskozil richtete Ihnen aus, das sei „Kindergartenniveau“. Wie wäre es, wenn Sie sich mit Doskozil an einen Tisch setzen?
Kinder nehmen das, was sie tun, sehr ernst, und das sollten wir auch so halten. Ich war nie ein nachtragender Mensch und werde das auch nie sein. Meine Hand ist immer ausgestreckt, auch in dieser schwierigen Phase.

Werden Sie auch aktiv auf ihn zugehen?
Schauen wir, was die Zukunft bringt. Ich habe in den letzten Jahren, so glaube ich, immer wieder bewiesen, dass ich auch ein sehr initiativer Mensch bin.

Dass Christian Kern, der Sie in die Politik geholt hat, jetzt Doskozils Berater wird, empfinden Sie das nicht als Provokation?
Überhaupt nicht. Er hat die Politik aus persönlichen Gründen verlassen und ist in die Privatwirtschaft gegangen. Dort kann er tun und lassen, was er will. Da werde ich mich nicht einmischen.

Gewinnt Rendi-Wagner den Machtkampf gegen Doskozil? Diese Frage beantworteten auf krone.at 84 Prozent der User mit „Nein“. Gibt Ihnen das nicht zu denken?
Nein, weil wir gewinnen nur gemeinsam und ich bin ein zäher Mensch. Wenn Zähigkeit nicht Teil meiner Persönlichkeit wäre, dann hätte ich meinen Lebensweg nicht bestreiten können. Der war in ganz vielen Phasen rumpliger und schwieriger, auch in gesundheitlicher Hinsicht während meiner Kindheit. Egal was war: Meine Zähigkeit hat immer gesiegt. Aufgeben war niemals mein Weg und es wird auch niemals mein Weg sein. Insofern werde ich vielleicht manchmal unterschätzt.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie sicher bleiben Sie SPÖ-Chefin?
10.

Warum werden dann immer wieder Nachfolger genannt - von Michael Ludwig bis Peter Hanke?
Auch das ist nicht neu. Ich höre das seit drei Jahren, und trotzdem bin ich noch immer da. Ich habe die Partei in einer nicht einfachen Situation übernommen. Die Umfragen waren schlecht, die Partei war verunsichert und auch finanziell schwer angeschlagen. Wir haben sie gemeinsam, mit fokussierter inhaltlicher Politik, aus dem Tief geholt. Das Interessante ist ja: Kein anderer hat damals - und das ist bis heute so - Interesse bekundet, Verantwortung zu übernehmen.

Was Ihnen die Bezeichnung „Trümmerfrau“ eingebracht hat. Sehen Sie es als Kompliment oder Ärgernis?
Weder noch. Mir ist das Wort zu stark mit Kriegserinnerungen assoziiert.

Fühlen Sie sich von Ihrer Partei noch genügend unterstützt? Nicht einmal Michael Ludwig hat Stellung zum Führungsstreit genommen und sich hinter Sie gestellt …
Ich habe eine sehr breite Unterstützung, und die größte kam in den letzten Wochen von ganz vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Gemeinderäten, Sympathisanten oder Mitgliedern der Partei, die mir Mails geschrieben oder mich angerufen haben. Sie alle wollen, dass ich diesen Weg weitergehe. Dass ich alle auf diesem Weg mitnehme und dass die Querschüsse ein Ende haben müssen. Das ist eine starke Kraftquelle.

Sie wirken bei all dem sehr gelassen. Denken Sie sich nie, warum Sie sich das eigentlich noch antun?
Ich bin Ärztin, keine klassische Parteikarrieristin, das unterscheidet mich von den allermeisten. Ich brauche diesen Job nicht. Ich tue es mir auch nicht an, sondern ich tue es aus voller Überzeugung und Freude. Sicher habe ich schon Lustigeres erlebt als in den letzten Tagen und Wochen. Aber die Vergangenheit ist irrelevant. Die Chancen liegen immer in der Zukunft.

Apropos Parteikarriere: Ist es vielleicht ein Nachteil, dass Sie nicht so viel politische Erfahrung mitbringen und das Intrigenspiel nicht so gut beherrschen?
Ich denke, es ist ein Vorteil, die Berufswelt auch abseits der Politik zu kennen und somit einen Außenblick zu haben. Gleichzeitig habe ich jetzt den Blick von innen, und das macht insgesamt ein stimmiges Bild. Viele sagen, Intrigen wären das Nebengeräusch der Spitzenpolitik. Das lehne ich aus tiefstem Herzen ab. Intrigen schwächen, auch das Vertrauen in die Politik. Diese Entwicklung müssen wir mit allen Mitteln stoppen.

Ausgangspunkt der ganzen Debatte war der Parteitag, bei dem Sie nur 75 Prozent Zustimmung bekommen haben. Haben Sie das als Niederlage gesehen?
Natürlich wäre mir mehr lieber gewesen. Aber ich ärgere mich nicht über die 25 Prozent, sondern freue mich lieber über die 75 Prozent. 75 Prozent haben mir ihr Vertrauen ausgesprochen. Dieses Vertrauen wurde auch bei der Mitgliederbefragung, die ich nach 130 Jahren als erste Frau an der Spitze durchgeführt habe, sichtbar. Das ist mein Auftrag und meine Verantwortung und gleichzeitig die stärkste Allianz, die eine Politikerin haben kann.

Aber können Sie auch Wahlen gewinnen?
Davon bin ich überzeugt, aber es wird nicht nur an mir liegen …

Mit welchem Ziel?
Das Ziel ist immer Platz 1.

Und das Ziel, erste Bundeskanzlerin zu werden? Ist es jetzt ein bisschen in die Ferne gerückt?
Wir sind in einer so schwierigen Phase, das Land und die Menschen brauchen dringend eine starke Sozialdemokratie. Deshalb ist dieses Ziel näher und wichtiger denn je.

Bei der Kanzlerfrage liegen Sie aber gerade mal bei 13 Prozent. Das sieht also nicht so gut aus …
Wir haben keine direkte Kanzlerwahl, so fängt es schon mal an. Vor dem Parteitag lagen unsere Werte auf 27 Prozent, das war zuletzt der Fall, als die SPÖ noch den Kanzler gestellt hat. Jetzt liegt es an jedem Einzelnen von uns, diese Werte nicht zu verspielen, sondern noch mehr Vertrauen zu gewinnen.

Ihr Sozialsprecher Beppo Muchitsch meinte, nach einer Überhitzung brauche es ein Gewitter und danach komme die Abkühlung. Hat diese Phase bei Ihnen schon eingesetzt?
Ich bewahre am Ende des Tages immer einen kühlen Kopf. Da müssen Emotionen und Befindlichkeiten in den Hintergrund treten. Mir hilft dabei der Schlaf. Einmal drüber schlafen und schon schaut alles wieder anders aus. Wer zurückschaut und sich mit Vergangenem aufhält, übersieht, dass das Leben vorbeizieht und hat am Ende versäumt, es mitzugestalten.

Die Corona-Expertin in der SPÖ
Geboren als Joy Pamela Wagner am 7. Mai 1971 in Wien. Medizinstudium, Facharztausbildung in Wien und London, wissenschaftliche Arbeit und Habilitation am Institut für Tropenmedizin der MedUni Wien, Gastprofessorin an der Universität Tel Aviv. 2011 bis 2017 ist sie Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit, dann Gesundheitsministerin, bevor sie im November 2018 zur ersten weiblichen Vorsitzenden der SPÖ gewählt wird. Verheiratet mit Michael Rendi, Beamter im Außenministerium. Zwei Töchter, 11 und 16 Jahre alt.

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