Irak und USA rätseln

6,6 Milliarden Dollar nur versickert oder doch gestohlen?

Ausland
18.06.2011 18:29
Kurz nach Beginn des Irak-Kriegs flog die US-Regierung Berge von Bargeld nach Bagdad, um den Wiederaufbau zu finanzieren - doch mehr als sechs Milliarden Dollar kamen nie an. Hieß es bisher von offizieller Seite immer, das Geld sei versickert, so hat der Generalinspekteur für den Wiederaufbau, Stuart Bowen, nun erstmals öffentlich einen schlichten Raub in Betracht gezogen. Möglicherweise handele es sich um "den größten Kapital-Diebstahl in der Geschichte der Nation", so Bowen. Und die Vereinigten Staaten müssen die Summe womöglich auch noch ersetzen.

In dem vermutlich größten internationalen Bargeld-Lufttransport aller Zeiten brachte die US-Regierung kurz nach der Irak-Invasion 2003 Berge von Hundert-Dollar-Scheinen in den Irak. In die dabei eingesetzten Hercules-Frachtmaschinen vom Typ C-130 konnten pro Flug unglaubliche 2,4 Milliarden Dollar Papiergeld verladen werden.

Insgesamt verschickte die USA auf diesem Wege bis Mai 2004 rund 20 Milliarden Dollar per Luftfracht für den Wiederaufbau. Nachdem die Flugzeuge in Bagdad landeten, wurde das Geld dann in Jutesäcken verstaut und in Fahrzeugen an irakische Behörden und private Auftraggeber ausgeliefert.

Versickert, verschwendet oder doch gestohlen?
Wo genau das Geld anschließend landete, zählt bis heute zu den ungeklärten Rätseln des Irak-Kriegs. Der US-Kongress hatte im Laufe der Jahre anhand Bilanzprüfungen unzählige Listen erstellt, wie die Hilfen verschwendet wurden oder in irakischen Ministerien und Subunternehmen versickerten - ein Teil der wertvollen "Luftpost", rund 6,6 Milliarden Dollar, wird seither gänzlich vermisst.

Möglicherweise werden die verschwundenen Milliarden nie wieder gefunden, berichten nun mehrere US-Medien. Stuart Bowen, der als US-Generalinspekteur für den Wiederaufbau im Irak seit Jahren versucht, die Gelder aufzuspüren, hält gegenüber der "Los Angeles Times" einen schlichten Raub inzwischen nicht für ausgeschlossen.

Eine Art "Wild-West-Atmosphäre"
Bowen übte zugleich scharfe Kritik an der damaligen Verwaltung der Gelder. Die Beträge seien "nicht korrekt abgerechnet" worden, so Bowen laut einem CNN-Bericht. Schuld daran seien vor allem zu laxe Kontrollregeln gewesen. "Das System war 2003 und 2004 zu locker und unreguliert", ist Bowen überzeugt. Die eingeflogenen Milliarden, ein Aufstand, der sich in einen Bürgerkrieg auszuweiten drohte, und ständig wechselnde Minister und Ministerialbeamte hätten in Bagdad zu jener Zeit eine Art "Wild-West-Atmosphäre" entstehen lassen. Bowen will jedenfalls etliche Beispiele kennen, in denen Behörden-Mitarbeiter Geld entwendet hätten.

Washington und Bagdad streiten schon seit Längerem über die Frage, wer damals den Fluss der Hilfsgelder hätte kontrollieren sollen. Während die US-Regierung die irakischen Behörden in der Verantwortung sieht, ist die Regierung in Bagdad davon überzeugt, die US-Zivilverwaltung hätte die Milliarden sichern müssen. Gegenüber CNN teilte ein Sprecher des Pentagon - das Bowen mit der Klärung der Geldflüsse beauftragt hatte - auf Anfrage mit, man sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die gesamten "verschwundenen" Gelder durchgehend unter der Kontrolle der irakischen Behörden befunden hätten.

Fest steht, dass die US-Regierung damals jedenfalls nicht ihr eigenes Geld in den Irak flog. Die Milliarden setzten sich aus beschlagnahmtem irakischem Vermögen, Überschüssen aus dem Oil-for-Food-Programm der UNO sowie Geldern aus einem Fonds der New Yorker Notenbank zusammen, der für die UNO damals die eingefrorenen Öleinnahmen des Zweistromlandes verwaltete. Die Regierung unter Saddam Hussein hatte diese aufgrund der internationalen Sanktionen nicht selbst verwenden dürfen.

Müssen die USA Entschädigungszahlungen leisten?
Nun hätten die Iraker das Geld, das angeblich nie bei ihnen ankam, gerne zurück. Irakische Beamte haben Bowen laut CNN bereits angekündigt, notfalls vor Gericht die fehlenden Milliarden zu erstreiten. Es könnte also für die amerikanischen Steuerzahler, die bereits mehr als 60 Milliarden Dollar für den irakischen Wiederaufbau bereitgestellt haben, noch teurer werden.

Der Kongress ist darüber klarerweise wenig erfreut. Henry Waxman, der früher den Ausschuss zur Kontrolle der Regierung leitete und nach wie vor ein einflussreicher Demokrat im Repräsentantenhaus ist, hält Entschädigungszahlungen jedenfalls nicht für ausgeschlossen. "Ihr seid jetzt mit dem Geld betraut, ihr habt eine treuhänderische Verantwortung dafür, dass das irakische Volk zu seinen Gunsten mit dem Geld umgeht", habe die UNO den Vereinigten Staaten damals gesagt, so Waxman gegenüber CNN, "und jetzt kann man den Verbleib von 6,6 Milliarden Dollar nicht nachweisen."

US-Generalinspekteur Bowen hat aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die Milliarden doch noch zu finden, und leitete eine neue Runde an Nachforschungen – es ist mittlerweile die dritte - ein.

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