Journalist im Visier
Bericht zu Bin-Laden-Tod “Unsinn” ohne Beweise?
Der Militärexperte Hersh hat sich mit Enthüllungsjournalismus einen Namen gemacht. Weltbekannt wurde der Journalist bereits 1969, als er während des Vietnamkrieges das Massaker von My Lai aufdeckte. Dafür erhielt er 1970 den Pulitzerpreis. 2004 berichtete er als Erster über den Misshandlungs- und Folterskandal im US-Militärgefängnis von Abu Ghraib bei Bagdad.
Hershs Ruf hat zuletzt gelitten
Die Nachrichtenseite "Vox" und andere US-Medien verweisen nun aber auf zuletzt fragwürdige Veröffentlichungen des Starjournalisten. Sein Ruf in den USA habe nach Publikationen mit dünner Quellenlage zuletzt gelitten. Demnach habe Hersh in den vergangenen Jahren mit abstrusen Meldungen und Verschwörungstheorien für Kopfschütteln bei seinen Kollegen gesorgt.
Etwa mit Berichten, wonach weite Teile der US-Sondereinsatzkommandos von Opus-Dei-Mitgliedern kontrolliert würden. Zudem beschuldigte Hersh das US-Militär, iranische Terroristen zu Trainingszwecken in die Wüste Nevadas eingeflogen zu haben. Und den tödlichen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien 2014 erklärte er kurzerhand zu einer "False flag"-Operation der Türkei.
Kritiker: Kaum oder keine substanziellen Beweise
Alle seiner Enthüllungen der vergangenen Jahre hätten jedenfalls eines gemeinsam: Hersh konnte kaum oder keine substanziellen Beweise für seine Vorwürfe erbringen - oder diese seien schlichtweg schon längst widerlegt worden. Nach einer genaueren Lektüre seiner Geschichte zur Tötung Bin Ladens prophezeiten die Autoren von "Vox" dieser ein ähnliches Schicksal.
Hersh schrieb in seinem Artikel, dass der pakistanische Geheimdienst nicht nur im Voraus über die Kommandoaktion informiert worden sei, sondern seit 2006 den Aufenthaltsort von Bin Laden gekannt habe. Die USA sollen einem pakistanischen Geheimdienstmitarbeiter für den Tipp eine Belohnung von 25 Millionen Dollar gezahlt haben. Außerdem zieht der Journalist die Version der US-Regierung in Zweifel, wonach die Leiche des Al-Kaida-Chefs nach dem Einsatz auf See bestattet wurde.
Weißes Haus: "Schlicht falsch"
Das Weiße Haus reagierte am Montag mit folgender Stellungnahme auf Hershs Vorwürfe: "Es gibt zu viele Ungenauigkeiten und grundlose Behauptungen in diesem Artikel, um jede einzelne zu überprüfen." Die Mission in Abbottabad "war durch und durch ein US-Einsatz", jede andere Darstellung sei "schlicht falsch", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats von Präsident Obama, Edward Price. Hersh selbst bleibt unterdessen bei seinen Aussagen und verteidigt die in dem Bericht erhobenen Vorwürfe gegen die Obama-Regierung in einer Tour durch diverse TV-Sendungen der USA.
Terrorismus-Experte: Bericht "Mischmasch an Unsinn"
Der Terrorismus-Experte Peter Bergen analysierte für CNN Hershs Vorwürfe. Bergen, Autor des Buches "Die Jagd auf Osama bin Laden: Eine Enthüllungsgeschichte" und einer der wenigen Zivilisten, die das Wohnhaus im pakistanischen Abbottabad, in dem Bin Laden ums Leben kam, persönlich besichtigen durften, kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Der Bericht sei ein "Mischmasch an Unsinn", der unzähligen Augenzeugenberichten, unbequemen Fakten und nicht zuletzt dem gesunden Menschenverstand widerspreche.
Wie auch eine Vielzahl anderer Kritiker bemängelt er an Hershs Ausführungen vor allem, dass dieser sich im Wesentlichen auf einen anonymen, mittlerweile pensionierten Mitarbeiter des US-Geheimdienstes sowie den früheren Leiter des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI, Generalleutnant Asad Durrani, beruft. Durranis Aussagen etwa liefern keine konkreten Beweise, die Hershs Version stützen würden, kritisiert auch "Vox".
Pakistanische Quelle rudert zurück: "Keinerlei Beweise"
Durrani war zudem von 1990 bis 1992, also rund zwei Jahrzehnte vor der Bin-Laden-Tötung, ISI-Chef, merkt Bergen weiter an. Er konfrontierte den Pakistani kurz nach der Lektüre des Hersh-Artikels in einer E-Mail mit dessen Ausführungen. In seiner Antwort habe Durrani eingestanden, dass es "keinerlei Beweise" für einen der Hauptvorwürfe in dem Bericht gebe - nämlich dafür, dass ISI-Beamte von dem Versteck des Al-Kaida-Führers in Abbottabad wussten und ihn gar dort unter Hausarrest gestellt hätten.
Vielmehr handle es sich dabei nur um seine persönliche Einschätzung zu der Zeit bis zum Tod Bin Ladens, wie der frühere pakistanische Geheimdienstchef in seiner Antwort auf die Mail des Experten betont habe. Eine Einschätzung, die Durrani, der nach seinem Abschied aus der Armee von 1994 bis 1997 Botschafter in Deutschland war, übrigens bereits im Februar gegenüber dem Nachrichtensender Al-Jazeera öffentlich abgegeben hatte.
Er sprach damals von Bin Laden als "Verhandlungsmasse" seines Landes. Es sei möglich, dass der ISI nichts vom Versteck des Terrorpaten in unmittelbarer Nähe einer Militärakademie wusste. Wahrscheinlicher jedoch sei es, dass der mächtige Geheimdienst informiert war, so Durrani - ohne dafür allerdings damals wie heute auch nur einen einzigen Beweis liefern zu können.
Bergen: ISI-Beamte wussten nicht von Bin-Laden-Versteck
Hershs Vorwurf, Pakistan habe von Bin Ladens Versteck in Abbottabad gewusst, betrachtet Terrorismus-Experte Bergen auch aus einem anderen Grund als haltlos: Jene hochrangigen pakistanischen Geheimdienstler, die Hersh zufolge den Auftrag hatten, den Al-Kaida-Chef in der Garnisonsstadt zu verstecken, hätten in der Nacht des tödlichen Bin-Laden-Einsatzes genauso überrascht wie der Rest der Welt reagiert. Die Kommunikation pakistanischer Top-Militärs sei damals von US-Beamten überwacht worden - und ihre verwirrten Reaktionen würden bestätigen, dass die Pakistanis keinen Anhaltspunkt für die Anwesenheit Bin Ladens in dem Haus in Abbottabad gehabt hätten, beruft sich Bergen auf seine eigenen Recherchen.
Zurück zu Durrani als einzige von Hersh namentlich genannte Quelle: Bergen lässt auch dessen Aussage, wonach die Bin-Laden-Mission nicht ohne die Kooperation Pakistans über die Bühne hätte gehen können, nicht gelten. Denn wie der Terrorismus-Experte bereits in seinem Buch "Die Jagd auf Osama bin Laden" ausführte, sei die US-Spezialeinheit damals mit zwei Stealth-Hubschraubern durch blinde Flecken in der pakistanischen Radarüberwachung geflogen. Zudem habe die pakistanische Luftwaffe praktisch über keine Kapazitäten für Nachtflüge verfügt, als der Angriff stattfand. Bergens Fazit: Es sei damals relativ leicht zu bewerkstelligen gewesen, den Einsatz ohne die Hilfe Pakistans durchzuführen.
Problematischer Umgang mit Aussagen
Auch die Autoren von "Vox" weisen in ihrer Analyse darauf hin, dass Hersh keinerlei handfeste Belege oder Beweise für seine Vorwürfe vorlegt. Zudem sei die Tatsache problematisch, dass der Journalist die Aussagen seiner zweifelhaften Quellen - neben Asad Durrani und dem namentlich nicht genannten früheren US-Geheimdienstmitarbeiter zwei ebenfalls anonym bleiben wollende "Berater" - als Fakten behandle.
Etwa die Aussagen, wonach es die Seebestattung Bin Ladens nie gegeben habe. Hersh schrieb dazu, die "in Teile geschossene Leiche" des Terrorchefs sei von den an der Aktion beteiligten US-Elitesoldaten in einen Sack gepackt worden - und zumindest Teile der sterblichen Überreste seien auf dem Rückflug aus Abbottabad kurzerhand aus dem Hubschrauber geworfen worden.
Immerhin weise Hersh, da sind sich die Kritiker einig, in seinem Artikel zu Recht darauf hin, dass unmittelbar nach der Tötung Bin Ladens Beamte des Weißen Hauses ursprünglich einige falsche Aussagen über den Angriff machten - die allesamt den Al-Kaida-Chef in einem schlechten Licht zeigten: zum Beispiel, dass Bin Laden seine Frauen während der Razzia als menschliche Schutzschilde missbraucht haben soll. Allerdings wurden diese Angaben damals von offizieller Seite rasch korrigiert.
Hinterfragen ist nicht dasselbe wi Vorwürfe einer wilden Verschwörung, an deren Geheimhaltung im Laufe der Jahre Hunderte hochrangige Beamte mehrerer Nationen beteiligt gewesen sein sollen. Doch das Hinterfragen der offiziellen Version der Ereignisse sei nicht dasselbe wie das Beweisen einer "spektakulären internationalen Verschwörung", so die "Vox"-Autoren abschließend. Und auch Terrorismus-Experte Bergen meint: "Alle möglichen Dinge sind natürlich plausibel, aber sowohl im Journalismus als auch in der Geschichtsschreibung sucht man nach Beweisen, nicht nach Wahrscheinlichkeiten."
Bergen schließt seine Analyse mit harten Worten: Er hoffe, dass die Karriere von Pulitzer-Preisträger Hersh nicht mit dieser Bin-Laden-Geschichte zu Ende gehen werde, die sich lese, als ob Frank Underwood (Kevin Spacey als machiavellistischer US-Politiker in der TV-Serie "House of Cards") und Carrie Mathison (Claire Danes als unkonventionelle CIA-Analystin in "Homeland") zusammen eine pakistanische Version des Watergate-Skandals produziert hätten...
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.