„Krone“-Interview

Baits: „Heislband von Deutschland bis Italien“

Musik
09.02.2021 09:00

Hand aufs Herz - wer liebt die 90er-Jahre nicht? Als der Grunge die Charts verdreckte, Authentizität und Herzschmerz den überflüssigen Pomp ablösten und die Künstler auf Augenhöhe mit ihren Fans waren. Dieses Nostalgiegefühl bringen uns die Wiener Baits auf ihrem Debütalbum „Never Enough“ wieder näher. Mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Grunge, Alternative Rock, Surfrock, 60s Popmelodien, Herzblut, Ehrlichkeit und - ja - Kapitalismuskritik. Wir baten Frontfrau Sonja Maier und Drummer Fazo mit Sicherheitsabstand zum Gespräch.

(Bild: kmm)

„Krone“: Sonja, Fazo - an eurem Debütalbum „Never Enough“ arbeitet ihr schon seit gut zwei Jahren. Kam nun der richtige Zeitpunkt, wo ihr gemerkt habt: es muss einfach raus?
Sonja Maier:
Wir wollten das Album ursprünglich im September 2020 rausbringen, aber ohne Konzerte sah das schlecht aus. Wir konnten ja nicht wissen, dass es ewig so weiter geht. So hatten wir aber Zeit, Singles rauszubringen und Videos zu drehen, aber es musste einfach raus. Teilweise sind die Songs aus 2016 und es reicht jetzt einfach. (lacht) Ich bin tatsächlich das einzige Gründungsmitglied der Band. Ich hatte Baits als Nebenprojekt mit zwei Spaniern gegründet, die mittlerweile wieder nach Spanien gezogen sind und dort erfolgreich als Architekten arbeiten. Es ging bei der Besetzung lange hin und her und ich ging dann drei Monate zum Gitarrespielen und Songschreiben nach Amerika. Für meine Rückkehrt hatte ich schon eine Tour gebucht. Über die USA habe ich die neuen Jungs angehalten, nach einem dauerhaften Drummer zu suchen und so kam Anfang 2019 Fazo ins Spiel.
Fazo: Diese ganzen Wechsel hat es aber auch gebraucht. Ich kenne das alte Material und die alten Aufnahmen, aber so komplett wie jetzt hat der Sound nie geklungen. Es passt einfach alles zusammen.
Sonja: Ab einem gewissen Alter stellt man sich die Frage, wie stark man eine Band betreiben will. Ich arbeite als Lehrerin, aber meine Freizeit stecke ich voll in die Baits. Wenn ein Konzert und eine Geburtstagsparty anstehen, dann hat das Konzert Vorrang. Für andere Leute Anfang 30 ist das nicht mehr so und das war auch intern ein Problem. Aber wir stehen jetzt alle total für die Band.
Fazo: Wir ziehen das alles ganz bewusst durch. Es ist eine Ernsthaftigkeit im Spiel, die gut tut und sich von den anderen Projekten unterscheidet. Die Songs existieren schon lange, aber wir haben das Album neu interpretiert und neu aufgenommen in den LW Sonics Studios hier in Penzing. Im Prinzip ist ja schon das nächste Album fertig. (lacht)
Sonja: Wir haben die Zeit genutzt und weitergemacht. Was soll man denn sonst machen, wenn man gar nicht mehr live spielen kann…

Habt ihr auf „Never Enough“ auch noch ganz neue Nummern raufgepackt oder nicht mehr?
Sonja:
Nein, das ging sich nicht mehr aus. Wir wollten dieses Projekt auch abschließen und dann erst etwas Neues beginnen. Viel ändert sich ja nicht, außer dass die Chemie zwischen uns Musikern noch besser ist.
Fazo: Durch die Coronaverschiebung konnten wir noch mehr Singles rausbringen. Es gibt also fünf bekannte Singles und fünf Albumsongs, die für die Leute neu sind.
Sonja: Wir haben sogar einen ursprünglichen Song rausgekickt, weil er zu weit vom restlichen Material entfernt war. Lieber reduzieren als noch mehr draufpacken. All Killer, no filler - das ist das bessere Prinzip.
Fazo: Man musste jedem Song eine Chance geben. Auch wenn die Musiker heute andere sind, sind die Songs immer noch gut und haben es verdient, rauszukommen. Das nächste Album wird aber sicher schneller fertig sein.

Sonja, die Texte stammen alle von dir. Inwiefern ist „Never Enough“ zu interpretieren? Geht es da um die menschliche Geisteshaltung, das „es ist nie genug“-Prinzip im Kapitalismus und im persönlichen Kontext?
Sonja:
Ich sage immer, ich war zwei Jahre schwanger und jetzt ist das Baby endlich da. (lacht) Aber ja, da trifft beides zu. Es graust mir davor, dass die Gier immer mehr Überhand nimmt. Man will so viele Dinge haben, die gar nicht notwendig sind. In dieser Szene fühlen wir uns alle als nicht genug. Künstler trifft das noch mehr, weil man kaum direktes Feedback auf seine Arbeit kriegt. Daraus entstehen viele Selbstzweifel und daraus wiederum „Never Enough“. Ich bin nicht gut genug, nicht klug genug, nicht schön genug - diese Gedanken sind immer präsent. Man lebt im Spannungsverhältnis zwischen nicht genug kriegen und nicht gut genug sein. Zumindest glaubt man das.
Fazo: Wenn man den Bogen in die Gegenwart schlägt, sieht man das ganz gut. In einer Krisenzeit sollte jeder schauen, irgendwie durchzukommen, aber sogar jetzt muss man alles perfektionieren. Jeder muss fünf Streaming-Konzerte im Monat machen, jeder muss jeden Tag Yoga machen, jeder muss perfekt entschleunigen. Alle, die vorher kein Geld verdient haben, sollen jetzt erst recht alles gratis machen. Es gibt immer mehr Anforderungen an alles in dieser Gesellschaft.

Wie kann man sich dieser Getriebenheit und dem Perfektionismus in der Gesellschaft entziehen? Ist das überhaupt möglich?
Sonja:
Ich habe nie gelernt Gitarre zu spielen und kann keine Noten lesen. Ich begann damit Beatles- und Nirvana-Songs nachzuspielen und habe mich von dort weitergehangelt. Ich habe an mich selbst keine Ansprüche, außer dass ich etwas Bestimmtes ausdrücken will. Mit Übung wird man besser, diese Rechnung geht zum Glück immer auf.
Fazo: Als Künstler ist es sowieso schwer, nicht getrieben zu sein. Das Business ist so schwierig, dass man immer pushen muss, um überhaupt weiterzukommen. Anders würde es gar nicht gehen.
Sonja: Die Akzeptanz der Unwissenheit und der Unsicherheit ob das, was ich da mache, überhaupt Anklang findet, ist schwierig zu erreichen. Es gibt immer eine Angst, dass etwas nicht passt und die Songs drehen sich sehr stark darum. Ängste nagen an uns und nehmen uns stark ein.

Habt ihr auch Angst vor dem unmittelbaren ersten Feedback, wenn ein neuer Song von euch auf YouTube kommt?
Fazo:
Prinzipiell überwiegt die Freude darüber, etwas loszuwerden und zu präsentieren. Natürlich hofft man auf gutes Feedback, aber in erster Linie ist es egal, was die Leute anfangs hinschreiben oder ob sie das Video gutheißen. Der Prozess an sich ist so befriedigend, dass das Ankommen anfangs nicht so relevant ist. Es geht ohnehin alles auf Zeit. Wir bringen keinen Song raus und alles ist super - man muss immer besser werden und kontinuierlich an sich und den Songs arbeiten.
Sonja: Wir lernen step by step und haben das große Glück, dass wir gut aufgestellt sind. Christoph arbeitet im Filmbusiness und kann mit einer Kamera umgehen, ich schreibe bessere Pressetexte, wir haben das Studio und Fazo ist hier dauernd unterwegs. Jeder kann sein Talent komplett einbringen. Sei es im rein musikalischen Bereich, oder bei allen Sparten drumherum. Wir haben unheimlich viel Spaß. Etwa beim Videodreh für „What’s On Your Mind“, als wir in Schönberg in der Black-Metal-Montur herumgerannt sind und der Förster vorbeifuhr und sich überhaupt nicht mehr auskannte. Es war aber auch hart, denn ich habe viel mehr Respekt vor Black Metallern, die Corpsepaint tragen. (lacht)
Fazo: Wir waren im Wald und überall waren Insekten und es war warm. Aber du darfst dir nie übers Gesicht wischen, weil sonst die Schminke kaputt ist. Das war brutal und ich bin einmal komplett ausgezuckt. (lacht)

So ernst ihr eure Musik und die Texte nehmt, so viel Humor und Dadaismus herrscht in euren Videos und bei euren Social-Media-Auftritten. Worauf fußt dieses Konzept, oder herrscht einfach pure Anarchie?
Fazo:
Wir haben die Web-Serie aus einer gewissen Lockdown-Lethargie gestartet. Streaming-Konzerte fanden wir fad, also kam die Idee auf, dass der Spaß, den wir untereinander haben, möglicherweise auch andere Menschen unterhalten kann. Vielleicht etabliert uns der Humor als Band und gibt uns eine neue Ebene.
Sonja: Jede gute Band hat eine gute Geschichte und gute Charakter. Und warum sollten wir das nicht nutzen? Beim „What’s On Your Mind“-Dreh haben wir mitgekriegt, dass jeder in den gleichen Outfits steckt, aber seinen eigenen Charakter hat. Die Fans wollen einen Bezug haben und wissen, wer dahintersteckt. Wir sind authentisch und der Humor, den man draußen sieht, ist unser persönlicher. Ich schaue mir die Web-Serie oft selbst an, weil ich sie so witzig finde.
Fazo: Augenzwinkern ist extrem wichtig für jegliche Art der Kunst. Es gibt natürlich welche, die sich das nicht leisten sollten, aber ich will meine Kunst nah und authentisch haben. Am Ende geht es um einen verdammten Song. Wir nehmen alles ernst und wollen alles gut machen, aber es ist am Ende des Tages nur Musik.

Selbstironie ist ein wertvolles Gut, das in der österreichischen Musikszene gar nicht so weit verbreitet ist…
Fazo:
Leider nicht, das stimmt. Es gibt diese Klischeefigur des österreichischen Stars, der innerhalb des Landes der Größte und Wichtigste ist und außerhalb kennt ihn niemand.
Sonja: Wir haben außerhalb Österreichs mehr Konzerte gespielt als innerhalb. Das ist schon spannend, denn wir haben uns wortwörtlich den Arsch abgearbeitet. Von Bars in Ungarn über Scheunen in Holland nach einer siebenstündigen Autofahrt mit einem Bassisten, der sich vorher den Fuß aufgeschnitten und die Zunge aufgebissen hat.
Fazo: Da kamen zwei Rettungen und wir haben spontan ein Hotel gebucht, obwohl wir am Boden hätten schlafen sollen. Wir haben dann gewartet wie sich die Sache entwickelt und Maurizio hat im Sitzen gespielt. Er wusste gar nicht mehr, ob er die letzten zwei Nummern schafft. (lacht)

Merkt man als Musiker den Unterschied im Publikum? Ist das österreichische Publikum anders als das internationale?
Fazo:
Das kommt immer auf das Gesamtpaket an. Wenn die Location passt, der richtige Booker am Werk war und wir gut aufgenommen werden, dann ist das auch in Österreich mehr als cool. Wir können den Unterschied nicht abschätzen, weil wir nicht groß genug sind. Wir sind sowohl in Italien als auch in Deutschland eine Heislband. (lacht) Ich habe aber niemals schlechte Erfahrungen gemacht.
Sonja: Wir mussten uns auch noch nie mit Absagen von schwindligen Promotern herumschlagen und haben in den kleinsten Kaffs am Land gespielt. Etwa im Bahnsteig 3 zwischen Feldbach und Studenzen in der Steiermark, aber da ist so viel Herzblut darin, dass es für alle Beteiligten großartig war. Ich finde die Frage, ob diese Veranstalter die Coronakrise überleben, sehr tragisch. Vieles passiert da auf freiwilliger, unentgeltlicher Basis und es ist eine Schande, dass diese Clubs vielleicht nicht überleben können. Wir haben auch schon mal in einer Bar nach einem Singer/Songwriter-Duo, bestehend aus 14-jährigen Mädels, gespielt. (lacht) Österreicher tauen sehr langsam auf. In Holland ist der Moshpit beim ersten Song vorhanden, bei uns eher erst bei der Zugabe.

Ist der Wunsch, als Band Charaktere zu präsentieren, aus den goldenen 70ern inspiriert? Wo zum Beispiel KISS sich einzeln vermarktet haben, aber auch in der Punkszene ein Johnny Rotten oder Sid Vicious als Menschen selbst herausgestochen haben?
Sonja:
Ich war schon immer ein großer Fan der Beatles. Ihre Kleidung, ihre Frisuren und auch die vielen Interviews, wo sie mit Journalisten teilweise sehr schroff umgegangen sind. Das war damals der Wahnsinn. Sie waren anders und wussten genau, wie man sich präsentiert. Außerdem sind wir mit MTVs „Headbangers Ball“ aufgewachsen und da ging es immer um die Musiker und Figuren dahinter.
Fazo: Was hat die Band für einen Mehrwert, wenn es nicht um die Charaktere geht? Die Karriere als Solokünstler, Produzent oder einzelner DJ ist jene, die gerade präferiert wird und richtig gut läuft. Insofern haben wir schon als Band an sich einen Retroanteil angelehnt an die 90er-Jahre. Dort hatte jeder ein Ego und zusammen wurde etwas geschafft. Wir sind halt auch alle Egos. (lacht)
Sonja: Ich will jetzt nicht mit der Anthropologie kommen, aber die Menschen haben sich schon immer Geschichten erzählt. Darum geht es im Endeffekt. Egal ob als Journalist für ein Medienhaus oder als Musiker für eine Band.
Fazo: Und wenn man das Glück hat, dass ich freischaffender Künstler bin, Christoph im Filmbusiness arbeitet und auch die Sonja ihren Job hat und schon seit vielen Jahren Songs schreibt, dann verzahnt sich das gut. Da ist viel Potenzial bei den einzelnen Charakteren und zusammengeworfen passt das perfekt. Außerdem ist es ein gewisser Schutz vor der Privatperson. Man kann sich immer ein bisschen anders inszenieren, als man eigentlich ist. Auch wenn wir uns kaum verstellen.

Kurt Cobain war zum Beispiel von sich aus sicher einer der greifbarsten Menschen des Musikbusiness, wurde im Endeffekt aber von Medien, Öffentlichkeit und Ruhm zur absoluten Ungreifbarkeit verformt.
Sonja:
Das spiegelt sich auch in den Texten wider. Jene bei Nirvana sind so frei interpretierbar, dass man nicht draufkommt, worum es Cobain ging. Ich finde das super, denn es geht nur ihn was an und für mich ist nichts schlimmer als ein Song, der flache Lyrics hat und komplett auswertbar ist. Es darf mich nichts in meinem Denken beengen.
Fazo: Dieser Unterschied zwischen flachen und eingängigen Lyrics ist interessant. Man könnte den Fehler machen und das gleichsetzen, aber flache Lyrics sind manchmal total gut, weil sich jeder damit identifizieren kann. Bei uns sind sicher auch Texte einfach zu verstehen, aber trotzdem gut.
Sonja: Es geht um die Authentizität. Ich habe Englisch studiert und war oft in den USA, wodurch Englisch quasi meine zweite Muttersprache ist. Das ist natürlich ein großer Vorteil. Natürlich muss ich auch nachschlagen und kontrollieren, aber für viele andere ist es nicht so einfach, auf Englisch zu schreiben. Deshalb werden Texte automatisch etwas flacher, auch wenn es nicht so gewollt ist. Wichtig ist auch - wie weit nimmt man mir ab, was ich singe.

Eure Songs weisen auch einen großen Pop-Appeal auf, hinter all den Rock- und Grunge-Zitaten. Das ist durchwegs positiv gemeint, denn einen guten Popsong zu schreiben ist so ziemlich das Allerschwerste.
Sonja:
Ich könnte gar nichts anderes schreiben.
Fazo: Man setzt immer das um, wie man musikalisch sozialisiert wurde. Wenn du ein großer Beatles-Fan bist ist es wahrscheinlich leichter Popsongs zu schreiben, als wenn du aus dem Metal kommst und dann von zehn Akkorden auf vier runterbrechen musst.
Sonja: Ich bin mit Musik aufgewachsen, die coole Hooklines hat und trotzdem nicht flach klingt. Man hört gut heraus, dass wir stark von alter Musik inspiriert wurden, aber den Appeal der Moderne mitnehmen wollten.
Fazo: Wir haben bei der Produktion stark darauf geachtet, dass es sehr ruppig und Lo-Fi klingt, ein Song aber immer radiotauglich ist. Darum geht’s am Ende, denn du willst ja, dass die Songs so viele Leute wie möglich hören.
Sonja: Wenn ich etwas Harscheres hören will, dann gründe ich einfach eine andere Band. Das ist ja auch kein Problem.

Von all den Einflüssen, die sich bei euch über mehrere Jahrzehnte der Musikhistorie drehen, bleiben die frühen 90er- und die damalige Grunge- und Alternative-Rock-Welle am stärksten hängen. Sonjas Stimmlage auf „Feelings“ kommt dem leidenden Cobain schon sehr nahe…
Sonja:
Eindeutig, das stimmt. Die Breeders vor allem, ich bin ein Riesenfan von Kim Deal. Als ich acht war, habe ich meinem Metal-Bruder die „Bleach“ von Nirvana geklaut. Ich habe dann meine Märchenkassetten damit überspielt und Tixo drübergepickt und von dort an war klar, wohin die Reise geht. Zum Leidwesen meiner Mutter bin ich in der Volksschule mit zerrissenen Jeans und Nirvana-Shirts herumgelaufen. Ich wollte Kurt Cobain sein, denn ich dachte immer, für den ist das Leben wahrscheinlich leichter als für mich. (lacht) In der Retrospektive war der Gedanke wohl falsch. Ich habe dann gezielt nach Samplern gesucht, wo Nirvana drauf waren und so kam ich dann auch mit anderen Bands in Berührung. Dann kamen die Smashing Pumpkins und Soundgarden, aber als echter Nirvana-Fan wurde ich mit denen natürlich nie richtig warm. (lacht) Oft werde ich mit der Band Hole verglichen, aber das verstehe ich nicht. Die Breeders haben Akustikgitarre und verzerrte Gitarren und prägnante Bassriffs vermischt und das kommt uns als Band schon viel näher.
Fazo: Bei mir liegt der Ursprung bei den Pixies. Die höre ich tatsächlich noch immer.

Bands wirkten damals, nicht zuletzt auch die „Rrriot-Girl“-Bewegung um Bikini Kill oder L7 aufmüpfiger und politischer als heute. Kannst du dich damit inhaltlich besser identifizieren?
Sonja:
Gerade diese Bands waren wirklich sehr politisch und auch damit wurde ich sozialisiert. Sexismus ist leider auch allgegenwärtig in der Musikbranche und ich habe ihn schon am eigenen Leib erfahren. Wenn dann wieder einer kommt und beim Soundcheck „kann die Freundin vom Sänger bitte von der Bühne gehen“ schreit. (lacht)
Fazo: Natürlich sind wir jetzt anders aufgestellt, aber wir sind eine klassische DIY-Band und daher auch politisch. Wir transportieren das nicht direkt mit der Musik, spielten aber in unzähligen besetzten Häusern und linken Einrichtungen. Ohne sie wären wir auch nie so viel unterwegs gewesen.
Sonja: Es gibt einen moralischen Kompass in der Band, der für alle Mitglieder in dieselbe Richtung zeigt. Bestimmte Dinge gehen, andere überhaupt nicht. In einem Song wie „Liberate“ geht es darum, dass wir uns von etwas befreien müssen. Aber eher im philosophischen Sinn, dass wir mit so vielen Dingen aufwachsen, denen man sich gar nicht bewusst ist, solange man nicht in eine Therapie geht und damit konfrontiert wird. Eine Frauenquote soll es geben, weil es anders nicht gehen wird Dinge zu ändern. Der Mensch ist so konditioniert, dass er vieles nicht aufbrechen will und dagegen singen wir an.
Fazo: Sonja wird sehr oft ein Feminismusthema unterstellt, weil sie eine Frontfrau einer Band ist. „Liberate“ dreht sich per se nicht um Feminismus, sondern auch um die Befreiung von Männern aus Klischeerollenbildern. Mir ist es wichtig, dass die Leute wahrnehmen, dass unsere Texte nicht nur eine simple Kritik an Genderrollen sind.
Sonja: Feminismus bedeutet nicht, nur die Frauen zu befreien. Jeder Mensch, egal wie er sich definiert, wird in seinem Leben von so vielen Dogmen eingeschränkt und daraus gilt es auszubrechen. Jeder Mensch soll so leben, wie er es für richtig hält.

Auf dem Cover-Artwort sieht man einen gezeichneten Burger, dessen Schichten verschiedene Emotionen darstellen. Der obere Bun ist Schmerz, der untere Wut und die Zutaten dazwischen sind Spaß, Drama, Liebe und Trauma. Aus welchem Bewusstsein heraus entstand diese Anordnung?
Fazo:
Das Cover ist von mir und für mich war das Bild ganz klar als Erklärung zum Albumtitel. Der Burger steht sinnbildlich für alles reinfressen. Möglichst viel, möglichst schnell und möglichst fett und nie genug davon kriegen. (lacht) Der Burger ist mit Emotionen gefüllt, die pessimistisch gesehen ins Negative überwiegen, aber das Schmankerl von Spaß und Lust ist auch da. Das eine geht nicht ohne den anderen und es ist bewusst gewollt, dass man viel in das Bild hineininterpretieren kann.

Sonja, haben deine Texte per seinen sozial- und kapitalismuskritischen Touch?
Sonja:
Kapital schürt die Angst und lebt von dem Spiel mit der Angst. Gerade jetzt fragen sich Leute, wie man als Künstler überleben kann, während man in den Sozialen Medien mit Leuten konfrontiert ist, die schöner, reicher und besser zu sein scheinen. Diese Ideen entspringen dem Kapitalismus, aber ich muss die Themen nicht so herausschreien wie Anti-Flag. Da würden meine Texte zu flach werden.
Fazo: Wir würden unsere Kompetenz als Musiker überschreiten. Es gibt andere, die solche Themen jahrelang studieren und selbst dann keine gute Kapitalismuskritik anbringen können.
Sonja: Ich glaube nicht, dass ich die richtige Person bin, um eine fundierte Kritik zu äußern. Ich kann ausdrücken, was ich in dem Kontext erlebt habe, aber das große Ganze kann ich nicht erklären und will ich auch nicht. Ich kann noch nicht einmal meine Steuererklärung machen. (lacht) Diese Kritik ist in der Musik mittlerweile allgegenwärtig und auch wichtig, aber die Frage ist, wo führt sie hin? Wir sind alle nur Sklaven in einem System, aber um ein größeres Gesamtverständnis zu erreichen, verstehe ich den Kapitalismus selbst nicht gut genug. Es ist wie ein ewiger Kreislauf.
Fazo: Heute wurde ich angestänkert, weil ich die falsche Hafermilch trinke. Ein entfernter Verwandter des Firmenchefs hat mal Trump unterstützt und ich wurde darauf aufmerksam gemacht. Da geht die Sache dann natürlich zu weit. Was Political Correctness angeht, ist bei uns ganz klar, was okay ist und was nicht. Politische Korrektheit hat ein böses Image, weil einige Leute in einem gewissen Humor steckengeblieben sind. Ich finde rassistische und körperbeschämende Dinge nicht lustig und man ist nicht falsch politisch korrekt, wenn man das Scheiße findet. Unser Humor an sich ist politisch schon korrekt.
Sonja: Bei uns geht es mehr um Slapstick. Da denke ich an die Monty Pythons, die ich sehr schätze. Wenn man die Black Metaller ein bisschen vor den Kopf stoßen kann, mit unseren Videos und Memes, dann ist das schon okay. Ich würde sogar hoffen, dass wir aus der Szene mehr Hater haben, denn dort ist sehr viel sehr trist. Man muss bei einer neuentdeckten Band ja erst einmal nachschauen, ob das eh in Ordnung ist, oder sich dahinter schwere Rechte verbergen. Unsere Gags und Sketches führen sich jedenfalls selbst ad absurdum und das finde ich total wichtig.

Wer oder was sind die Baits? Wie würdet ihr euch erklären?
Fazo:
Sehr gute Freunde, die ich öfter sehe als meine Freundin. Eine Band, die sehr ernsthaft unterwegs ist und natürlich auch wirtschaftlich vernünftig arbeiten kann. In meinem Kopf ist Baits ein großes Wort und ich habe gar kein spezielles Bild mehr vor Augen. Es ist mein Projekt, das für die nächsten drei bis fünf Jahren absolute Priorität hat.
Sonja: Ich freue mich darauf, mit den Burschen in den Bus zu springen und dann die Bühne zu entern, um endlich wieder mit allen Spaß zu haben.
Fazo: Wenn man es jetzt in Charaktere ummünzt: Sonja ist die toughe Frontfrau und der Boss. Christoph ist der Extremsportler und Meme-Profi. Ich bin einfach Künstler und Julian ist komplett verrückt und sitzt gerade in Tschechien. Wir sehen ihn gerade gar nicht, aber er ist wahrscheinlich der Produktivste von uns allen.

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