Tunesier mit Visa

Paris droht Italien mit Schengen-Aufhebung

Ausland
22.04.2011 19:21
Der Ton in der Debatte um die italienische Visa-Politik in der Immigrationswelle aus Nordafrika wird wieder schärfer. Infolge der anhaltenden Zuwanderung von Tunesiern nach Frankreich zieht die dortige Regierung von Nicolas Sarkozy jetzt die Möglichkeit in Aussicht, das Schengen-Abkommen zur freien Zirkulation von Personen vorläufig aufzuheben. Eingereiste Tunesier ohne finanzielle Mittel schieben die französischen Behörden derzeit großzügig nach Italien ab.

Im Falle einer "systematischen Schwächestelle an den Schengen-Außengrenzen" müsse man die Möglichkeit einer Aufhebung des Abkommens erwägen, hieß es am Freitag vorsichtig, aber bestimmt aus dem Elysée-Palast. Ein Ultimatum an Italien wurde allerdings nicht gestellt. Sarkozy werde das Thema am kommenden Dienstag im Rahmen eines Treffens mit den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi in Rom ansprechen, hieß es.

In Italien sind in den vergangenen Wochen aufgrund der Revolutionen bzw. Unruhen in Nordafrika Tausende Migranten angekommen, vor allem aus Tunesien und Libyen. Da die italienischen Behörden der Lage nicht mehr Herr wurden, beschloss die Regierung in Rom, alle vor dem 5. April angekommenen Tunesier, rund 20.000, mit sechsmonatigen Schengen-Visa auszustatten. Die Maßnahme rief vor allem in Paris heftige Proteste hervor. Die meisten Tunesier wollen nach Frankreich, wo sie Familienangehörige haben. Die Ausstellung sei unrechtens, weil viele der Einwanderer keinen Pass hätten und trotzdem Visa bekommen würden, hieß es.

Frankreich blockierte Züge aus Italien
Seit dem vergangenen Wochenende, als die ersten Einwanderer die Grenzstadt Ventimiglia erreichten, geht es an der französisch-italienischen Grenze heiß her. Einerseits forderten Unterstützter der rechtskonservativen Front National bei Demonstrationen in Frankreich eine Wiedereinführung der Kontrollen. Italienische Menschenrechtsaktivisten kündigten wiederum eine Protestfahrt mit dem Zug ins Nachbarland an. Frankreich stornierte dann am Sonntag über Stunden Zugverbindungen aus Ventimiglia.

Die Visa-Halter wurden dann aber letztendlich doch ins Land gelassen, die Zugverbindungen wieder aufgenommen. Die französische Regierung teilte am Montag mit, dass man "keine Spannungen" wolle und auf eine freundschaftliche Lösung beim Gipfeltreffen zwischen Berlusconi und Sarkozy am 26. April hoffe.

Jetzt wird "Fremden-Ping-Pong" gespielt 
Seit Donnerstag haben die französischen Behörden aber mehrmals aus dem italienischen Ventimiglia gekommene Tunesier abgewiesen und wieder nach Italien zurückgeschickt, weil sie zwar über Schengen-Visa, aber nicht über die nötigen Dokumente oder Geldmittel verfügten. Rund zwei Dutzend Migranten wurden dabei laut französischen Berichten auch im Inland in Nizza angehalten und in ein Sammellager nach Nimes gebracht. Von dort wurden sie zwei Tage später, am Freitag, an die italienische Grenze zurückgebracht. Inoffiziellen Informationen zufolge befinden sich in Nimes noch weitere 150 Tunesier, die auf eine Rückführung warten.

Hintergrund: Mit dem Schengen-Visum, das Rom den Einwanderern ausstellt, können die Nordafrikaner sechs Monate in Italien bleiben bzw. in andere Schengen-Länder reisen. Allerdings müssen sie dort für die Dauer ihres Aufenthalts über 62 Euro pro Tag verfügen. Werden sie von jemandem beherbergt, so reichen 31 Euro. Andernfalls können sie von den Behörden in das erste Schengen-Land zurückgeführt werden, in das sie Fuß gesetzt haben.

Frankreich und Italien spielen mit den Einwanderern jetzt eine Art "Fremden-Ping-Pong": In Ventimiglia, der ersten Stadt nach der französischen Grenze, werden die rückgeführten Tunesier nach einigen Routinekontrollen durch die Behörden nämlich wieder auf freien Fuß gesetzt - und versuchen es wieder in Frankreich.

Stichwort: Schengen-Abkommen
Das Schengen-Abkommen wurde am 14. Juni 1985 von Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten Belgien, Niederlande und Luxemburg unterzeichnet. Es folgten Italien (1990), Portugal und Spanien (1991) und Griechenland (1992). Österreich trat dem Schengen-Abkommen am 28. April 1995, vier Monate nach seinem EU-Beitritt, bei. Seit 1999 gilt, dass jeder neue EU-Staat auch dem Schengen-Raum beitreten muss, wobei die Umsetzung nicht sofort folgen muss. Grundprinzip der Schengen-Kooperation: Die Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten werden aufgehoben, dafür wird die Kontrolle der Außengrenzen verstärkt. Dazu dient seit 1995 ein eigenes Computer-Netzwerk ("Schengen-Informationssystem"), über das die Mitgliedsländer die Fahndungsdaten ihrer Polizei austauschen.

Bei besonderen Ereignissen kann das Schengen-Abkommen zudem ausgesetzt werden, um vorübergehend wieder Grenzkontrollen zu ermöglichen. In Österreich war das im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2008 der Fall.

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