„A bissl übertrieben“

Gewürztraminer: Der Realität mit Spaß trotzen

Musik
18.09.2020 06:00

Die Gypsy-Jazzband Gewürztraminer könnte man im Duden als Inbegriff einer Liveband angeben. Umso schlimmer, dass die aktuelle Corona-Situation sehr viele Unsicherheiten hinterlässt, doch mit „A bissl übertrieben“ hat das Sextett eine famose neue Platte am Start. Gidon Oechsner, Daniel Schober und Daniel Neuhauser erzählen im „Krone“-Interview mehr darüber.

(Bild: kmm)

Prinzipiell könnte man behaupten, Wesen und Sein von Gewürztraminer bestünde nur aus Zufällen. Den an die fabelhafte Weinsorte angelehnten Bandnamen hat sich die Wiener Weltkombo nämlich nicht einfach akribisch ausgedacht, er flog Gitarrist Marco Filippovits via Josef Haider einfach so zu und gefiel auf Anhieb. Vor etwas mehr als zehn Jahren begann die „Gypsy Jazz Band“ seine Karriere als akustisches Trio, der Zufall und diverse Bekanntschaften erweiterten die Band heute zu einem Sextett - das je nach Live-Setting mit dem „Gmischten Satz“ auf bis zu zehn Mann erweitert werden kann. Und wie es der Zufall so will, ist das eigentlich schon vier Jahre alte Album „Tanzverbot“ aufgrund harscher Corona-Restriktionen von unerwarteter Aktualität. „Vielleicht nennen wir das nächste Album auch einfach ,Sitzpflicht‘“, lacht Bassist Daniel Schober im launigen Gespräch mit der „Krone“. Der Schmäh muss rennen - ganz besonders in prekären Zeiten wie diesen, wo auch den Gewürztraminern mit März der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Ziele beharrlich verfolgen
„Zuerst haben wir das Album von März auf September verschoben, aber da wussten wir noch nicht, dass es mit den Livekonzerten so lange schwierig sein würde“, erklärt das in München geborene Band-Sprachrohr Gidon Oechsner. Schlagzeuger Daniel Neuhauser pflichtet ihm bei: „Vom Lockdown allein bis Ende August sind uns gut 20 bereits fix ausgemachte Konzerte flöten gegangen. Die Situation ist keine gute, aber wir kämpfen weiter.“ Die Gewürztraminer pflegen ihre Karriere selbst in der Hand zu haben. Etwaige Einflüsterer waren zwar immer wieder einmal Teil des Weges, wurden dann aber genauso schnell wieder geschasst. Die Band weiß was sie will und verfolgt dieses Ziel beharrlich. „Für mich fühlt es sich schon so an, als wäre diese Band auf der Welt, um live zu spielen“, erklärt Oechsner, „wir sind auf einem guten Weg dorthin, mit der Band unseren Lebensunterhalt verdienen zu können, weil sie weit über ein Hobby hinausgeht. Jetzt veröffentlichen wir unser ,Meisterwerk‘ und können damit kaum auftreten, das ist nicht einfach.“

„A bissl übertrieben“ nennt sich das vierte Studioalbum der Band und führt den spätestens auf „Tanzverbot“ eingeschlagenen Weg der grenzenlosen Vielseitigkeit weiter. Anstatt sich ausschließlich auf die Wurzeln des Jazz zu besinnen, verrühren die Gewürztraminer von Reggae und Rock über Pop und Hip-Hop bis hin zu Balkan-Sounds und Elektronik alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die hohe Variabilität haben sich die Wiener über die Jahre hart erarbeitet und sie wurde vom weltoffenen Publikum nicht nur mitgetragen, sondern auch aktiv forciert. „Wir wollen unsere Musik jüngeren Menschen näherbringen, den Stil und Sound öffnen“, erklärt Oechsner, „ist völlig egal, wie alt die Leute sind. Wir alle haben immer eine große Gaudi.“ Der Spaß und das Experimentelle gehen bei Gewürztraminer Hand in Hand. „Es ist lustig, Balkanklänge mit Heavy Rock zu vermischen, außerdem hören wir von Hip-Hop bis Be-Pop selbst so gut wie alles. Wir haben einen traditionellen Korpus und würzen ihn mit neuen Einflüssen. Grundkonsens ist, dass die Songs tanzbar sind.“

Seitenhiebe sind zu finden
Da in Unterhaltung auch das Wort „Haltung“ steckt, schreckt die Band auch nicht vor gesellschaftskritischen oder politischen Themen zurück - selbst wenn man in dieser Richtung eher mit Bedacht vorgeht. „Auf ,Tanzverbot‘ hatten wir mit ,Die Angst‘ das erste mal einen wirklich ernsthaften Song, aber wir halten absolut nichts vom Predigen. Viele Dinge kommen mit einem gewissen Augenzwinkern daher und man kann sich selbst Gedanken darüber machen.“ Im Song „Zwefendi“ etwa machen sich die Gewürztraminer Gedanken über die unterschiedlichen Stellungen und Klassifizierungen der Menschen, das direkt auf „Tschü amoi“ folgende „Gewinner“ kann durchaus als Kapitalismuskritik verstanden werden. „Im Prinzip gehen unsere Songs aber in Richtungen wie Aufgeschlossenheit, Liebe oder Grenzenlosigkeit. Direkte Schüsse in die Politik gibt es nicht, aber man kann Seitenhiebe finden, wenn man danach sucht“, lacht Oechsner.

Mit ihrem tanzbaren Gypsy-Jazz, unterschiedlichen Kulturen und Nationalitäten innerhalb der Band und den neben Martin Schiske auch produzierenden Franzosen Olivier Kikteff ist die Band an sich aber schon politisch genug, ohne sich speziell dazu artikulieren zu müssen. „Es macht sich nur nicht jeder die Mühe darüber nachzudenken. Wir könnten zum Beispiel nicht auf dem Akademikerball auftreten, da gehen wir innerhalb der Band natürlich alle konform“, führt Oechsner aus, „ich habe neulich einen Artikel über Toleranz gelesen. Wenn du alle Intoleranten tolerierst, dann ist es plötzlich wieder okay intolerant zu sein - und das geht sich für uns dann wieder nicht aus.“ Schober macht noch einmal deutlich: „Wenn wir auf der Bühne stehen und ein Konzert spielen, dann ist gute Laune angesagt. Egal wie oasch sonst alles sein mag, in diesen 90 Minuten denkt auf und abseits der Bühne niemand über etwas anderes als die Musik nach und genießt einfach den Moment.“

Jazz goes Pop
Dass die Band trotz der Vielseitigkeit und Tanzbarkeit die Wurzeln nicht vergisst, macht nicht zuletzt das auf dem Cover-Artwork befindliche „Gypsy Jazz’s Not Dead“ deutlich, dass direkt über den an Banksy erinnernden Affen mit der Gypsy-Gitarre firmiert. Dennoch - in diesem Jahr ist eben alles „A bissl übertrieben“. „Wir haben für dieses Album eine riesige Pop-Produktion aus dem Boden gestampft, die für eine Jazzband in der Form nie möglich wäre. Da wussten wir dann selbst, dass wir ein bissl übertrieben haben. Aber es war ein bewusstes Übertreiben und hat unheimlich viel Spaß gemacht. Die Basis der Songs ist immer der Gypsy Jazz, aber von da weg schauen wir einfach, wohin es uns treibt. Mit ,Ich liebe dich wegen meines Körpers‘ haben wir ja sogar einen waschechten Schlagersong auf dem Album.“ Alles kann, nichts muss. Die höchste Prämisse, die gerade in Zeiten wie diesen umso wichtiger ist. Bleibt nur zu hoffen, dass man die Gewürztraminer trotz aller Unannehmlichkeiten diesen Herbst doch noch öfters live sehen kann.

Hoffentlich live
Folgende Konzerte sind bis jetzt noch am Plan: 1. Oktober im Das Werk in Wien, 8. Oktober beim Festival „Jazzklosterneuburg“, 31. Oktober Tischlerei Melk, 6. November Röda Steyr, 7. November Musikclub Lembach, 14. November „Benefiz für da Vinzihaus“ im Grazer Orpheum und am 25. Dezember im Porgy & Bess in Wien. Alle weiteren Infos und Karten unter www.diegewuerztraminer.org.

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