NS-Verbrechen

27.900-fache Beihilfe? Demjanjuk angeklagt

Ausland
13.07.2009 15:26
Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk wird wegen Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen angeklagt. Das teilte die Staatsanwaltschaft München am Montag mit. Demjanjuk wird vorgeworfen, im Jahr 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen Tausende von Juden in die Gaskammern getrieben zu haben. Der 89-Jährige sitzt seit seiner Abschiebung aus den USA im Mai in München in Untersuchungshaft.

Ein SS-Ausweis mit der Nummer 1393 gilt als Hauptbeweismittel gegen John Demjanjuk. "Abkommandiert am 27.3.43 Sobibor" ist handschriftlich darauf notiert. Sobibor war laut Oberstaatsanwalt Anton Winkler ein reines Vernichtungslager - wer hier arbeitete, hätte keine andere Aufgabe gehabt, als bei der Ermordung der aus verschiedenen Ländern eintreffenden Männer, Frauen und Kinder zu helfen.

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hatte Demjanjuk an die erste Stelle der zehn meistgesuchten Nazi-Verbrecher gesetzt und begrüßt nun die Anklage. "Das Verfahren sendet ein sehr starkes Signal, dass das Verstreichen von Zeit in keiner Weise die Schuld der Mörder vermindert", sagte der Leiter Efraim Zuroff. Demjanjuk selbst schweigt zu den Vorwürfen der 86 Seiten starken Anklageschrift.

Prozessauftakt im September?
Der gebürtige Ukrainer war im Mai von den USA nach Deutschland abgeschoben worden und ist seitdem in der Krankenabteilung des Untersuchungsgefängnisses Stadelheim untergebracht. Ein Prozessbeginn wird nicht vor Herbst erwartet. Demjanjuks Münchner Anwalt Günther Maull spricht von frühestens Ende September, andere Juristen glauben, dass es noch länger dauern wird. Der Prozess selbst könnte sich lange hinziehen. Gegen den gesundheitlich angeschlagenen Senior, der an einer Nierenerkrankung, einer Vorstufe zur Leukämie sowie Rheuma und Gicht leiden soll, darf nicht länger als zweimal 90 Minuten pro Tag verhandelt werden. Da er wenig Deutsch spricht, muss die Verhandlung wahrscheinlich übersetzt werden - und wenn er weiter schweigt, steht ein langwieriger Indizienprozess bevor.

Die Chronologie des Falls Demjanjuk findest du in der Infobox!

Der Ukrainer arbeitete als Traktorfahrer auf einer Kolchose, als er 1940 als 20-Jähriger von der Roten Armee eingezogen wird. 1942 gerät er in deutsche Gefangenschaft, in der Millionen sowjetische Gefangene sterben. Vor die Wahl gestellt, nimmt er offenbar das Angebot an, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten und lässt sich im SS-Ausbildungslager Trawniki ausbilden. Zuerst soll er auf einem landwirtschaftlichen Gut jüdische Zwangsarbeiter bewacht und dann in Sobibor sowie im KZ Flossenbürg im Einsatz gewesen sein. Nach dem Krieg meldet sich Demjanjuk als sogenannte "Displaced Person" und damit praktisch als Nazi-Opfer - als ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener kann er 1952 in die USA ausreisen und arbeitet dort als Automechaniker.

Einige der letzten Überlebenden sollen aussagen
Als Zeugen vor Gericht sollen unter anderem ein anderer Ukrainer und Ex-Trawniki sowie einer der letzten Überlebenden aus Sobibor, Thomas Blatt, aussagen. Der 82-jährige Blatt will als Nebenkläger auftreten: Seine Eltern und sein kleiner Bruder starben in den Gaskammern Sobibors, als Demjanjuk Wachmann gewesen sein soll. "Er war in Sobibor - damit war er ein Mörder, ohne Frage", sagte Blatt im Mai nach Demjanjuks Ankunft in München. "Vielleicht hat er nicht mit seiner Hand gemordet, aber er hat die Leute in die Gaskammern getrieben."

Bereits 1988 war Demjanjuk in Israel als "Iwan der Schreckliche" im Vernichtungslager Treblinka zum Tode verurteilt worden. Fünf Jahre saß er in der Todeszelle, bis 1993 das Urteil aufgehoben wurde - er war tatsächlich verwechselt worden. Nach insgesamt siebenjähriger Haft kehrt er in die USA zurück.

Wieso wurde Demjanjuk nicht schon früher entdeckt?
Für manchen unerklärlich bleibt, warum Demjanjuks mögliche NS-Vergangenheit in Sobibor so lange unentdeckt blieb. Bei seiner Einreise in die USA soll er auf Papieren "Sobibor" als einen seiner Aufenthaltsorte angegeben haben. Und der Dienstausweis, der nun als Hauptbeweis gilt, lag den Behörden schon seit Ende der 1970er Jahre vor. Es gab freilich immer wieder Diskussionen um die Echtheit. Zuletzt stufte das Bayerische Landeskriminalamt das Papier als echt ein.

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