Pistenraupenfahrer

Olympiasegler erfüllt sich seinen Kindheitstraum

Vorarlberg
16.01.2022 17:55

Ben Bildstein hat sein 49er-Segelboot gegen eine Pistenraupe eingetauscht. Vorübergehend zumindest. Im „Krone Vorarlberg“-Interview erzählt der Olympiateilnehmer, der am heutigen Sonntag seinen 30. Geburtstag feiert, von den Beweggründen für seine spezielle Auszeit, welche Parallelen zum Segelsport er sieht und welche Meinungen sein Partner und andere Athleten zu seinem Projekt haben.

Krone: Schnee und Berge, statt Wasser und Meer - kein alltägliches Projekt, das du diesen Winter verwirklichst. Wie kommt man auf diese Idee?

Ben Bildstein: Berge hatte ich immer schon sehr, sehr gerne. Sie sind ein guter Kontrast zum Wasser und ein Ausgleich zum doch sehr intensiven, zehrenden Spitzensport. Als ich klein war, wurde ich einmal während des Skiurlaubs krank und konnte nicht mit meinen Freunden Skifahren gehen. Mein Vater hatte Mitleid mit mir und fragte nach, ob ich nicht einmal mit einer Pistenraupe mitfahren dürfe. Dieses Erlebnis hat mich so fasziniert, dass ich seitdem eine große Leidenschaft für Pistenmaschinen habe. In den letzten Jahren habe ich schon öfters am Schneiderkopf in Buch ausgeholfen und die Piste am Abend präpariert, wenn ich zwischen den Einheiten Zeit hatte. Es hat mich aber einfach gereizt, mit den ganz modernen, großen Maschinen im hochalpinen Gelände zu fahren. Darum bin ich hier.

Krone: Wie kann man sich deinen Alltag im Moment vorstellen?

Bildstein: Pistenraupenfahren ist ein sehr zeitaufwändiger Job. Normalerweise starten wir um ca. 16 Uhr und sind bis in die Nacht hinein beim Arbeiten. Meine Arbeitszeiten sind aber abhängig vom Schnee und wir haben Einsätze auch untertags. Was dazu kommt ist, dass wir hier in Lech selbst am Service und den Reparaturen der Maschinen beteiligt sind. Vormittags steht Konditraining am Plan. Ausdauertraining absolviere ich mittels Skitouren, Krafttraining im Sportpark Lech. Die Arbeit lässt sich manchmal auch mit dem Sport verbinden. Die ein oder andere Kontrollfahrt am Morgen oder einmal ein Tiefschneetag sind ja auch gut für die Kondi. Außerdem ist es der absolute Hammer, wenn man auf der selbst präparierten Piste in der Früh als erster herunterfahren kann.

Krone: Wie lässt sich dein Job mit dem Spitzensport vereinbaren?

Bildstein: Das ist nicht ganz so leicht. Ich will ja meine Form über den Winter nicht verlieren, weiter Spitzensport betreiben und mich auf die nächsten Olympischen Spiele vorbereiten. So gesehen ist es eine Herausforderung, das alles unter einen Hut zu bekommen. Ich muss meine tägliche Struktur noch schärfen und mein Zeitmanagement effizienter gestalten, dann lässt sich das aber relativ gut miteinander vereinbaren.

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Es ist keine einfache Entscheidung, ob man sich traut, fünf Monate aus dem Spitzensport auszusteigen. Das braucht Mut. Aber der Zeitpunkt ist jetzt perfekt dafür. Das große Ziel sind die nächsten Olympischen Spiele in Paris, bei denen wir eine Medaille gewinnen wollen.

Weltklasse-Segler Ben Bildstein

Krone: Trotzdem sind Projekte wie dieses nicht alltäglich für Spitzensportler, oder?

Bildstein: Nein, gar nicht. Es ist keine einfache Entscheidung, ob man sich traut, fünf Monate aus dem Spitzensport auszusteigen. Das braucht Mut. Aber der Zeitpunkt ist jetzt perfekt dafür. Das große Ziel sind die nächsten Olympischen Spiele in Paris, bei denen wir eine Medaille gewinnen wollen. Dafür müssen wir alles geben, 99% sind zu wenig. Ich habe mir gedacht, nach neun Jahre als Profi ist die Gefahr da, dass man in einen Trott kommt, dass man wie in einem Hamsterrad immer wieder das Gleiche tut. Mit der Hoffnung, noch einmal einen richtigen Energie-Boost für die nächsten vier Jahre zu bekommen, haben wir deshalb nach den letzten Spielen beschlossen, Distanz zu gewinnen. Ich nütze diese Zeit auch, um sportpsychologische Akzente zu setzen und am Struktur-Aufbau zu arbeiten. Das kann man auch abseits des Wassers gut machen. Es ist wie gesagt etwas Neues, das Mut braucht. Ob es aufgeht, sehen wir erst danach. Oft zahlt sich Mut aber aus.

Krone: Gibt es bei deiner Arbeit Parallelen zum Segeln?

Bildstein: Ja, gar nicht wenige sogar. Das Schöne ist, dass ich, wie beim Segeln auch, in der Natur sein kann. Die Sonnenuntergänge am Berg sind einmalig. Statt eines Segelboots, steuere ich jetzt eine Pistenmaschine mit 530 PS geballter Power. Das präzise Lenken von Maschinen hat mich schon als Kind fasziniert und ist das, was mich begeistert, was mich reizt und was mir Spaß macht. Am Wasser fahre ich zwei Zentimeter einem gegnerischen Boot hinterher, am Schnee muss ich mit diesem riesigen, 13-Tonnen-schweren Monster nur Zentimeter von Felsen entfernt agieren. Auch den Perfektionismus aus dem Spitzensport kann ich gut in die Arbeit transferieren. Eine perfekt präparierte Piste ist etwas enorm Reizvolles und Motivierendes und am Abend möchte ich die Piste erst verlassen, wenn ich zu 100% zufrieden bin. Das ist das Gleiche, wenn wir unser Boot vorbereiten. Sind beim Segeln Wind und Wellen ständig anders, variieren auch am Schnee die Bedingungen täglich. Das spürst du auch in der Maschine. Als es zum Beispiel über Weihnachten warm war, hat sich der Schnee unter den Ketten ganz anders angefühlt, die Leistung der Maschine weicht ab und das Board-Display bestätigt dir dein Gefühl. Beim Segeln müssen wir die Segel je nach Wind unterschiedlich trimmen, hier geht es um die genaue Einstellung der Fräse.

Krone: Was sagt dein Segelpartner David zu deinem Vorhaben?

Bildstein: David unterstützt mich als seinen Segelpartner in allen Belangen und bei allem, was ich glaube, dass mir guttut. Darum sind wir auch ein sehr gutes Team. Er kennt meine Leidenschaft für Pistenraupen und weiß, wie meine Augen strahlen, wenn ich eine Maschine sehe. Ich bin ein impulsiver Mensch und brauche die Herausforderung. Am Wasser ist das das Gleiche. Bei richtig coolen, anspruchsvollen Bedingungen gehe ich erst richtig auf.

Krone: Wie sieht dein grober Plan aus, was sind eure Ziele für die nächste Saison?

Bildstein: Im Winter liegen die Schwerpunkte auf Konditraining, Denkarbeit, Planung und sportpsychologischen Themen. Wenn ich hier in Lech aufhöre, möchte ich so fit und bereit sein, dass ich am nächsten Tag Segeln gehen kann. Nach der Saison ist ein Trainingscamp am Gardasee geplant, bevor wir dann gleich wieder ins Renngeschehen einsteigen. Ohne vermessen erscheinen zu wollen, aber wir waren zuletzt dran an der Weltspitze. Da möchten wir anschließen. Bei Olympia konnten wir unsere Leistung allerdings noch nicht abrufen. Wir möchten jetzt den letzten Schritt schaffen und auf ein Level kommen, wo wir Medaillen gewinnen können und so weit sein, dass wir, auch wenn nicht alles perfekt läuft, trotzdem vorne dabei sind. Da kann so eine Auszeit noch einmal Schwung in den Prozess bringen.

Krone: Wie haben deine Betreuer und Konkurrenten reagiert?

Bildstein: Bei der WM im Oman habe ich kommuniziert, dass ich dieses Projekt angehen werde. Die Meinungen waren sehr unterschiedlich. Von manchen habe ich Respekt und Bewunderung geerntet. Sie haben mir Sachen gesagt wie: „Du machst etwas, das sich sonst niemand trauen würde, du verwirklichst deine Träume und brichst mit dem Alten.“ Alle waren aber nicht begeistert von meiner Idee und haben es teilweise nicht verstanden. Auch einige Betreuer hatten Angst und Zweifel, ob das funktionieren kann und ob das gut ist. Am Ende des Tages musst du aber einfach das tun, was sich für dich richtig anfühlt. Du kannst nicht alle glücklich machen, nur dich selbst.

Magnus Walch
Magnus Walch
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