Kufsteinerin erzählt

Maria „Mariedl“ Binder, die Nachkriegs-Mutter

Tirol
10.05.2020 07:00

Armut und Zusammenhalt - die 1923 geborene Maria „Mariedl“ Binder aus Kufstein erzählt zum Muttertag über ihr Leben kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

„Sag Mariedl zu mir“, meint die heute 97 Jahre alte Maria Binder aus Kufstein zur Begrüßung. Mit strahlenden Augen und einem leichten Schmunzeln auf den Lippen sitzt sie in der Gartenlaube neben dem schmucken Haus, in dem ihre Enkelin Martina mit ihrem Mann Walter und Urenkel Lukas leben. „Ich bin froh, dass ich meine Familie wieder besuchen darf“, erklärt die mehr als rüstige Seniorin und beißt genüsslich in einen süßen Krapfen.

Die Aufbau-Generation
Hell und wach sind ihre Gedanken und ganz in der Gegenwart verankert, doch jetzt, 75 Jahre nach Kriegsende kommen Erinnerungen auf, welche sie lieber in der Dunkelheit des Vergessens gelassen hätte. Trotzdem erzählt sie der „Tiroler Krone“, stellvertretend für unzählige Frauen, ohne die der Aufbau und darauffolgende Wohlstand der Zweiten Republik nicht möglich gewesen wäre, aus den schwarzen Tagen nach dem Zusammenbruch eines Reiches, welches tausend Jahre hätte andauern sollen.

Eine starke Frau und zweifache Mutter, die heute 97-Jahre alte Maria Binder. (Bild: Hubert Berger)
Eine starke Frau und zweifache Mutter, die heute 97-Jahre alte Maria Binder.

Armut prägte das Land
Zu Ende des Krieges befanden sich neben sechs Millionen Österreichern zudem an die drei Millionen Flüchtlinge und so genannte „Displaced Persons“ wie ehemalige Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und ausländische Soldaten im Land. Die Wirtschafts- und Lebensmittelhilfe der USA, der Sowjetunion, Kanadas, Skandinaviens und der Schweiz half all diesen Menschen über die entbehrungsreiche Zeit nach Kriegsende. Trotzdem war der Alltag in Tirol geprägt durch leere Geschäfte, Rationierungen und Lebensmittelkarten.

Der Schwarzmarkt blühte im Jahr 1945 mit 260-mal höheren Preisen als denen, die amtlich festgesetzt waren. Die Last des täglichen Überlebens, physisch und psychisch, trugen hauptsächlich die Frauen, da der Großteil der Männer an der Front oder in Gefangenschaft waren. Eine von ihnen ist „Mariedl“ Binder. Maria Mayhofer, wie sie ledig hieß, war das jüngste Kind eines in Hopfgarten ansässigen Schneiders. 1938 starb ihr Vater in Innsbruck, wo er auch begraben wurde. Das Geld reichte nur für die Hinfahrt vom Unterland in die Landeshauptstadt, um das Grab zu besuchen.

Filialleiterin in Kufstein
Da sie kein Rückfahrtgeld mehr besaß, absolvierte sie ihr einjähriges, obligatorische „Pflichtjahr“ als Kindermädchen in Innsbruck, um dann eine Ausbildung als Kindergärtnerin anzutreten. „Ab 1940, nachdem ich ein Jahr im Kindergarten von Hopfgarten tätig war, kam ich in den Lebensmittelhandel.“ Im Jänner 1944 wurde sie Filialleiterin bei „Julius Meinl“ in Kufstein. Die damals 21-Jährige war damit am Ende des Krieges verantwortlich für drei Angestellte und den ordnungsgemäßen Umgang mit den seit 1939 eingeführten Lebensmittelkarten in dem Geschäft in der Kaiserbergstraße.

Am 3. Mai 1945 überquerten Einheiten der schwer bewaffneten „12th US- Amored Division“ den Inn. Die Festungsstadt Kufstein war frei! (Bild: Berger Hubert)
Am 3. Mai 1945 überquerten Einheiten der schwer bewaffneten „12th US- Amored Division“ den Inn. Die Festungsstadt Kufstein war frei!

Der Zucker-Diebstahl
Zuckerschwund in großen Mengen aus dem Lager war ihr Hauptproblem und ihre größte Sorge im Winter 1945 auf 1946. Und sie wusste, wer von den Mitarbeitern das tat. Aber was sollte sie tun? Es war ihr zu Ohren gekommen, dass die Person, welche dafür verantwortlich war, Schwarzhandel mit dem begehrten Süßstoff betrieb. Melden konnte und wollte sie das nicht.

In einem Vier-Augen-Gespräch legte sie deshalb der Mitarbeiterin nahe, von sich aus zu kündigen. Mit Geschick schaffte sie es, den „verschwundenen“ Zucker auszugleichen. Auf die Frage, ob sie in ihrer Position anderen helfen hätte können, antwortet sie: „Nein, ich denke heute noch oft daran, ob ich helfen hätte können. Aber es war nicht möglich, da es mir auch nicht besser als den anderen ging.“

Hubert Berger, Kronen Zeitung

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