Das große Interview

Wann gehen Sie zum Friseur, Herr Polaschek?

Politik
15.12.2021 06:00

Die langen Haare sind sein Markenzeichen: Mit Martin Polaschek (56) folgt ein Rektor dem „freundlichen Riesen“ Heinz Faßmann als Bildungsminister nach. Mit der „Krone“ spricht der Steirer über sein Verhältnis zur ÖVP, die „Generation Corona“ und den Masterplan für die Schulen nach der Covid-19- Pandemie.

Montagabend im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung am Wiener Minoritenplatz 5. Der neue Minister hat noch Besuch, währenddessen wird Kaffee im Blauen Salon serviert. Dann geht die Tür auf und Polaschek, der vor einer Woche noch Rektor der Universität Graz war, bittet uns in sein Büro mit dem riesigen, runden Besprechungstisch. Auf einem Rollregal hat er die ersten eigenen Bücher platziert, für Bilder gibt es an den goldenen Stuckwänden leider keinen Platz. „Ich werde einige in meiner Wiener Zweitwohnung aufhängen“, erzählt Polaschek. Er trägt eine schmale rote Krawatte, die schief hängt, und silberne Manschettenknöpfe zum weißen Hemd.

„Krone“: Schon an die neue Anrede gewöhnt, Herr Minister?
Martin Polaschek: Ja. Denn ob jemand „Herr Polaschek“, „Herr Rektor“ oder „Herr Minister“ sagt, registriere ich kaum, weil ich sehr mit meinen neuen Aufgaben beschäftigt bin. Es sind ja doch nur Funktionsbezeichnungen. Aber ich bin stolz darauf, Minister zu sein, und ich freue mich sehr auf diese Aufgabe.

Ihr Vorgänger Heinz Faßmann war überrascht, dass der neue Kanzler sein Rücktrittsangebot angenommen hat. Es ist kein Geheimnis, dass er noch gerne geblieben wäre. Warum ist die Wahl auf Sie gefallen?
Das müssen Sie eigentlich den Bundeskanzler fragen. Ich tu mir schwer, das zu beantworten, aber ich denke, der Kanzler hat wieder jemanden gesucht, der Erfahrung im Bildungsmanagement hat, und das habe ich. Ich war 16 Jahre lang Vize-Rektor für Lehre. Und gerade die Lehre ist ein besonders fordernder Bereich, weil es da im Umgang mit Studierenden und Lehrenden viel Empathie braucht. Und ich war jetzt zwei Jahre Rektor einer der größten und ältesten Universitäten Österreichs. Ich habe Kenntnisse über den Schulbereich, über das Lehramt und auch den Forschungsbereich, bin also breit aufgestellt. Und ich bin ein Teamplayer.

Aber ist es gescheit, mitten in einer Pandemie, von der ja die Schulen ganz besonders betroffen sind, den Minister auszutauschen?
Das müssen Sie ebenfalls den Herrn Bundeskanzler fragen. Er hat mich gefragt, nicht ich ihn. Und zwar genau mit dem Argument, dass wir in einer Pandemie sind und er mich mit meinen Fähigkeiten gerne in seinem Team hätte. Ich bin mir der Größe der Aufgabe sehr wohl bewusst. Aber ich denke, dass ich viele Kompetenzen und Qualifikationen habe, um das gut zu machen.

Wissen Sie auswendig, für wie viel Schüler und Studenten Sie verantwortlich sein werden? (Runzelt kurz die Stirn) Ich glaube, es sind mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler, knapp 130.000 Lehrerinnen und Lehrer und um die 380.000 Studierende.

Was ist das für ein Gefühl, für so viele Menschen zuständig zu sein?
Ich war bis jetzt für fast 35.000 Studierende verantwortlich. Ich weiß also, was es heißt, für eine große Menschengruppe Verantwortung zu tragen. Und ich habe großen Respekt vor der Aufgabe, aber ich freue mich auch darauf.

Ihr Vorgänger hat in seiner Abschiedsrede auch gesagt, dass er weder einem der Bünde angehört noch Steirer ist. Hat man Sie geholt, weil die Steiermark einen Vertreter in der Regierung haben wollte?
Karl Nehammer hat nicht gesagt, er hätte mich gerne, weil ich Steirer bin. Sondern weil er meine Fähigkeiten kennt und weiß, dass ich seit vielen Jahren ein erfolgreicher Bildungsmanager bin.

Der steirische Landeshauptmann hat ja Ihren Namen verraten, noch bevor ihn der Bundeskanzler genannt hat. Wie haben Sie diesen Fauxpas wahrgenommen?
Ja, soll sein. Das sollen sich der Herr Bundeskanzler und der Herr Landeshauptmann ausmachen. Mich hat es nicht gestört.

Faßmann war anerkannter Migrationsexperte. Was ist Ihre Spezialkompetenz?
Ich bin gelernter Rechtshistoriker, bin aber auch habilitiert für rechtliche Zeitgeschichte und Föderalismusforschung. Ich war auch in der Expertenkommission zur Zukunft der Lehrerbildung, die das neue System vom Bachelor und Master entworfen hat, mit der engen Verzahnung von Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Schulpädagogik mit der Praxisphase. In dieser Zeit war ich auch sehr oft in Schulen und habe mit Lehrerinnen und Lehrern über die verschiedenen Möglichkeiten einer guten Lehrerinnen- und Lehrerbildung gesprochen.

Welche drei Eigenschaften machen Sie zu einem guten Minister?
Ich bin empathisch, ich bin fleißig und ich habe den Willen zu gestalten.

Corona hat den Schulalltag und die gesamte Bildungspolitik von Grund auf verändert. Sitzt an unseren Schulen und Unis schon eine „Generation Corona“?
Nein. Das würde ich gegenüber den jungen Menschen unfair finden. Natürlich hat die Pandemie Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse, aber das sind tolle junge Menschen, die eine Herausforderung zu meistern haben und das tun sie in großartiger Weise. Sie nehmen Rücksicht auf ihre Mitmenschen, sie bringen Opfer für die Gesamtheit. „Generation Corona“ klingt für mich abwertend. Das finde ich nicht schön.

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Generation Corona? Das sind tolle junge Menschen, die eine Herausforderung zu meistern haben und das tun sie in großartiger Weise.

Martin Polaschek

Was werden Sie machen, um die Schülerinnen und Studenten zu unterstützen?
Ich werde darauf schauen, dass sie alle die besten Rahmenbedingungen für den Unterricht haben.

Hat die Digitalisierung die Schulen in der Pandemie nicht eiskalt erwischt?
Sicher hatten einzelne Schulen Schwierigkeiten, aber es sind viele Förderaktionen passiert in den letzten eineinhalb Jahren. Und die allermeisten Schüler und Studenten verfügen sehr wohl über Smartphones und Tablets. Meine Aufgabe wird es sein, die Kinder und Familien aus der Pandemie wieder in einen geregelten Schulbetrieb hineinzuführen.

Apropos geregelter Schulbetrieb: Werden die Schulen trotz Omikron offenbleiben?
Da wird wichtig sein, was die Wissenschaft dazu sagt. Bislang weiß man nicht wirklich, wie ansteckend Omikron ist und welche Krankheitsverläufe diese Variante hat. Es wird die Aufgabe der Gesundheitsbehörden sein, das einzuschätzen. Ich komme aus der Wissenschaft, ich vertraue auf das, was Expertinnen und Experten aufgrund ihrer Erfahrung und aufgrund der medizinischen Forschung sagen. Wenn wir diese Antworten haben, dann werden wir auf dieser Basis entsprechende Schlüsse ziehen.

Können Sie ausschließen, dass Schulen wieder geschlossen werden müssen?
Können Sie es?

Ich bin nicht verantwortlich.
Ja, und genauso kann auch von mir keiner Antworten verlangen über Dinge, die man noch nicht wissen kann. Wir können nur auf Basis des Wissens bestmögliche Entscheidungen treffen. Ziel ist es jedenfalls, wenn es irgendwie geht, die Schulen offenzuhalten.

Gibt es eigentlich einen Plan für die Schulen nach der Pandemie? Es hat sich herausgestellt, dass viele Schüler psychische Probleme, es gibt gerade an Brennpunktschulen große Lernrückstände.
Ja, da sind Förderpakete in Ausarbeitung. Wir haben einen großen Handlungsbedarf in der Schulpsychologie, da stocken wir auf. Ich habe darüber bereits mit dem Herrn Bundeskanzler gesprochen. Und wir werden die Schülerinnen und Schüler auch in den Schulen aktiv unterstützen, durch Förderstunden und andere Maßnahmen.

Der Lehrermangel ist auch sehr groß. Wie könnte man diesen wichtigen Beruf wieder attraktiver machen?
Dieses Thema begleitet uns schon seit Jahrzehnten. Heinz Faßmann hat hier tolle Vorarbeit geleistet. Wir holen vermehrt Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger an die Schulen, mit eigenen Ausbildungsangeboten über die pädagogischen Hochschulen. Und darüber hinaus wird es wichtig sein, immer wieder darauf hinzuweisen, wie wichtig der Beruf der Lehrerin und des Lehrers ist, da geht es auch sehr viel um Wertschätzung. Das sehe ich auch als meine Aufgabe an.

Haben Sie in Ihrem Bekanntenkreis Lehrer?
Ja, sie sind alle mit Leib und Seele Lehrerinnen und Lehrer, sie tun das sehr gerne, sie haben alle eine große Verantwortung für die Kinder. Ich denke, wenn ich nicht an der Uni gelandet wäre, dann hätte ich diesen Beruf vielleicht auch ergriffen.

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Ich kenne viele, die mit Leib und Seele Lehrer sind. Wenn ich nicht an der Uni gelandet wäre, hätte ich diesen Beruf vielleicht auch ergriffen.

Martin Polaschek

Sie sind nicht ÖVP-Parteimitglied. Waren Sie je Mitglied einer Partei?
Nein.

Haben Sie vor, es jetzt zu werden?
Die Frage stellt sich nicht. Ich war in der Steiermark aufgrund meiner Funktionen in vielen Bereichen aktiv und präsent. Ich habe auch immer wieder für die ÖVP Projekte gemacht und kenne deshalb viele handelnde Personen. Als Vizerektor für Lehre war ich für alle studienrechtlichen Angelegenheiten zuständig, da war es mir aber immer wichtig, Äquidistanz zu allen Parteien zu wahren.

Legen Sie Wert auf die Bezeichnung „parteiunabhängig“?
Ich bin Bestandteil des ÖVP-Regierungsteams, ich fühle mich dem Regierungsprogramm verpflichtet. Ich bin keiner Parteiorganisation verpflichtet, stehe aber der ÖVP nahe.

Unser Herr Nimmerwurscht hat geschrieben: „So wie der neue Unterrichtsminister ausschaut, ist der schon ein paar Jahre im Lockdown.“ Finden Sie das lustig?
(Lacht) Aber ja.

Wann gehen Sie zum Friseur?
Ich wollte eigentlich letzten Freitag zum Friseur gehen, das ging aber leider nicht. Ich werde meine Haare aber sicher wieder ein wenig kürzen. Nur ein paar Zentimeter. Allerdings nicht jetzt, wo das mediale Interesse so groß ist.

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Ich finde es amüsant, dass sich Menschen offenbar mehr Gedanken über mein Aussehen machen als über meine Qualifikation.

Martin Polaschek

Aus Trotz?
Sagen wir so: Ich finde es sehr amüsant, dass sich Menschen mehr Gedanken über mein Aussehen machen als über meine Qualifikation.

Ist es vielleicht sogar ein politisches Statement, längere Haare zu tragen?
Nein. Ich war als Rektor auch schon kurzhaarig. Dann kam der erste Lockdown, da sind die Haare wieder länger geworden. Kein Mensch auf der Universität wäre auf die Idee gekommen, dass das ein Statement ist.

Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Uni-Zeit?
Wie viel Zeit haben wir noch? (lacht) Ich mache es kurz: Das direkte Gestalten, die Verantwortung für einen sehr überschaubaren Bereich hat, die rasche und direkte Umsetzung von Projekten. Also dieses Unmittelbare, das wird in der Politik nicht mehr so leicht sein. Die Atmosphäre, die jungen Menschen, die werde ich als Minister auch genießen können. Ich habe vor, viel in die Regionen hinauszugehen, ich möchte mich mit allen Bildungslandesrätinnen und Bildungslandesräten in allen Bildungsdirektionen, mit den Menschen vor Ort austauschen, ich möchte auch mit Lehrerinnen und Lehrern, mit Kindern und Eltern sprechen, um mir selber ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

Vom Arbeiterkind zum Uni-Chef

Geboren als „geliebtes Einzelkind“ am 22. November 1965 in Bruck an der Mur. Der Vater war Angestellter in einem stahlverarbeitenden Betrieb, die Mutter Sekretärin. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften habilitiert sich Polaschek für Österreichische und Europäische Rechtsentwicklungen, rechtliche Zeitgeschichte und Föderalismusforschung und wird zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt. Von 2003 bis 2019 ist er Vizerektor für Studium und Lehre sowie Studiendirektor der Universität Graz, ab 2019 Rektor. Verheiratet mit Iris, die zwei Söhne (mittlerweile 18 und 20) in die Ehe mitgebracht hat.

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