Experten-Meinungen

“Soziales Jahr” und “nicht so teures” Berufsheer möglich

Österreich
07.10.2010 11:50
Die Debatte um die Wehrpflicht hat sich zwischenzeitlich auf die zwei wesentlichen Fragen nach einer Abschaffung zugespitzt: Was kostet ein Berufsheer, und wie erhält man die Leistungen, die derzeit von Zivildienern erledigt werden? Verfassungjuristen halten das von vielen Seiten ins Treffen gebrachte "Soziale Jahr" für rechtlich durchsetzbar, ähnliches wird im Bundesland Vorarlberg sogar schon durchgeführt. Militärexperten treten indes gegen die angeblichen Mehrkosten eines Berufsheeres an.

Ein verpflichtender Sozialdienst als Ersatz für den Zivildienst im Falle einer Abschaffung der Wehrpflicht wäre rechtlich möglich. Von der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) her ist zwar ein Zwangsdienst an sich nicht erlaubt, als Ausnahme wird jedoch neben dem Wehrdienst auch eine allgemeine Bürgerpflicht genannt - und unter letztere könnte unter gewissen Bedingungen auch eine Verpflichtung zu einem Sozialdienst fallen. Verfassungsexperten halten einen solchen Pflicht-Sozialdienst daher für verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen.

Entlohnung und Dauer müssen passen
Der Jurist Heinz Mayer meinte am Donnerstag, dass ein solcher Dienst abhängig von der Ausgestaltung sei. Er müsse jedenfalls für beide Geschlechter gelten und dürfe "nicht unverhältnismäßig" sein. Konkret müsse er unter "zumutbaren Bedingungen" stattfinden, "ausreichend" entlohnt werden und zeitlich in einem vertretbaren Rahmen bleiben. Für letzteren Punkt würde man nach Ansicht Mayers mit einem halben oder dreiviertel Jahr "auf der sicheren Seite" sein.

Mayer ist damit der gleichen Meinung wie seine Kollegen Theo Öhlinger und Bernd-Christian Funk. Sie halten einen Sozialdienst als Bürgerpflicht ebenfalls für derart gestaltbar, dass er nicht der EMRK widerspricht. Männer und Frauen müssten herangezogen werden, und das Entgelt müsse so hoch sein, dass man damit "überleben" könne.

Verpflichtende Sozialdienste bereits umgesetzt
Mayer macht auch darauf aufmerksam, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof schon verpflichtende Dienste akzeptiert hat. So wurde es als zulässig anerkannt, dass Ärzte ihren Dienst dort machen müssen, wo Bedarf nach ihren Leistungen besteht. Zudem müssen Rechtsanwälte sozial Bedürftige unentgeltlich vertreten (Stichwort: "Pro bono"-Fälle). Jeder Anwalt muss in regelmäßigen Abständen als Pflichtverteidiger auch unentgeltlich arbeiten. Der Staat überweist dafür der Anwaltskammer Geld, das zur Altersabsicherung der Anwälte herangezogen wird.

In Vorarlberg können manche Gemeinden von ihren Bürgern noch Frondienste verlangen. Solche "Hand- und Zugdienste" wie etwa die Betreuung von Wanderwegen oder die Schneeräumung kann man allerdings auch von einem Vertreter erledigen lassen oder sich durch eine Zahlung an die Gemeindekasse freikaufen.

Militärexperte: Berufsheer muss nicht teuer sein
Indes geht auch die Debatte um die Kosten eines Berufsheeres in die Tiefe: Der Militärexperte Brigadier Gerald Karner meinte am Donnerstag, ein Berufsheer müsse nicht wahnsinnig teuer sein, es gebe nämlich ein großes Einsparungspotenzial.

Karner war Leiter der Abteilung Militärstrategie im Verteidigungsministerium und hat sich immer wieder als militärischer Kommentator bei internationalen Krisen im Fernsehen einen exzellenten Ruf erworben. Zum Thema Abschaffung der Wehrpflicht und Berufsheer sagte er im ORF, ein Berufsheer sei deshalb besser, weil es etwa bei Friedensmissionen flexibler einsetzbar sei. Auch neuen Bedrohungen und Krisen könne man mit Berufssoldaten entschiedener entgegentreten.

Was die Kosten betrifft, so ist Karner überzeugt, dass ein Berufsheer nicht wahnsinnig teuer sein müsse – immerhin gebe es beim derzeitigen Bundesheer Einsparungspotenzial bei Personal und Infrastruktur, wenn man eines Tages den Wehrdienst und alles, was damit zusammenhängt, abschafft. Damit könnten bis zu 250 Millionen Euro gespart werden. Was die Zahl der Berufssoldaten betrifft, so könne Österreich mit etwa 15.000 das Auslangen finden. Die Rekrutierung von Freiwilligen könne dann funktionieren, wenn man den jungen Leuten signalisiere, dass ein solches professionell geführtes Berufsheer Zukunft habe.

"Das Bundesheer ist am Zerbröseln"
Eine vernichtende Bestandsaufnahme des momentanen Zustandes des Bundesheeres machte ein weiterer Militärexperte: Erich Reiter, langjähriger Sektionschef im Verteidigungsministerium, bezeichnete die Wehrpflicht als militärisch und ökonomisch unsinnig – er sei für ein Berufsheer, das nur Militär-Aufgaben erfülle.

Laut Reiter würden Jahr für Jahr 26.000 Wehrdiener eingezogen und ausgebildet, um sie dann nicht militärisch einzusetzen. Reiter sieht das Bundesheer "am Zerbröseln – politisches Handeln ist notwendig, um noch etwas vom Bundesheer zu retten".

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