Patient im Wachkoma

Infarkt übersehen? Anwalt kämpft um Schadenersatz

Wien
03.12.2010 08:34
Der Wiener Rechtsanwalt Oliver Koch hat für einen 46-jährigen Familienvater, der seit über zweieinhalb Jahren nach einer möglicherweise falschen Behandlung in der Rudolfstiftung im Wachkoma liegt, beim Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) eine Schadenersatzklage eingebracht. Koch verlangt von der Stadt Wien als Spitalserhalter und den zwei Ärzten, die auf die Herzinfarkt-Symptome des Patienten unzureichend reagiert haben sollen, eine finanzielle Wiedergutmachung von 200.000 Euro.

Außerdem begehrt der Anwalt die gerichtliche Feststellung, dass für alle darüber hinausreichenden Folgen gehaftet wird.

Obwohl die beiden Mediziner vor Kurzem im Zweifel vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen worden sind, "gehe ich nichtsdestoweniger von einer schadenersatzrechtlichen Haftung aus. Ich finde es ungeheuerlich, dass der Wiener Krankenanstaltenverbund in dieser Sache zunächst jede inhaltliche Auseinandersetzung verweigert hat, dann lieber einmal abwarten wollte, ob die Ärzte aufgrund einer von mir eingebrachten Anzeige strafrechtlich verurteilt werden", so Koch. Er habe sich eineinhalb Jahre um eine außergerichtliche Streitbeilegung bemüht, um der Familie des Patienten einen langwierigen Rechtsstreit zu ersparen.

Mit Schmerzen in der Brust ins Spital eingeliefert
Der betroffene Patient, Vater von zwei Kindern im Alter von mittlerweile acht und 13 Jahren, war am 27. März 2008 vom Roten Kreuz mit einem akuten Koronarsyndrom in die Rudolfstiftung gebracht worden. Schon 2004 hatte er einen Herzinfarkt erlitten, nun klagte er über Übelkeit und starke Schmerzen in der Brust. Seine Angehörigen betonen, sie hätten im Spital vom ersten Moment an den neuerlichen Herzinfarkt-Verdacht geäußert.

Dessen ungeachtet wurde laut Anwalt Koch ein EKG erst knapp zwei Stunden später veranlasst: "Trotz eindeutiger Symptome und ausdrücklicher Hinweise seitens der anwesenden Mutter des Patienten sind Stunden vergangen, ohne die Symptome richtig zu deuten." Als endlich das EKG durchgeführt wurde und der Infarkt-Verdacht Bestätigung fand, war es zu spät. Zum Zeitpunkt des Eintreffens dieses Befundes war der Patient bereits klinisch tot.

Rudolfstifung nicht "State of the art"?
In einem von der Staatsanwaltschaft Wien in Auftrag gegebenen Gutachten kam der angesehene Kardiologe und Internist Günter Leopold Steurer zum Schluss, der Mann wäre "in der Krankenanstalt Rudolfstiftung nicht State of the art und nicht entsprechend den Richtlinien diagnostisch abgeklärt, medizinisch überwacht und behandelt worden", wie der Expertise zu entnehmen ist.

Körperverletzung hätte "minimiert" werden können
Steurer ortete zahlreiche Versäumnisse aufseiten der ärztlich Verantwortlichen: "Bei rechtzeitigem Erkennen des akuten Koronarsyndroms, einer sogenannten instabilen Angina Pectoris-Symptomatik bzw. eines beginnenden Herzinfarkts (...), bei kontinuierlicher Beaufsichtigung des Patienten auf einer Station mit geschultem Personal, kontinuierlicher EKG-Überwachung, sequenzieller Labordiagnostik und bereitgestelltem Defibrillator (IMC), frühzeitiger Behandlung mit einer antithrombotischen und antikoagulativen Therapie sowie einer frühzeitigen revaskularisierenden Therapie (...) und einer sofort eingeleiteten, sachgemäß durchgeführten und dokumentierten Reanimation (Wiederbelebung) mit sofortiger elektrischer Defibrillation unmittelbar nach dem Beginn von Kammerflimmern (Frühdefibrillation) wären mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Art und Schwere der Körperverletzung (Größe des Herzinfarkts und Ausmaß des hypoxischen Hirnschadens) bedeutsam vermindert worden."

Im Strafprozess gegen die Ärzte konnte diesen ad personam ein rechtswidrig schuldhaftes Vorgehen nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden. Doch für den Rechtsvertreter des Koma-Patienten steht außer Frage, dass jedenfalls ein Verschulden im Rahmen des Behandlungsvertrages und eine Verletzung der Dokumentationspflicht in den Krankenunterlagen vorliegt, was sich schadenersatzrechtlich sogar haftungsverschärfend niederschlage. "Schließlich muss sich der Krankenanstalten-Rechtsträger jedenfalls auch den Vorwurf eines Organisationsverschuldens gefallen lassen, was ebenfalls zur Haftung führt", so Koch weiter.

Zudem sei die deliktische Haftung der Ärzte in schadenersatzrechtlicher Hinsicht trotz der strafrechtlichen Freisprüche gegeben: "Derartig gehäufte und gravierende Verkennungen, Verzögerungen und Versäumnisse, zu denen es im gegenständlichen Fall gekommen ist, sind nicht mehr im Rahmen einer haftungsfreien gehörigen Aufmerksamkeit und gebotenen Sorgfalt."

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