Bischof Glettler

Beihilfe zur Selbsttötung: „Freigabe enttäuscht“

Tirol
02.04.2021 13:45

Der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler spricht im „Krone“-Interview über die zweiten Ostern in der Pandemie, Entfremdung, die Bundesregierung und die Flüchtlinge - und über Sterbehilfe.

Und wieder ein Osterfest in der Pandemie. Die Menschen sind müde, wollen nicht mehr. Wie kann uns der Glaube beim Durchhalten helfen?
Tatsächlich braucht es jetzt große Durchhaltekraft und aktive Geduld. Bei vielen sind die Batterien leer. Was uns vor einem Jahr noch getragen hat, ein Geist der Aufmerksamkeit und Dankbarkeit, ist verblasst. Der österliche Glaube ist jetzt ganz besonders notwendig. Er verhilft zu einem realistischen Blick auf alle Schwierigkeiten und bewahrt zugleich vor Verzweiflung. Gott mutet uns so manche Karfreitags-Erfahrung zu, gibt aber auch die „Aufstehkraft“ des Ostersonntags, oft überraschend.

Tirols Pfarren haben viele Angebote ins Internet verlagert. Welche Erfahrungen haben Sie damit?
Durch die vielen Religions-Angebote im Netz können viel mehr Leute erreicht werden, das ist ausgesprochen positiv. Sehr dankbare Rückmeldungen belegen dies – vor allem von Menschen, die sonst kaum eine Kirche betreten würden. Auf der anderen Seite will ich nichts schönreden. Gestreamte und noch so schön medial servierte Gottesdienste können das reale miteinander Feiern nicht ersetzen. Gemeinschaft muss sich real treffen können. Mit Einschränkungen ist dies heuer zu Ostern ja möglich.

Seelsorge bedeutet vor allem Nähe. Wird die Pandemie die Menschen von der Kirche entfremden?
Die Leute spüren, ob Seelsorge mit Herz geschieht. Die kirchliche Caritas hat nie ihre Angebote reduziert, vor allem Familienhilfe und soziale Notversorgung sind gefragt. In Pfarren wurden seelsorgliche Kontakte durch Telefondienste oder Zustellung von geweihten Zeichen versucht. Auch Online-Bibelstunden wurden erfolgreich probiert. Das wird weitergehen. Entfremdung stellt sich dort ein, wo das Interesse für das Leben der Menschen schon vor der Krise schwach war. In der Pandemie ist die Sehnsucht nach einer spirituellen Quelle, nach einem verlässlichen Halt bei Gott eher gewachsen. Ich bin zuversichtlich.

Wird die Pandemie Menschen und Staaten untereinander entfremden?
Wir sind derzeit von der selbstverständlichen Verbundenheit und Aufmerksamkeit füreinander, wie das vor einem Jahr beim ersten Lockdown der Fall war, weit entfernt. Leider zeigt sich eine gereizte Fixierung auf die eigenen Befindlichkeiten, auch auf EU-Ebene. Eine faire und rücksichtsvolle Verteilung der Impfdosen sollte doch selbstverständlich sein. Die kleinkarierten Scharmützel und politischen Abrechnungen, die Grenzschließungen und Reiseeinschränkungen zur Folge haben, finde ich bedenklich. Aber es scheint nun doch Vernunft einzukehren. Freundschaftliche Beziehungen von Staaten sollten nicht fahrlässig belastet werden.

Sie machen sich für die Aufnahme von Familien aus dem Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos stark, waren auch dort. Doch die Bundesregierung bleibt vorerst hart. Was sagen Sie dazu?
In der Zivilbevölkerung hat sich eine beeindruckende Bewegung gebildet, die das Anliegen weiter verfolgt. Meine Aufgabe war es, das verordnete Wegschauen zu durchbrechen. Jetzt hängt es tatsächlich von unserer Bundesregierung ab. Es gibt genügend Einzelpersonen, Pfarren und politische Gemeinden, die sofort bereit wären, Familien unterzubringen. Bei diesem Thema geht es nicht um eine grundsätzliche Flüchtlingsdebatte, sondern um eine humanitäre Nothilfe. Wir dürfen sie nicht aus Hartherzigkeit oder Ignoranz verweigern. Fast die Hälfte der 7000 Menschen im Flüchtlingslager von Lesbos haben ohnehin schon einen positiven Asylbescheid. Sie müssen früher oder später auf ganz Europa fair verteilt werden. Sie jetzt im Elend festzuhalten, ist eine unverantwortbare Abschreckungspolitik.

Auch die Aufhebung des Verbots der Beihilfe zum Suizid durch den Verfassungsgerichtshof polarisiert. Wie sehen Sie es?
Die höchstgerichtliche Freigabe der Beihilfe zur Selbsttötung hat mich sehr enttäuscht. Nicht nur seitens der Kirche ist die Sorge sehr groß, dass damit der Suizid als „gute Option“ salonfähig wird, keineswegs nur am Lebensende mit einer unheilbaren Erkrankung. Ich denke an die klaren Mahnungen, die von der Ärztekammer, von der Hospizvereinigung und vielen anderen kommen. Sie alle warnen. Es braucht auch in Zukunft menschliche Nähe und nicht Hilfe zur Selbsttötung.

Welche Hoffnung haben Sie, wenn Sie an die Zeit nach der Pandemie denken?
Ich hoffe immer noch, dass wir eine größere Dankbarkeit für das scheinbar Alltägliche mitnehmen, vielleicht auch ein Plus an Menschlichkeit. Die vielfältige Erschütterung muss uns doch gelehrt haben, dass wir nicht alles in der Hand haben. Wir brauchen einander – und auch Gottes Hilfe. Ich bete um einen langen Atem und eine „aktive Geduld“ – österliche Geschenke Gottes. Mit einer gewissen Herzlichkeit, einem gesunden Hausverstand und einer guten Portion Gottvertrauen werden wir alles schaffen.

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