Jemen-Geisel spricht

Neubauer: Zwischen Folter und “ganz normaler Qual”

Österreich
16.05.2013 15:57
Auch nach der Freilassung des Österreichers Dominik Neubauer und der beiden mit ihm im Jemen entführten Finnen herrscht weiter Rätselraten über die Hintergründe der Geiselnahme. War die Entführung mitten im als sicher geltenden Zentrum der Hauptstadt Sanaa geplant? Waren die Geiselnehmer lokale Stämme oder - wie vom Jemen behauptet - Al-Kaida-Mitglieder? Wurde Lösegeld gezahlt? Einige Antworten gab Neubauer nun in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "News".

Neubauer glaubt, dass er am 21. Dezember 2012 nur zufällig Opfer der Entführer wurde. Bewaffnete Männer seien in das Elektronikgeschäft gestürmt, in dem sich das Trio aufhielt, und hätten ihre Opfer mit Kalaschnikows bewaffnet in ein parkendes Auto gedrängt.

Dieses sei für eine Entführung jedoch viel zu klein gewesen, sodass einer der Geiselnehmer während der Flucht auf Neubauers Schoß sitzen habe müssen. Außerdem hätten die Kidnapper anfänglich nichts zur Hand gehabt, um den Geiseln die Augen zu verbinden. Daher habe er auch die ersten 20 Fahrtminuten gut mitverfolgen können, sagte Neubauer.

Die Entführer hätten sofort nach Beginn der Fahrt "hektisch in arabischem Dialekt zu telefonieren" begonnen. "Ich verstand nur, dass sie fieberhaft nach einer Unterkunft für uns suchten," erklärte der 26-Jährige. Nachdem sie die erste Nacht gefesselt und mit Sprechverbot belegt in einem Haus verbracht hätten, seien sie am zweiten Tag acht Stunden auf asphaltierten Straßen gefahren und dann in die Wüste abgebogen.

"Mir wurde klar: Die Typen wollen uns verkaufen"
"Es wurde telefoniert, wurden Zahlen genannt, Dinge besprochen. Mir wurde klar: Die Typen wollen uns verkaufen", erzählte Neubauer über die ersten Stunden seiner Gefangenschaft. Ob sie tatsächlich an die Al-Kaida verkauft wurden, wie es auch aus jemenitischen Regierungskreisen immer wieder hieß, kann Neubauer, der nach eigenen Angaben zuletzt für den Europäischen Auswärtigen Dienst arbeitete, nicht beurteilen. Vieles deute jedoch darauf hin, dass sie tatsächlich an Islamisten geraten seien, sagt er.

Durch eine Scheinhinrichtung mitten in der Wüste eingeschüchtert, sei er etwa gezwungen worden, zum Islam zu konvertieren, berichtete der 26-Jährige. Man habe ihm befohlen, auszusteigen und sich neben dem Auto hinzuknien: "Ich höre, wie eine Waffe durchgeladen wird und spüre ihren Lauf am Hinterkopf. Und dann, als ich mit allem abgeschlossen hatte, fragt mich jemand auf Englisch, ob ich zum Islam übertreten möchte." Das sei in der Nacht vom 3. auf den 4. März passiert. Die siebentägige Frist, die er per Videobotschaft den Regierungen im Jemen und in Österreich sowie der EU im Auftrag der Geiselnehmer gestellt hatte, war damals bereits abgelaufen.

Inhalt der Videobotschaft improvisiert
Mit den beiden Finnen hätten die Entführer kein solches Video gedreht, berichtete Neubauer. Außerdem hätten sie ihm lediglich aufgetragen, zu sagen, er werde von einem Stamm gefangen gehalten, der Geld fordere und ihn nach Ende der Frist exekutieren werde. "Sie sagten weder, wie viel Geld sie wollten, noch an wen ich die Botschaft richten soll." Er selbst habe entschieden, sich an die staatlichen Stellen zu wenden und das Video auf Englisch und Deutsch aufzunehmen.

Folter im engeren Sinne sei er nicht ausgesetzt gewesen. Allerdings hätte er vier Monate lang angekettet auf dünnen Schaumstoffmatratzen am Boden eines Lehmhauses verbracht: "Es krochen immer wieder Skorpione, Spinnen und auch Schlangen in den Raum." Zu trinken habe es schmutziges Wasser gegeben, zum Essen "nicht viel mehr außer Reis", sagte Neubauer. Er habe sich übergeben müssen, Kopfweh, Durchfall und Angst davor gehabt, an Malaria erkrankt zu sein. Dazu sei das Sprechverbot gekommen. Da stelle sich die Frage: "Wo beginnt Folter und wo endet die ganz normale Qual?"

Freilassung "völlig unerwartet"
Im März sei er von den beiden Finnen getrennt worden, sagte der ehemalige Politikwissenschaftsstudent. Die Freilassung Anfang Mai sei dann "völlig unerwartet" erfolgt. Die Übergabe habe an der Grenze zwischen dem Jemen und dem Oman stattgefunden. Er habe bis zum Schluss "an einen weiteren Trick" geglaubt und erst im Militärhubschrauber auf dem Weg in Omans Hauptstadt Maskat geahnt, "dass mein Albtraum endlich vorbei sein könnte".

Ob und von wem Lösegeld gezahlt wurde, wisse er nicht, erklärte der 26-Jährige. Der Risiken seiner Reise sei er sich bewusst gewesen. Auch aufgrund seiner beruflichen Vorkenntnisse habe er sich jedoch über die Sicherheitslage gut informiert gefühlt. "In den Gegenden von Sanaa, in denen ich mich bewegte, gab es in den vergangenen zehn Jahren keine einzige Entführung. Mir erschien die Reise in den Jemen für meine weitere Karriere wichtig", rechtfertigte Neubauer seinen Aufenthalt.

Außenministerium stellte noch keine Forderung
Zum Zeitpunkt seiner Entführung sei er sich keiner Reisewarnung für den Jemen bewusst gewesen, sagt der 26-Jährige. Für das Krisenland gilt allerdings seit Längerem eine solche, allen im Land befindlichen Österreichern wird zur Ausreise geraten. Das Außenministerium habe noch keine finanzielle Forderung wegen der Kosten seiner Befreiung gestellt, so Neubauer.

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