Kurz und sein Netzwerk

Aufstieg und Fall einer verschworenen Truppe

Politik
04.12.2021 06:00

Sebastian Kurz zieht sich nach zehn Jahren aus der Politik zurück. Er erklärte am Donnerstag überraschend seinen Rücktritt als Bundesparteiobmann und Klubobmann der ÖVP. Mit einer durchgängigen Serie von Wahlerfolgen hat der 35-Jährige in den vier Jahren seiner Obmannschaft die Volkspartei in „lichte Höhen“ (Zitat: Hermann Schützenhöfer) geführt. „Krone“-Autor Klaus Knittelfelder beschrieb das türkise Netzwerk 2020 im Buch „Inside Türkis“.

Alles begann mit einem Anruf am Abend des 18. April 2011. „Hallo Sebastian, wo bist? Komm bitte zu mir ins Büro.“ Am einen Ende der Leitung war Michael Spindelegger, damals neuer Chef der taumelnden ÖVP, am anderen der 24-jährige Chef der Jungen ÖVP, Sebastian Kurz. Wenig später offenbarte der Ältere dem Jüngeren, dass dieser Staatssekretär werden soll.

Kurz zauderte, wollte das Angebot mit seinen ÖVP-Kumpels besprechen; weil aber das Handy des schwarzen Greenhorns streikte, informierte ein Mitarbeiter Spindeleggers - ein gewisser Gernot Blümel - etliche Vertraute des JVP-Chefs, dass sein Freund Kurz sich gleich mit unbekannter Nummer und schier unglaublichen Nachrichten bei ihnen melden werde.

Noch in dieser Nacht wurden im 3. Stock der ÖVP-Zentrale der innerste Zirkel und die Politik des späteren Kanzlers mit seinen JVP-Intimi wie Axel Melchior oder neuen Verbündeten wie dem Kurz-Strategen Stefan Steiner entworfen; es war sozusagen die Geburtsstunde dessen, was man später „türkises System“ nennen sollte.

Fokussierung auf Kurz und SPÖ-Aversion
Diese Gruppe junger Männer - Kurz, Steiner, Melchior, PR-Guru Gerald Fleischmann und der wenig später folgende Bernhard Bonelli - saß ab 2017 an den Schalthebeln der Macht in der Republik, getragen von der Beliebtheit ihres Frontmannes. Die Entscheidungen in Partei und Regierung wurden in diesem engsten Kreis gefällt, farb- und machtlose Quereinsteiger-Minister hatten zu folgen. Was auch geschah: Diese politischen Lebensgefährten des Sebastian Kurz wichen ihm nicht von der Seite, sie alle einte die bedingungslose Fokussierung auf Kurz und ihre SPÖ-Aversion. Und obwohl nicht wenige Mitglieder des Kurz-Zirkels mitunter gar selbst frustriert waren, dass kaum große politische Reformen gelangen, war ihr System enorm erfolgreich.

Bruchstücke des türkisen Systems bleiben Bis nach zehn Jahren aufgrund von Korruptionsvorwürfen schließlich die totale türkise Implosion einsetzte: Kurz selbst trat ab; mit ihm seine politische Nummer zwei, Finanzminister Gernot Blümel. Kanzleramt-Kabinettschef Bonelli, zentrale Figur von Türkis-Blau und Türkis-Grün, soll in Richtung Privatwirtschaft abspringen, wie man das auch von seinem Trauzeugen Kurz erwartet (ob dessen jüngster Trip nach Irland, wo etliche Tech-Giganten sitzen, tatsächlich eine rein private Reise war?).

Steiner, Leitfigur der ÖVP-Machtzentrale, dürfte indes laut Insidern ebenso bleiben wie Fleischmann, der in den ÖVP-Klub wechselt. Melchior macht - zumindest vorerst, manch ÖVP-Kenner hegt dahingehend Zweifel - als ÖVP-Generalsekretär weiter und ist damit oberster Parteimanager des neuen Kanzlers Karl Nehammer.

Dieser kann im Übrigen trotz seiner Verwurzelung in der niederösterreichischen ÖVP letztlich als Entdeckung von Kurz und dessen Organisationschef Melchior gesehen werden. „Bevor wir kamen“, sagte ein Türkiser einst über den 2017 überraschend zum ÖVP-Generalsekretär beförderten Nehammer, „war der Karl in der Partei völlig unter dem Radar“.

 Kronen Zeitung
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